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Venezuelas gescheitertes Referendum – Ursachen und Konsequenzen

Von Thadeus Pato | 01.02.2008

Es war die erste Niederlage von Hugo Chávez an der Wahlurne: Mit 49% der Stimmen gegenüber 50% der Opposition ging die Abstimmung über die Verfassungsreform knapp verloren. Chávez akzeptierte das Votum öffentlich, kündigte jedoch an, dass der Weg zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ weiter beschritten werde. Das Ergebnis täuscht. Vergleicht man die Prozentzahlen mit denen der letzten Wahlen, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich die Kräfteverhältnisse dramatisch geändert hätten.

Es war die erste Niederlage von Hugo Chávez an der Wahlurne: Mit 49% der Stimmen gegenüber 50% der Opposition ging die Abstimmung über die Verfassungsreform knapp verloren. Chávez akzeptierte das Votum öffentlich, kündigte jedoch an, dass der Weg zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ weiter beschritten werde.

Das Ergebnis täuscht. Vergleicht man die Prozentzahlen mit denen der letzten Wahlen, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich die Kräfteverhältnisse dramatisch geändert hätten. Doch dem ist nicht so. Denn in absoluten Stimmen ausgedrückt hat die Opposition nur um 100 000 Stimmen zugelegt. Chávez hat die Abstimmung nicht deshalb verloren, weil so viele seiner AnhängerInnen die Seite gewechselt haben, sondern weil sie sich der Wahl enthalten haben. Insgesamt waren es 2,8 Millionen Stimmen, die ihm im Vergleich zur letzten Wahl fehlten (Das offizielle Endresultat: 4.504.354 Stimmen (50,9%) gegen und 4.379.392(49,29%) für die Reform). Die Rechte feierte natürlich, aber trotz ihrer mit allen Mitteln geführten Kampagne hat sie kaum Boden gewinnen können, auch wenn während der Kampagne einige Provinzgouverneure zu ihr überliefen.
Die Ursachen
Natürlich hat auch die Kampagne der Rechtskräfte zu der massiven Wahlenthaltung der Chávez-AnhängerInnen beigetragen. Venezuela ist ein tiefkatholisches Land und die Kirche hat sich in Gestalt der reaktionären Bischofskonferenz öffentlich gegen die Reform gewandt und in einer der auch unter Chavistas beliebtesten Zeitungen („Ultimas Noticias“ – Neueste Nachrichten) eine zweiseitige Anzeige geschaltet, in der Lügen verbreitet wurden wie die, dass der Staat nun das Recht haben würde, den Eltern ihre Kinder wegzunehmen und dass die Religionsfreiheit abgeschafft würde. Von der Kanzel wurde gewettert, was das Zeug hielt und vor dem „gottlosen Kommunismus“ gewarnt. Überhaupt wirkte sich verheerend aus, dass die Massenmedien weiterhin zum großen Teil in den Händen der Bourgeoisie sind.

Aber das war es nicht allein. Die VenezolanerInnen haben in den letzten Jahren so ihre Erfahrungen mit der neuentstandenen Staatsbürokratie gemacht, die zum Teil mit dem Bürgertum zusammenarbeitet, sich bereichert und teilweise versucht, die inzwischen angestoßenen und teilweise von Chávez selbst unterstützten Ansätze zur Selbstverwaltung und Arbeiter­Innenkontrolle in den Betrieben auszuhebeln. So wurde auch von Teilen der venezolanischen Gewerkschaftslinken offen kritisiert, dass die Ausarbeitung des Verfassungsreformentwurfs weitgehend ohne die Beteiligung des Volkes geschah und ein Teil der radikalen Linken rief zur Wahlenthaltung auf, weil sie in den Änderungen zuwenig an ArbeiterInnenkontrolle und zuviel an Stärkung der zentralen Staatsmacht ausmachten. Und so ist Chávez letztendlich nicht an der Rechten, oder etwa daran, dass die Reform zu radikal war, gescheitert, sondern vor allem daran, dass sie in Richtung auf eine wirkliche, basisdemokratische sozialistische Umgestaltung zu wenig radikal war.
Wie weiter?
Natürlich war die Abstimmung ein Rückschlag. Aber was die realen Kräfteverhältnisse betrifft, so war sie keine schwere Niederlage. Bei den letzten Kundgebungen der beiden Kontrahenten vor dem Urnengang zeigte sich, dass das Lager von Chávez, was die aktive Unterstützung betrifft, ca. fünfmal so stark ist wie die Opposition. Das machte es Chávez auch leichter, sich als guter Verlierer zu präsentieren und gleich in seiner ersten Rede danach erneut zu bekräftigen, dass dieses Resultat an seiner Politik nichts ändern werde. Er befindet sich immer noch in einer Position der Stärke. Dementsprechend bot auch General Baduel, ehemaliger Verteidigungsminister von Chávez und heute einer der Führerfiguren der Rechten, nach der Abstimmung „Verhandlungen“ an. Er weiß, dass er sich real in der Minderheit befindet.

Es bleibt zu hoffen, dass Chávez und die Führung der PSUV den Warnschuss ihrer Anhänger ernstnehmen. Eine erfolgreiche Ausweitung des revolutionären Prozesses kann nur gelingen, wenn die Selbstverwaltung und ArbeiterInnenkontrolle gestärkt, die Staatsbürokratie abgebaut und die Bourgeoisie ihrer Machtmittel, insbesondere ihres Einflusses auf die Massenmedien, beraubt wird. Sonst droht die schleichende Degenerierung des Prozesses und die dann entstehende Enttäuschung könnte den Boden für ein Erstarken der Rechten bereiten.

Eine entscheidende Rolle wird dabei die Frage spielen, ob es gelingt, die sich formierende PSUV, die von Chávez ins Leben gerufene Partei, basisdemokratisch zu organisieren und zu einem wirksamen Gegengewicht gegen die wachsende strukturkonservative Staatsbürokratie zu machen. Daran arbeiten die revolutionären Kräfte in Venezuela. Der Ausgang bleibt offen.

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