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Innenpolitik

Verarmung und Repression

Von Walter W. | 01.11.2006

Unter dem Titel „Empfehlungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der unionsgeführten Länder für die Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt“ ist am 5.10.06 ein Papier aufgetaucht, das neue Maßstäbe in der Bekämpfung von Arbeitslosen setzt. Im Folgenden können allerdings nur die Essentials des zehnseitigen Papiers einschließlich des 18 Punkte umfassenden Forderungskatalogs dargestellt werden.

Unter dem Titel „Empfehlungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der unionsgeführten Länder für die Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt“ ist am 5.10.06 ein Papier aufgetaucht, das neue Maßstäbe in der Bekämpfung von Arbeitslosen setzt.

Im Folgenden können allerdings nur die Essentials des zehnseitigen Papiers einschließlich des 18 Punkte umfassenden Forderungskatalogs dargestellt werden.
Zur Erinnerung – einige Fakten
Der einzelne ALG2-Bezieher (ALG2=Arbeitslosengeld 2) erhält neben der Warmmiete 345 Euro pro Monat, die sich aus dem Sozialhilfesatz von 297 Euro und einem Zuschlag von 48 Euro zusammensetzen. Letzterer Titel ersetzt alle bisherigen Sachleistungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wie Kleidergeld, Anschaffung von Haushaltsgeräten u. ä. Ist eine neue Waschmaschine nötig sinkt das Einkommen rapide unter den Sozialhilfesatz.

Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bilden im Westen der BRD 8% und im Osten 20% der Bevölkerung eine ausgegrenzte Armutsschicht, die zunehmend den Anschluss an die Gesellschaft verliert. Laut Müntefering arbeiten 15-20% für Löhne, die nicht einmal den Lebensunterhalt sichern. Die Kinderarmut ist durch Hartz IV rapide angestiegen, von Rentenabbau, Zweiklassenmedizin, Ausbildungsplatzmisere etc. ganz zu schweigen. Dazu passt es auch, „ältere Erwerbslose möglichst abzuwimmeln“ (junge Welt, 14./15.10.06), wie dies die ARGE Köln in einer Art Modellversuch mit der Unternehmensberatung Roland Berger tut, oder jüngere Erwerbslose (15% in 4 Monaten in Gelsenkirchen) aus dem Leistungsbezug zu befördern.
Vom Optimierungsgesetz zum Maximierungserlass
Die AutorInnen des Papiers konstatieren ein Anwachsen der Bedarfsgemeinschaften von 3,3 Millionen im Januar 2005 auf 4,1 Millionen im Sommer 2006 und eine damit verbundene Ausgabensteigerung von 38,6 Milliarden Euro auf 44,4 Euro. Der fast zweistellige Milliardenüberschuss der Bundesagentur für Arbeit wird diskret verschwiegen. Allein aus NRW wurden im letzten Jahr 600 Millionen Euro für Fördermaßnahmen zurück überwiesen! Als Gründe für die erhöhten Ausgaben werden die höheren Regelsätze, höheres Schonvermögen (ab 1.8.06 um 25 % gesenkt!) und die ineffizienten Verwaltungsstrukturen genannt. Letztere schlagen allerdings mit 3,5 Milliarden Euro deutlich zu Buche.

Ziel soll es sein, die Kosten um 4-5 Milliarden Euro zu senken – zu Lasten der Arbeitslosen natürlich! Die AutorInnen halten sich mit Themen wie der Schaffung neuer Arbeitsplätze erst gar nicht auf und eine Forderung wie der Mindestlohn wird wahrscheinlich als unmittelbare Einführung des Kommunismus per Gesetz gewertet.

Wenn es ans Sparen bei den Arbeitslosen geht, sind der Phantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt. So sollen die Zahlungen der Rentenversicherungsbeiträge – insbesondere für ALG2-Bezieher ohne frühere Rentenansprüche –ganz gestrichen werden. Die Beitragszahlung für Personen, die vom ALG1 zum ALG2 wechseln soll ggf. gekürzt werden.
Die Optionskommunen – der große Bruder lässt grüßen! – sollen unbeschränkten Zugriff auf die Vermittlungsdatenbank der Bundesagentur für Arbeit erhalten, um ein zielgenaues Controlling vor Ort zu gewährleisten. „Fordern und fördern“ wird intensiviert und die „Anreize zur Arbeitsaufnahme“ sollen verstärkt werden.

Der Vorschlag des „Sachverständigenrates“, das ALG2 um 30% zu kürzen, wird verworfen. Am geltenden Regelsatz wird festgehalten. Das bisherige Sanktionssystem (30% Kürzung bei der Verweigerung des ersten Arbeitsangebotes, 60% bei der zweiten Verweigerung und gänzliche Streichung im 3.Fall) soll konsequenter durchgesetzt werden. Hundertprozentige Leistungskürzung ist nun mal nicht zu toppen.

