Weiter vor großen Herausforderungen
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Bericht über die Bundeskonferenz 2022 der ISO

Weiter vor großen Herausforderungen

Von mh, mp und wi | 07.10.2022

Von allen Ortsgruppen und weiteren Orten waren Genoss:innen zur Bundeskonferenz am 17./18. September angereist, knapp ein Drittel der Mitglieder war anwesend. Wir haben Corona-Schutzmaßnah­men ernst genommen – aber nach einer langen Phase von Zoom-Konferenzen endlich wieder in direktem Kontakt miteinander diskutieren zu können, war uns wichtig.

Vorbereitungsprozess

Die Konferenz wurde zum ersten Mal mit einer Vielzahl von digitalen Meetings vorbereitet: Ab Februar boten sie unseren Genoss:innen die Möglichkeit zur kollektiven Beratung über verschiedene Arbeits- und Themenfelder.

Wir müssen eingestehen, dass die Vorbereitung unter dem Eindruck der Folgen der Pandemie, der komplizierten internationalen Entwicklungen, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde, und der Notwendigkeit, sich in die beginnenden Kämpfe gegen die Preissteigerungen einzumischen, unzulänglich blieb. Andererseits können wir sehen, dass wir in der ISO auf einen reichen, vielseitigen Erfahrungsschatz zurückgreifen können.

Herausforderungen

Dies stellt zugleich eine Herausforderung dar: Wie schaffen wir es, diese Erfahrungen für diejenigen ‒ innerhalb und außerhalb der ISO ‒ fruchtbar zu machen, die jetzt in der vordersten Linie der Bewegungen und betrieblichen und sozialen Kämpfe stehen? Die älter werdenden Mitglieder sind sich bewusst, dass ein Generationswechsel ansteht und trotzdem sorgfältig vorzubereiten ist und bewältigt werden will. Dies trifft insbesondere auf einen unserer wichtigsten Schwerpunkte zu: die Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften. Wir sehen es aber auch nicht nur als eine Herausforderung, sondern auch als Chance für uns selbst und die Organisation insgesamt.

In der Organisation stehen wir auch immer wieder vor der Herausforderung, mit einer Vielfalt von Meinungen zu taktischen Fragen und Schwerpunktsetzungen umzugehen. Uns ist bewusst, dass es in dieser Hinsicht in der Pandemie und zum Ukrainekrieg einige problematische Entscheidungen gab; gelegentlich konnten wir für die Positionierung der Organisation keine breite Einheit erreichen. Die neu gewählte Koordination (das wichtigste Leitungsorgan zwischen den Bundeskonferenzen) steht vor der Aufgabe, unseren eigenen Ansprüchen für den Umgang mit Differenzen besser gerecht zu werden.

Vierte Internationale

Léon aus Paris war als Repräsentant des Sekretariats der Vierten Internationale eingeladen, an der Konferenz teilzunehmen. Er berichtete über die Planungen für den nächsten Weltkongress, der unter anderem ein ökosozialistisches Manifest beschließen wird, das unter breiter internationaler Beteiligung gründlich diskutiert werden soll. Eine lebhafte Debatte beschäftigte sich mit Fragen, wie die Internationale nicht zuletzt in Europa nützlicher und sichtbarer in Erscheinung treten und was die deutsche Organisation mit ihren bescheidenen Mitteln dazu beitragen kann.

Debatten über die politische Lage

In der Einschätzung der allgemeinen Lage, der Auswirkungen der Pandemie, der Preissteigerungen, der Lage der linken gesellschaftlichen Kräfte, der Ausrichtung der prokapitalistischen Regierungspolitik und der Unzulänglichkeiten offizieller Gewerkschaftspolitik haben wir in Einzelfragen verschiedene Meinungen. Unterschiede bestehen auch in der Schwerpunktsetzung, was für die arbeitende Klasse, deren Bewusstseinsbildung und für unsere politische Praxis wichtiger oder nicht ganz so zentral ist. Ein Vergleich und Austausch darüber, was wo gemacht wird, zeigt aber auch, dass wir alle ziemlich eng zusammen und „am Puls“ des gesellschaftlichen Geschehens sind.

