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Länder

Venezuela: Permanente Revolution mit Militärs als Revolutionären?

Von Thadeus Pato | 01.02.2006

Im Dezember 2005 gewann der venezolanische Präsident Hugo Chávez die elften Wahlen in Folge, seit er 1998 gewählt wurde. Sein MVR (Bewegung für die fünfte Republik) hat jetzt eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und die bürgerliche Opposition, die die letzten Wahlen boykottierte, ist praktisch nicht mehr vertreten. Gute Aussichten für eine wirkliche Revolution, oder nicht?

Im Dezember 2005 gewann der venezolanische Präsident Hugo Chávez die elften Wahlen in Folge, seit er 1998 gewählt wurde. Sein MVR (Bewegung für die fünfte Republik) hat jetzt eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und die bürgerliche Opposition, die die letzten Wahlen boykottierte, ist praktisch nicht mehr vertreten. Gute Aussichten für eine wirkliche Revolution, oder nicht?

Aber auch diese letzten Wahlen hatten einen Schönheitsfehler: Die Wahlbeteiligung lag mit 25% so niedrig wie nie zuvor. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass in Venezuela, einem zutiefst vom sog. Caudillismo (Führerkult) geprägten Land, Parlamentswahlen traditionell auf weniger Interesse stoßen als die Präsidentschaftswahl, ist dies ein Zeichen, dass der revolutionäre Schwung etwas abgeebbt ist.
Das Problem ist, dass zwar Chávez selbst (ein Militär, der nach zwei erfolglosen Putschversuchen im Jahr 1992 schließlich 1998 regulär zum Präsidenten gewählt wurde) eine charismatische Führungsfigur ist und eine ganze Reihe von populären Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der 80% in Armut lebenden VenezolanerInnen getroffen hat, aber die eigentlichen strukturellen Probleme des Landes bisher nicht angegangen wurden. Das sind auf der konkreten Ebene erst einmal die verbreitete Korruption im Staats- und Verwaltungsapparat, die sich nach zwischenzeitlichen Gegenmaßnahmen durch Umbesetzungen und Kontrollen bereits wieder ausbreitet und zum zweiten, dass die Umverteilung eines Teiles der Öleinnahmen die grundlegend ungerechte Reichtumsverteilung nicht geändert hat. Chávez hat in den letzten Jahren zwar eine Landreform (brachliegendes Land wurde verteilt), die Möglichkeit von Enteignung stillgelegter Betriebe (was auch schon stattgefunden hat), den Stop der Privatisierung der Ölindustrie, die Legalisierung von illegalen Hausbauten in den Slums, die Verdoppelung des Bildungsetats einschließlich Schulspeisungen und eine ganze Reihe anderer sozial positiver Maßnahmen dekretiert .

So wurden u.a. kubanische Ärzte ins Land geholt, um die Gesundheitsversorgung insbesondere auf dem Land zu verbessern. Aber es ist ihm bisher nicht gelungen, eine kollektiv handelnde politische Kraft aufzubauen, die in der Lage wäre, nicht nur die Selbsttätigkeit der Bevölkerung zu befördern, sondern auch dem gesamten Prozess eine einheitliche Stoßrichtung zu geben. Die bolivarischen Komitees, die, gefördert von Chávez, überall aus dem Boden schossen und nach dem Vorbild (und, wie mir ein kubanischer Genosse mitteilte, auf den Rat) der kubanischen CDR (Revolutionäre Verteidigungskomitees) gegründet wurden, sind wenig bis gar nicht zentralisiert und es fehlt eine zumindest minimale gemeinsame politische Grundausrichtung. Als Parteiersatz sind sie genausowenig geeignet wie das MVR, das weniger eine demokratisch strukturierte Partei als ein Bündnis von ChávezanhängerInnen, darunter auch sehr viele reine KarrieristInnen, ist. Aus diesem Grund haben sich auch schon einige neue linke Parteien gebildet, die immer lauter ein konsequentes Weitertreiben der Entwicklung in Richtung auf Verstaatlichung der Banken und der Großindustrie einschließlich ArbeiterInnenselbstverwaltung fordern. Einige davon haben durchaus gewissen Einfluss in der organisierten ArbeiterInnenschaft, aber in der Regel nur regional.
Von Chávez abhängig
Und so hängt der zweifellos stattfindende revolutionäre Prozess in Venezuela immer noch und viel zu sehr an der Person des Präsidenten – und der ist eine sehr zwiespältige Figur. Einerseits sieht er sich – das signalisiert nicht nur die Bezeichnung „bolivarianische Revolution“ – in der Kontinuität des Simon Bolivar, des – durchaus bürgerlichen – charismatischen Führers des antikolonialen lateinamerikanischen Befreiungskampfes, andererseits bezeichnet er sich öffentlich als Sozialisten. Und nach einer kürzlichen Pressemeldung wiederum beschuldigte er öffentlich, nur leicht verklausuliert, die Juden, die internationale Finanzwelt zu kontrollieren. Insgesamt ist er geprägt von seiner militärischen Vergangenheit – kollektive Leitung ist seine Sache nicht.
Und so wird die Zukunft der venezolanischen Revolution davon abhängen, ob es gelingt, eine politische Kraft aufzubauen, die die Dynamik in Richtung Enteignung und Selbstverwaltung vorantreibt. Es gibt Anzeichen dafür, dass auch Chávez und seine BeraterInnen diese grundsätzliche Problematik sehen. Aber die lässt sich nicht per Dekret lösen, dazu bedarf es einer kollektiven Anstrengung, um zu verhindern, dass der revolutionäre Schwung in der Enttäuschung endet.

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