Bleibt das Einkommen ab 401 Euro deutlich stärker anrechnungsfrei, so soll das Einkommen unter 400 Euro voll auf das ALG2 angerechnet werden! Der pauschale Grundfreibetrag von 100 Euro, der bekanntlich ein Leben in Saus und Braus garantiert, ist auf 40 Euro zu senken. Die haushaltsnahen Leistungen bedürfen einer gesonderten Regelung, wahrscheinlich weil die billige Putzfrau des Herrn Bundestagsabgeordneten bei voller Anrechnung ihres Topeinkommens auf das ALG2 keinen Bock mehr aufs Malochen hat.
Die 1 Euro-Jobs bedürfen nach den AutorInnen einer Regelung, die die Aufnahme einer Vollbeschäftigung nicht konterkariert. Um die Arbeitslosen über 50 und unter 25 Jahren wieder ins Boot zu bekommen, zaubert man einen altbekannten Ladenhüter aus dem Zylinder – den Kombi-Lohn! Der Bruttolohn soll bis zu 40% bezuschusst werden, wobei im Sinne der neoliberalen Gerechtigkeit zwei Drittel auf den Unternehmer entfallen. Die maximale Förderung liegt bei 440 Euro für den „Arbeitgeber“ und 200 Euro für den „Arbeitnehmer“. Die Einkommensgrenze von 1300 Euro für Jugendliche und 1600 Euro für Ältere nähren den Verdacht, dass hier keine Spitzengehälter anvisiert werden. Kostenersparnisse erwartet mensch von der Hinzuziehung von Zeitarbeitsfirmen und dem Wegfall passiver Leistungen.
Hartz IV brutal – der Forderungskatalog
Das Controlling vor Ort (Material für die Hausbesuche der „Sozialdetektive“), der Sofortvollzug von Meldeaufforderungen und die Verschärfung der Sanktionen tauchen in dem Papier als erstes auf. Auch die HausärztInnen sind voll suspekte Wesen, denn sonst würde die Forderung den ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur oder den medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten keinen Sinn ergeben. Nach der finanziellen und sozialen Durchleuchtung nun auch der Zugriff auf die persönlichsten und intimsten Daten eines Menschen.

Ein besonderer Beitrag zur christlich-abendländischen Leitkultur besteht darin, Asylbewerben nach 36 Monaten die Erhöhung ihrer Leistungen um 25% auf Sozialhilfeniveau zu verweigern. In einer Zeit, in der der erste Protestant des Landes, Bischof Huber, 345 Euro zum Leben für ausreichend hält, darf einen eine solche Variante christlicher Nächstenliebe nicht verwundern. Wahrscheinlich hätte der saubere Herr seinen Religionsstifter aus Nazareth auch in ein „sicheres“ Drittland abgeschoben.
Erwogen werden auch Sanktionen gegen Personen, die ihr Vermögen „Hartz-fest“ gemacht haben oder angeblich vor der Erwerbslosigkeit ihre Arbeitszeit gezielt verkürzt haben. Im ersteren Fall würde eine legale Handlung im Nachhinein jenseits aller rechtstaatlichen Grundsätze kriminalisiert. Die Arbeitsfähigkeit soll verschärft überprüft werden, denn der gelbe Schein des Hausarztes ist zurzeit noch ein ärgerliches Hindernis bei dem Versuch, dem Erwerbslosen auch die menschenunwürdigste Tätigkeit aufs Auge zu dr&
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Bei kurzfristiger, vorübergehender Hilfeleistung entfallen dann die Sozialversicherungsbeiträge ganz. Dies trifft besonders die Paria der Gesellschaft wie Obdachlose auf Wanderschaft. Wer Termine o. ä. versäumt soll mit einer Gebühr in empfindlicher Höhe belegt werden.
Resümee
Der ganze Text ist ein vorurteilsbeladenes Dokument, das in seinem Zynismus Millionen Menschen stigmatisiert und kriminalisiert. Wir sind aber überzeugt, dass der „Sachverständigenrat“ weder Kosten noch Mühen scheut, dieses Dokument in seiner Schäbigkeit zu übertreffen. Allen Betroffenen ist dringend zu raten, sich an Gewerkschaften, Arbeitslosenzentren und Sozialforen zu wenden, um den Anmaßungen der Agentur für Arbeit und den FallmanagerInnen (also dem „Verfolgungsmanagement“) nicht wehrlos gegenüber zu stehen.

Hartz IV ist eine Triade aus drei Elementen. Es ist ein Enteignungsgesetz (Zugriff auf z. T. jahrzehntelang gezahlte Versicherungsbeiträge), ein Durchleuchtungsgesetz (bezogen auf die sozialen und finanziellen Lebenslagen, medizinische Untersuchungen) und ein Repressionsgesetz (Sanktionen, Sozialdetektive etc.).
Um es zu Fall zu bringen bedarf es einer langen und harten – vornehmlich außerparlamentarisch­en – Auseinandersetzung.


Mehr Infos unter:

www.harald-thome.de  und
www.labournet.de

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