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Wahlen in Afghanistan: Ein Parlament der Warlords und Drogenbarone

Von M. Anwar Karimi | 01.01.2006

Am 18. September fanden in Afghanistan die Parlamentswahlen statt. Für die 249 Sitze traten 7000 KandidatInnen an.

Am 18. September fanden in Afghanistan die Parlamentswahlen statt. Für die 249 Sitze traten 7000 KandidatInnen an.

12 Millionen Wahlberechtigte waren für die Stimmen­abgabe registriert, aber die Wahlbeteiligung lag bei gerade mal 33%. Der Grund ist für alle Kenner der Verhältnisse ganz offensichtlich: Vor einem Jahr bei der Präsidentenwahl hatten sich noch 70% beteiligt. Aber die Zeit danach hat gezeigt, dass sich an den Lebenslagen nichts ändert. Weiterhin sind viele Schulen geschlossen, die Krankenhäuser sind in einem erbärmlichen Zustand, es gibt keine Arbeit, die Perspektiven sind düster.
Die meisten KandidatInnen waren Kommandeure der lokalen bewaffneten  Banden, die eng mit den Besatzungstruppen und der Karsai-Regierung zusammenarbeiten.
Manipulationen
Sowohl vor der Stimmabgabe wie auch bei der Auszählung wurde massiv Einfluss auf das Wahlergebnis ausgeübt. Nicht wenige Kandidaten haben den umliegenden Stammesführern ein Auto oder gar ein Haus versprochen, wenn sie dafür sorgen, dass in ihrem Stamm die Stimme diesem Kandidaten gegeben wird.
Die Wahlbeeinflussung fand sehr offen und auch direkt vor den Wahllokalen statt. WählerInnen wurden Handys (mit CIM-Karte) angeboten, wenn sie einem bestimmten Kandidaten die Stimme geben. Seriöse Berechnungen (auch von westlichen Stellen) gehen davon aus, dass von den gewählten Kandidaten im Schnitt (!) 500 000 $ an Wahlgeschenken verteilt wurden.

Aber auch direkt an den Wahlurnen wurde massiv manipuliert. Teilweise wurde kurz vor Schließung der Wahllokale von bewaffneten Trupps massenhaft Stimmzettel in die Wahlurnen geworfen. Hinter einer ganzen Reihe der stark gesponserten Kandidaten im Süden und Osten stand der pakistanische Geheimdienst. Im Norden und im Westen wurden die meisten gut bekannt gemachten Kandidaten von den Drogenbaronen unterstützt. Das ist auch den westlichen Regierungen gut bekannt.
Erst knapp zwei Monate nach den Wahlen wurden die Wahlergebnisse amtlich bekannt gegeben und wie erwartet wurde die überwältigende Mehrheit der Sitze von regierungstreuen Warlords gewonnen. Es wurden zwar 73 Frauen gewählt, aber auch sie arbeiten zum Teil mit den Islamisten zusammen.
Die nach den Wahlen stattgefundenen wochenlangen Proteste der Bevölkerung fanden in der westlichen Presse keinen Platz. Die Anhänger vieler fortschrittlicher und unabhängiger KandidatInnen in mehreren Provinzen demonstrierten gegen Wahl- und Volksbetrug. In Jalalabad blockierten sie tagelang die Zählzentren. In Kabul belagerten sie das Büro der teilweise international besetzten Wahlbeschwerde-Kommission, die nach einem internen EU-Bericht mehr als ein Fünftel der fast 5000 eingegangenen Proteste verschlampt hat.
Islamisten und Drogenbarone
Das Bild des Parlaments, das am 19. Dezember seine erste Sitzung hatte, lässt sich so zusammenfassen: politisch wie ethnisch zersplittert, aber dominiert von religiös-konservativen und islamistischen Kräften. Paschtunen und Nicht-Paschtunen halten sich die Waage, 33 Parteien sind vertreten, keine von ihnen mit mehr als 25 und nur acht mit mehr als 10 Sitzen. 19 dieser Parteien sind nach wie vor bewaffnete fundamentalistische Gruppen, viele davon sind mit Karsai verbündet.

Über 80 meist noch aktive Kommandeure – die immer noch in Drogen-Geschäfte verwickelt sind – werden die gerade neu montierten Klappsessel im Provisorischen Parlamentsgebäude (ein Geschenk der indischen Regierung) im Westen Kabuls einnehmen und mit mehreren Dutzend zivilen Islamisten, Mullahs und konservativen Stammesführern je nach Bedarf ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchsetzen. Beherrscht wird das Parlament von einer Allianz von 23 islamistischen Parteien.
DemokratInnen und Linke sind deutlich in der Minderheit. Die prosowjetische ehemalige Volkspartei war bis 1992 an der Macht und ist mit einigen Vertretern, darunter ehemaligen Ministern, aus dem Exil zurückgekehrt. Sie ist jetzt mit 8 Sitzen im Parlament vertreten und versucht nun zusammen mit der Nationalen Demokratischen Front (7 Sitze) und anderen nicht-islamistischen Abgeordneten die Wahl eines Islamisten zum Parlamentspräsidenten zu verhindern.
Der Ausgang der Wahlen insgesamt zeigt aber deutlich, dass Afghanistan sich rückwärts in Richtung Fundamentalismus und Warlordismus bewegt.

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