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Weltsozialforum in Belem: Offen, laut, bunt – und antikapitalistisch

Von Thadeus Pato | 01.03.2009

„Das war das schwärzeste, feministischste und indigenste Sozialforum bisher“. Diese Einschätzung eines Teilnehmers aus Martinique gibt nicht nur das äußere Bild des WSF im nordbrasilianischen Belem wieder.

„Das war das schwärzeste, feministischste und indigenste Sozialforum bisher“. Diese Einschätzung eines Teilnehmers aus Martinique gibt nicht nur das äußere Bild des WSF im nordbrasilianischen Belem wieder.

Und man kann noch hinzufügen: das ökologischste, denn im Mittelpunkt der Debatten standen zwei Themen: Die ökonomische und die ökologische Krise oder, besser gesagt, die Kombination von beiden.
Antikapitalismus? Antikapitalismus!
Der sogenannte Neoliberalismus-Diskurs hat die Debatten in den sozialen Bewegungen die letzten 15 Jahre geprägt. In Belem war damit plötzlich Schluss. Die ökonomische Krise fegte die Vorstellung von einem bösen (neoliberalen) und einem guten (keynesianischen oder wahlweise rheinischen) Kapitalismus hinweg. Und das war während der ganzen Tage des Forums, aber vor allem auf der am letzten Tag abgehaltenen  asamblea de las asambleas, der Versammlung der Versammlungen, zu hören und zu sehen: Hier verlasen Sprecher der verschiedenen themenbezogenen Einzelversammlungen ihre Abschlusserklärungen und der „Neoliberalismus“ als wohlfeiler Punchingball tauchte darin praktisch nicht (mehr) auf. Stattdessen wurde das kapitalistische System selbst als Ursache sowohl des ökonomischen wie des ökologischen Desasters klar benannt, am radikalsten in der Erklärung der Versammlung der sozialen Bewegungen, in der auch offen eine sozialistische Alternative eingefordert wurde.

