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Innenpolitik

Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Enteignung?

Von B. B. | 01.12.2008

In der Einschätzung der aktuellen Krise stehen sich zwei grundlegend verschiedene analytische Ansätze gegenüber: Ist es eine Finanzkrise, die reguliert werden muss, oder eine Krise des kapitalistischen Systems, weshalb die Banken enteignet werden sollten. In der Haltung zu den Banken hat sich jedoch ein linker Meinungspol herausgebildet: Geht es nach dem Attac-Ratschlag, dann müssen Banken, denen der Staat mit öffentlichem Geld hilft, durch eine Verstaatlichung unter öffentliche Kontrolle gestellt werden. Die Linke-NRW setzt sich zum Ziel, das ganze Privatbankensystem in öffentliches Eigentum zu überführen und den Banksektor demokratisch zu kontrollieren.

In der Einschätzung der aktuellen Krise stehen sich zwei grundlegend verschiedene analytische Ansätze gegenüber: Ist es eine Finanzkrise, die reguliert werden muss, oder eine Krise des kapitalistischen Systems, weshalb die Banken enteignet werden sollten.

In der Haltung zu den Banken hat sich jedoch ein linker Meinungspol herausgebildet: Geht es nach dem Attac-Ratschlag, dann müssen Banken, denen der Staat mit öffentlichem Geld hilft, durch eine Verstaatlichung unter öffentliche Kontrolle gestellt werden. Die Linke-NRW setzt sich zum Ziel, das ganze Privatbankensystem in öffentliches Eigentum zu überführen und den Banksektor demokratisch zu kontrollieren. Die parteiinterne Strömung Antikapitalistische Linke will die Banken, Versicherungen und Schlüsselindustrien in öffentliche Hand überführen und vergesellschaften. Auch die eher gemäßigte Strömung Sozialistische Linke möchte den gesamten privaten Banksektor in öffentliche Kontrolle und Eigentum überführen, so wie Sparkassen und Genossenschaften es schon sind. Die Gewerkschaftslinke diskutiert die Vergesellschaftung der Banken. Die DKP setzt sich für die Überführung der Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle ein. Ein Teil der Interventionistischen Linken will ebenfalls die Vergesellschaftung der Banken und Konzerne. Der RSB fordert die Enteignung und Vergesellschaftung der Banken und ein einziges europaweites öffentliches Bankinstitut unter Kontrolle der Beschäftigten und KundInnen.

Die weitgehende politische Annäherung der Forderungen an diesem Punkt bildet die Basis für eine überaus notwendige gemeinsame Kampagne zur Enteignung der Banken! Eine solche öffentlichkeitswirksam zu führen, sind die kleineren Organisationen jede für sich alleine nicht in der Lage.
Einschnitt im Bewusstsein
Bei den Kundgebungen der IG Metall zur Tarifrunde zeigte sich, dass die RednerInnen immer dann starken Beifall bekamen, wenn sie die Banken scharf kritisierten. Zweifelsfrei stellt die Gefahr des Zusammenbruchs des internationalen Finanzsystems und die staatliche Rettungsaktion für die Banken mit 480 Mrd. Euro einen wirklichen Einschnitt im Bewusstsein vieler KollegInnen dar.

Aber dieser Einschnitt wird folgenlos bleiben, wenn er sich nicht mit einer politischen Stoßrichtung und Aktion verbindet, die sich gegen das kapitalistische System als Ganzes richtet und das Privateigentum an den Produktionsmitteln in Frage stellt. Die Forderung, die hilft, das Bewusstsein zu einem politischen Klassenbewusstsein zu verdichten, ist die nach Enteignung der Banken, verbunden mit einer entsprechenden politischen Kampagne, die z. B. zu einer Umzingelung des Frankfurter Bankenviertels führt. Sonst besteht die Gefahr, dass sogar faschistische Erklärungsversuche (gegen das „raffende“ Finanzkapital) um sich greifen.
Wer kontrolliert?
Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Kampagne könnten nicht nur die theoretischen Unterschiede in der Analyse, sondern auch die verschiedenen Formulierungen der Forderungen solidarisch miteinander diskutiert werden.

Ob Banken in öffentliche Hand, Verstaatlichung, Vergesellschaftung oder ein einziges europaweites öffentliches Bankinstitut – die unterschiedlichen Forderungen setzen voraus, dass die Banken dem Privatkapital weggenommen, enteignet werden.  Es stellt sich jedoch die Frage: Wer enteignet? Wer kontrolliert?
Würden die Banken verstaatlicht und durch Aufsichtsgremien des demokratischen bürgerlichen Staates kontrolliert („demokratische Kontrolle“?) ähnlich wie heute die Sparkassen oder Genossenschaften, dann wäre nur wenig gewonnen. Eine Staatsbank kann auch innerhalb des Kapitalismus funktionieren. Eine bloße Verstaatlichung würde jede systemsprengende Dynamik ins Leere laufen lassen. Zu negativ sind die Erfahrungen mit den verstaatlichten Betrieben in der DDR oder den sozialdemokratisch und gewerkschaftlich kontrollierten Wirtschaftsbetrieben in Westdeutschland, wo völlig hierarchische, teilweise mafiöse Strukturen existierten, die jede Kontrolle durch die Lohnabhängigen ausschlossen.
Was heißt Vergesellschaftung?
Die Forderung der Vergesellschaftung ist zu allgemein gestellt. Marx sah alle Produktions- und Warenverhältnisse als gesellschaftliche Verhältnisse und damit als Verhältnisse zwischen Menschen an. So ist z. B. die kapitalistische Maschinerie durch Lohnarbeit geschaffen worden und tritt den ArbeiterInnen im Produktionsprozess als Teil des Kapitals, d. h. als Herrschaftsverhältnis zwischen entgegengesetzten Klassen von Menschen gegenüber. Die Vergesellschaftung des Bankkapitals zu fordern, ist im besten Fall unspezifisch, weil das Bankkapital wie das Kapital, die Lohnarbeit, die Maschinerie usw. gesellschaftliche Verhältnisse ausdrückt d. h. „vergesellschaftet“ war und ist. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist eine Klassengesellschaft. „Vergesellschaftung“ soll jedoch meinen, die Banken an die „Gesellschaft“ zu übergeben unter Ausschluss der KapitaleignerInnen.
Inbesitznahme notwendig
Ob Enteignung, Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Öffentliche Hand – alle diese Forderungen können reformistisch oder revolutionär ausgelegt werden. Es wäre sogar ein Fortschritt, wenn die Privatbanken verstaatlicht würden, nicht, weil es dann keine Krise mehr geben könnte, sondern weil die Unantastbarkeit des Privateigentums an Produktionsmitteln aufgehoben würde.

Um aber klarer zu machen, was wir unter „Vergesellschaftung“ verstehen, sollte dem juristischen Begriff der Enteignung die Inbesitznahme der Banken hinzugefügt werden. Demnach sollen die Lohnabhängigen des Banksektors und die KundenInnen selbst die Banken kontrollieren und später sogar in Eigenregie führen – und nicht irgendwelche unternehmerischen oder staatlichen Gremien, in denen dann ein paar abgehobene Belegschaftsvertreter­Innen sitzen. Das Gleiche müsste für die von den Banken kontrollierten Unternehmen gelten.

Die akute Krise des Kapitalismus gibt der radikalen Linken unverhofft die Chance, mit einer gemeinsamen Aktion für die Enteignung der Banken das Massenbewusstsein zu ändern. Nutzen wir sie.

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