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Wahlsieg der Frente Amplio: Tabare Vazquez – der Lula Uruguays ?

Von Thadeus Pato | 01.12.2004

Als in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Tupamaros in Uruguay den bewaffneten Kampf praktizierten und anschließend in den Gefängnissen der Militärjunta verschwanden, hätte wohl niemand gedacht, dass einer von ihnen dreißig Jahre später als Minister in der Regierung sitzen würde.

Als in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Tupamaros in Uruguay den bewaffneten Kampf praktizierten und anschließend in den Gefängnissen der Militärjunta verschwanden, hätte wohl niemand gedacht, dass einer von ihnen dreißig Jahre später als Minister in der Regierung sitzen würde.

Nach dem erdrutschartigen Wahlsieg des Bündnisses Encuentro Progresista- Frente Amplio-Nueva Mayoria in Uruguay, kurz Frente Amplio1 , geschah eben das: Jose Mujica, einer der Gründer der Stadtguerilla Tupamaros, von 1973 bis 1985 in der Zeit der Militärdiktatur politischer Gefangener und jetzt einer der Führer einer der größten Gruppen in der Frente Amplio der MPP (Bewegung der Volksbeteiligung), ist als Minister für Produktion und Entwicklung vorgesehen.
Der Wahlsieg der Frente Amplio war überwältigend: Sie errang in beiden Kammern des Parlaments die Mehrheit und auch ihr Präsidentschaftskandidat, Tabare Vaquez, siegte im ersten Durchgang. Damit wurde die 150jährige, von den Zeiten der Militärdiktatur unterbrochene, Vorherrschaft der „Blancos“ und „Colorados“ beendet , die sich bisher an der Macht abgewechselt hatten. Sie unterscheiden sich in ihrer Politik kaum und stützen sich traditionell auf unterschiedliche Sektoren der besitzenden Oligarchie.

Arbeitslosigkeit und Schuldenfalle

Dieser Wahlsieg kam nicht von ungefähr. Zum einen ist die Lage der Masse der Bevölkerung in Uruguay katastrophal, die offizielle Arbeitslosigkeit liegt beispielsweise bei 18%, die tatsächliche erheblich höher. Zum zweiten steckt das Land in der Schuldenfalle: einem Bruttosozialprodukt von 19 Milliarden US-Dollar steht eine Auslandsverschuldung von knapp 10 Milliarden gegenüber. Drittens war Uruguay von dem weit größeren Nachbarn Argentinien schon immer wirtschaftlich stark abhängig und der de facto Staatsbankrott dort wirkte sich verheerend aus. Und schließlich war das Reichtumsgefälle schon seit jeher sehr hoch. Im Würgegriff von Weltbank und IWF machte die letzte Regierung das, was alle taten: Sie verscherbelte das staatliche Tafelsilber an ausländische Konzerne. Aber das brach ihr wohl letztlich auch das Genick. Gleichzeitig mit den Wahlen fand ein von der Opposition erzwungenes Referendum zur geplanten Wasserprivatisierung statt und das gewannen die GegnerInnen der Privatisierung haushoch. Die Bevölkerung hatte in den letzten Jahren genug Gelegenheit, zu beobachten, was es für sie bedeutet, wenn öffentliche Güter privatisiert werden.

Vergleiche mit Brasilien

Die neue Regierung wird allerdings erhebliche Probleme bekommen – in ihrer eigenen Partei. Nicht ohne Grund wurde in der uruguayischen Presse immer wieder der Vergleich mit Brasilien gesucht. Auch die Frente Amplio hat einen Präsidenten, der bereits vor der Wahl ankündigte, eine „gemäßigte“ Politik betreiben zu wollen. Sein designierter Wirtschaftsminister gab schon bekannt, dass man zwar Verhandlungen mit den Gläubigern suche, aber auf keinen Fall die Schuldenzahlungen aufkündigen wolle. Und der oben genannte Ex-Tupamaro Mujica sagte in einem Interview, er wolle „die Bourgeoisie zur Ordnung rufen nicht sie beseitigen“. Aber die Forderungen des linken Flügels der Frente Amplio gehen erheblich weiter, und damit ist, wie in Brasilien, wo sich inzwischen die neue Linkspartei PSOL gründete, der Keim für eine Spaltung gelegt. So sieht es auch Ernesto Herrera, einer der Führer der „Corriente del Izquierda“. Als er vor der Wahl in einem Interview mit dem Web-Informationsdienst „Rebelion“ 2 gefragt wurde, ob man von einem Sieg des Volkes sprechen könne, meinte er, einerseits ja. Denn die Masse der ArbeiterInnen, der Leute aus den sozialen Bewegungen und der Jugendlichen und StudentInnen würden es als ihren Sieg begreifen, doch er fügte hinzu: „Aber es würde unverantwortlich sein, zu behaupten, dass wir in der Frage eines radikalen demokratischen, antiimperialistischen oder antikapitalistischen Bewusstseins einen Schritt vorangekommen sind, und ebenso wenig in der Hinsicht, dass sich die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit verändert hätten.“ Herrera stellte außerdem fest, dass sich in der Frente Amplio ein gemäßigt neoliberaler Kurs durchgesetzt hat, der mit dem ursprünglichen antioligarchischen und antiimperialistischen Gründungsprogramm der Frente nichts mehr zu tun habe und der unumkehrbar sei. Und auf die Frage, ob das organisatorische Konsequenzen für die radikale Linke in der Frente haben würde, sagte er, er gehe davon aus, dass es nicht lange dauern werde, bis es zur Konfrontation käme.
Jose Mujica sieht das anders: „Wer die Frente verlässt, geht unter“, sagte er im Interview. Mujica sitzt seit fünf Jahren im Parlament auf einem Senatorensessel und ist der zweitbeliebteste Politiker des Landes. Joschka Fischers gibt es auch in Uruguay.

1 Die Frente Amplio, auf deutsch etwa „breite Front“ ist ein Linksbündnis, das von christdemokratischen und reformistischen bis hin zu revolutionären Gruppen wie der Corriente del Izquierda (Linke Strömung), die mit der 4. Internationale verbunden ist, reicht.
2 www.rebelion.org

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