Und es waren nicht zuletzt die in beachtlicher Anzahl auf dem Forum anwesenden Indigenaorganisationen, in erster Linie aus Brasilien selbst, aber auch aus anderen lateinamerikanischen Ländern wie z. B. Peru, die mit dafür sorgten, dass das WSF in seiner Gesamtheit ein sehr radikales Gesicht bekam, sowohl, was die ökologische, wie auch, was die Frage des politischen Systems betrifft.
Denn es war ein sehr lateinamerikanisches, oder genauer: brasilianisches Forum. Nach den Zahlen des Organisationskomitees waren von den insgesamt 140 000 Teilnehmern 120 000 aus Brasilien selbst und davon der größte Teil aus Amazonien, bzw. dem Bundesstaat Para, in dem das Forum stattfand.
Ökosozialistisches Netzwerk
Dass auch eine Konvergenzbewegung zwischen der Ökologiebewegung und der radikalen Linken stattfindet, zeigte sich an dem Treffen des internationalen ökosozialistischen Netzwerks, das sich am Tag nach dem Forum in Belem traf. Es kamen so viele Interessenten, dass zunächst ein größerer Raum besorgt werden musste. Die Diskussion zeigte, dass zum einen das Bewusstsein der Wichtigkeit der ökologischen Frage in den traditionellen Organisationen der radikalen Linken enorm gewachsen ist und zum anderen, dass Teile der Ökologiebewegung anfangen, die Systemfrage zu stellen. Es waren ca. 100 Menschen aus über 20 Ländern anwesend, die das von einer Redaktionsgruppe aus vier Personen entwickelte ökosozialistische Manifest, das in hoher Auflage auf dem WSF verteilt wurde, als Grundlage der weiteren Zusammenarbeit akzeptierten und ein Organisationskomitee wählten, das die weitere Zusammenarbeit organisieren soll. Dass dieses Netzwerk einen qualitativen Sprung gemacht hat, zeigte sich nicht nur an der zahlenmäßigen Beteiligung, sondern vor allem daran, dass erstmals auch Vertreter der Indigenabewegung teilnahmen und weiter mitarbeiten werden.
Und die radikale Linke?
Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in Europa bei solchen Gelegenheiten gab es auf dem Forum kein Problem mit der Anwesenheit politischer Parteien. Die gesamte brasilianische Linke war vertreten und machte auf dem Gelände des Forums öffentliche Veranstaltungen, so zum Beispiel die PSoL (von der PT abgespaltene Partei für Sozialismus und Freiheit), die nicht nur auf der riesigen und bunten Auftaktdemonstration einen großen Block stellte, sondern eine öffentliche Versammlung mit über 1 000 TeilnehmerInnen abhielt, auf der neben der Ex-Senatorin und Lula-Widersacherin Heloisa Helena auch ein Vertreter der LCR aus Frankreich über den Prozess der Bildung der (inzwischen gegründeten, s. S. 20-21 in dieser Avanti) neuen antikapitalistischen Partei berichtete. Und auch das Treffen antikapitalistischer Parteien aus aller Welt fand in den Räumlichkeiten des Forums statt und war ebenfalls ein Erfolg, denn es blieb nicht beim unverbindlichen Austausch. Vertreter der beiden einladenden Organisationen, der PSoL und der LCR erklärten sich bereit, ein Informationsnetzwerk zu installieren, um den regelmäßigen Austausch zu organisieren. Auch hier waren 20 Länder vertreten.
Lula und andere Gäste…
llustre Gäste konnte man auch bewundern: Die Landlosenbewegung (MST) hatte im Rahmen des Forums eine ganz besondere Veranstaltung organisiert. Sie hatte die Präsidenten von Ecuador (Correa), Bolivien (Morales), Venezuela (Chavez) und Paraguay (Lugo) eingeladen – und Lula nicht. Der hatte dann zwar am Abend noch sein Rendezvous mit den vier Kollegen, aber bei dem öffentlichen Event war er ausgeladen. Hintergrund ist eine schon lange laufende, aber jetzt wieder wichtiger werdende Debatte um die Rolle Brasiliens innerhalb des Subkontinents als „subimperialistische“ Macht. Fernando Lugo war unter anderem auch deshalb in Brasilien, weil er einen noch unter der Militärdiktatur mit Brasilien geschlossenen, für Paraguay höchst unvorteilhaften Vertrag über das gemeinsame Wasserkraftwerk von Itaipu nachverhandeln wollte und sowohl Morales wie Correa haben höchst unangenehme Erfahrungen mit brasilianischen (Staats)firmen, insbesondere mit Petrobras… Die KubanerInnen waren im Übrigen auch vertreten: eines der größten Veranstaltungszelte auf dem Universitätsgelände war ihres und dort wurden jeden Abend 50 Jahre kubanische Revolution gefeiert.
Kritische Stimmen
Natürlich gibt es auch Stimmen, die den Sinn des WSF in seiner jetzigen Form grundsätzlich anzweifeln. James Petras zum Beispiel meint, es handele sich inzwischen um ein Festival, das sich um sich selbst drehe und versuche, die ursprüngliche Botschaft zu betäuben, zu neutralisieren und in humanitäre Rhetorik zu verwandeln. Emir Sader äußerte, dass das Forum immer unverbindlicher werde und sich grundsätzlich wandeln müsse. Ein brasilianischer Journalist wiederum wies in einem Artikel zum Forum auf die zunehmende Institutionalisierung und die massive Polizeipräsenz hin. Aber zumindest was Letztere betrifft wehrten sich die Teilnehmer auf ihre Weise: Als trotz der Forderungen der Jugendlichen die Sicherheitskräfte darauf bestanden, sie beschützen zu wollen, zogen sie kurz entschlossen mit ihren Zelten um.

Und was das erstere betrifft: Zumindest die brasilianischen TeilnehmerInnen, mit denen der Autor sprach, waren weder betäubt, noch neutralisiert, im Gegenteil: Sie waren für die eingangs erwähnten Abschlusserklärungen verantwortlich, und über die kann man manches sagen, aber nicht, dass es sich dabei um „h
umanitäre Rhetorik“ handelt. Obwohl die Tendenz zur Institutionalisierung nicht zu übersehen ist, hat zumindest in Belem das Forum als Ort nicht nur des Austauschs von Erfahrungen, sondern auch als Ort, an dem neue Initiativen lanciert werden können, funktioniert.

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