Die Resolution zur politischen Lage mit der Überschrift „Wir zahlen nicht für eure Krisen und Kriege!“ wurde mehrheitlich angenommen; einer Minderheit hat für einen alternativen Entwurf gestimmt.

Die Vorlage „Gesundheitskämpfe, Pandemie und Staatsversagen“ befasste sich mit der Corona-Politik der Herrschenden und unseren fundierten Alternativen. Auch diese Resolution erhielt die Mehrheit der auf Konferenz abgegebenen Stimmen.

Krieg in der Ukraine und „Zeitenwende“ bei uns

Eine Grußadresse an die Konferenz der ukrainischen sozialistischen Organisation Sozialny Ruch (Soziale Bewegung), die ebenfalls am 17. September stattfand, wurde am Samstagmorgen per Akklamation beschlossen.

In der Frage der Beurteilung des Ukraine-Krieges und dessen, was daraus folgt, sind wir allerdings weiterhin unterschiedlicher Meinung. Wir haben jetzt zwar eine Beschlusslage, aber es ist offenkundig, dass unter uns weiter Diskussions- und Klärungsbedarf besteht.

Es wurden zwei Entwürfe zur Debatte gestellt. Der Text mit der Überschrift „Solidarität mit dem Widerstand in der Ukraine und der russischen Antikriegsbewegung! Stoppt den Krieg!“ war aus einem längeren Diskussionsprozess hervorgegangen und von einer Mehrheit der ausgehenden Koordination (des Leitungsorgans zwischen den Bundeskonferenzen) eingebracht wurde, er wurde mehrheitlich angenommen. Ein anderer Text war von einer Ortsgruppe vorgelegt worden, eine größere Minderheit stimmte dafür, aber eine Mehrheit dagegen.

In der angenommenen Resolution ist die folgende Passage enthalten: „wir fordern die sofortige Einstellung der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, da sie das Potential haben, den Krieg zu eskalieren und eine unkontrollierbare Dynamik auszulösen“. Hierzu gab es den Antrag auf ersatzlose Streichung, mit der Begründung, dass unter denen, die den übrigen Text unterstützen, hierzu deutliche Meinungsverschiedenheiten bestehen und dass mit solch einer Änderung das, worüber Einigkeit besteht, besser zum Ausdruck kommt. Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt worden.

Die Arbeit in und gegenüber der Partei DIE LINKE

Bei einer zweitägigen Konferenz, die ja in Wirklichkeit nur ungefähr zwei halbe Tage dauert, können nicht alle Fragen in der Ausführlichkeit besprochen werden, wie sich die eine oder der andere das wünscht. Die Debatte um die Lage der Partei DIE LINKE ist sicher solch ein Punkt. Wir sind uns einig darin, dass die Lage der Partei ausgesprochen kritisch ist und der Ausgang ihrer weiteren Entwicklung offen und ungewiss ist. Wir sind uns auch einig, dass unsere Genoss*innen in der Partei mehr und besser zusammenarbeiten sollten. Die Arbeit in und mit der Antikapitalistischen Linken (AKL) und der Bewegungslinken (BL) einerseits und der Zusammenarbeit beider Strömungen andererseits sowie die Teilnahme an praktischen Aktivitäten der Partei DIE LINKE sind und bleiben unsere Schwerpunkte.

Organisationsaufbau

Wir sind bisher stabil durch die Corona-Pandemie gekommen, allerdings ist das notwendige und wünschenswerte Wachstum der Organisation nicht so eingetreten, wie wir es uns erhofft hatten. Die Bundeskonferenz führte eine niveauvolle, wenn auch zu kurze Diskussion darüber, wie die Konzentration auf den Aufbau und Ausbau von Ortsgruppen umgesetzt werden kann, als Basis, um diese stürmischen Zeiten bestmöglich zu nutzen.

Wir werden, ausgehend von den Diskussionen auf der Konferenz, weiter darüber reden müssen, wie wir die folgenden Aufgaben „unter einen Hut“ bekommen:

  • Gewinnung der fortschrittlichsten Menschen aus der arbeitenden Klasse;
  • Arbeit nach außen und eigene Aktivitäten, die sich an die arbeitenden Klasse als solche (im Betrieb, im Stadtteil usw.) richten, zu entwickeln;
  • in zentralen Arbeitsfeldern konkrete Aufgabenstellungen und Zielsetzungen zu entwickeln;
  • Nutzung der Möglichkeiten, in örtlichen, regionalen, bundesweiten Bündnissen mit anderen konstruktiv zusammenzuarbeiten, ohne unsere eigene Aufbauarbeit zu vernachlässigen.

Wir führen weiter eine Diskussion über das Verhältnis zwischen der Arbeit gegenüber der Masse der Arbeiter:innen und der Gewinnung und Ausbildung von Kadern sowie Bildungsarbeit.

Unbestritten sehen wir unsere vorrangige Rolle in der deutschen radikalen Linken darin, die Interessen der arbeitenden Klasse mit der weltweiten Klimagerechtigkeitsbewegung und umgekehrt miteinander zu verknüpfen, statt sie gegeneinander auszuspielen.

Vorhaben zum Organisationsaufbau

Vier Vorlagen zum Organisationsaufbau, die zur Abstimmung gestellt wurden, plus einige weitere Beiträge zeigten, dass wir noch weit davon entfernt sind, ein überzeugendes Aufbaukonzept entwickelt zu haben, in dem sich alle oder fast alle Mitglieder wiederfinden können. Diese Lücke zu füllen, wird eine Hauptaufgabe der Organisation in den kommenden Jahren sein.

Die neu gewählte Koordination hat die Aufgabe, mit jeder Ortsgruppe und den Mitgliedern, die alleine oder zu zweit am Ort sind, einen Plan zu entwickeln, wie in den nächsten Jahren ein Projekt vor Ort umgesetzt werden soll und welche Anforderungen sich daraus an die Leitung stellen.

Wir werden weiterhin jährlich die Ökosozialistische Konferenz als festen Höhepunkt nach innen und außen durchführen.

Wir streben an, unsere zentralen Arbeitsgruppen zu stärken, ggf. neue einzurichten, damit die vor Ort praktisch arbeitenden Genoss*innen sich besser austauschen, vernetzen und mit mehr Gemeinsamkeiten auftreten können. Neben dem Ortsgruppenaufbau und im Zusammenhang damit arbeiten wir an einer Verjüngung der Organisation und ihrer Gremien.

Große Einigkeit herrschte in der Vorbereitung auf einen möglicherweise notwendig werdenden Umgang mit sexualisierter Gewalt und patriarchalem Machtmissbrauch. In der Debatte wurde deutlich, dass die Mitgliedschaft es einhellig begrüßt, dass die Organisation sich jetzt schon auf solche schwerwiegenden Probleme einstellt, ohne dass derzeit in den eigenen Reihen ein konkreter „Fall“ existieren würde. Der Text „Es geht nicht um Strafe, sondern um Verhaltensänderung ‒ Über den Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt“ wurde ohne Gegenstimmen angenommen; die Einrichtung einer neuen „Vertrauenskommission im Aufbau“ beschlossen, die sich mit sexualisierter Gewalt und patriarchalem Machtmissbrauch in der Organisation befassen soll.

Wir wissen, dass wir vor großen Herausforderungen stehen ‒ ebenso wie die gesamte politische und soziale Linke und die Gewerkschaftsbewegung. Auf der Bundeskonferenz haben wir erste Schritte besprochen, wie wir in Zukunft mit mehr Gemeinsamkeit versuchen wollen, diesen Herausforderungen gerecht zu werden.


Dokumentiert: Drei Beschlüsse der Bundskonferenz der ISO

Wir zahlen nicht für eure Krisen und Kriege!

Gesundheit und Pandemie

Solidarität mit dem Widerstand in der Ukraine und der russischen Antikriegsbewegung

Weitere Texte der Bundeskonferenz – sowohl angenommene als auch abgelehnte – werden auf der Webseite der ISO und später in einem Sonderheft der Zeitschrift die internationale veröffentlicht.

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