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Länder

Usbekistan: Was macht die Bundeswehr in Zentralasien

Von Thadeus Pato | 01.09.2005

Dass die deutsche Armee in Afghanistan auf UNO-Mission ist, weiß ein jeder und es wird auch immer wieder herzergreifend über den Alltag der deutschen Soldaten berichtet. Weniger auskunftsfreudig sind Presse, Funk und Fernsehen, was die Stationierung von Truppen in Usbekistan betrifft. Auch der kürzliche Aufstand dort wurde sehr sparsam kommentiert.

Usbekistan in seinen heutigen Grenzen ist ein Produkt der Sowjetunion. Ursprünglich von Nomaden und sesshaften Oasenbauern bewohnt, ist  die gesamte zentralasiatische Region um Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan in den letzten  2000 Jahren unter anderem wegen ihrer Bedeutung für den Handel – ein Teil der Seidenstraße verläuft durch Usbekistan –  von den verschiedensten Reichsgründern besetzt worden: Das Alexanderreich hatte hier Einfluss, mit der Ausbreitung des Islam kam das Gebiet dann unter die Herrschaft der Samaniden, die mit dem persisch-arabischen Kalifat verbunden waren. Als nächste kamen die Türken, bzw. Seldschuken, sie wurden dann von den Mongolen verdrängt, Timur Lenk (Tamerlan) und sein Enkel Ulug Beg führten Buchara und Samarkand zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte.
Die eigentlichen Usbeken, die wiederum Tamerlans Nachfolger vertrieben, sind  ein Turkvolk mit gemeinsamer Herkunft mit den Kasachen aus (West-)Sibirien. Ihr Name leitet sich von Usbek Khan ab, als Stammheimat sahen sie die Weiße Horde Shibani Khans. In der Folge herrschten in der Region verschiedene Khanate und Emirate. Im 19. Jahrhundert übernahm schließlich das russische Zarenreich im Wettstreit mit Großbritannien die Kolonialherrschaft. Während das Emirat Buchara und das Khanat Chiwa zwar Territorien an Russland abtreten mussten, jedoch unter russischem Protektorat als eigenständige Staaten bestehen blieben, wurde der dritte zuvor auf dem Gebiet des heutigen Usbekistan bestehende Staat, das Khanat Kokand, vollständig vom Russischen Reich annektiert. Aus den unter russische Herrschaft gekommenen Gebieten in Zentralasien wurde das Generalgouvernement Turkestan gebildet. Nachdem  1917 die Bolschewiki in Taschkent ebenso wie im russischen Kernland die Macht übernommen hatten, wurde aus dem vormaligen Generalgouvernement Turkestan 1918 die Turkestanische Autonome Sowjetrepublik gebildet. Im Khanat Chiwa und im Emirat Buchara wurden 1920 mit Unterstützung der Bolschewiki die Herrscher gestürzt und die Volksrepubliken Choresmien bzw. Buchara ausgerufen. 1924/25 wurden die drei Staaten aufgelöst und aus Teilen davon die Usbekische SSR gebildet. Tadschikistan, ursprünglich ebenfalls Teil davon, wurde 1929 abgetrennt.

Wer herrscht heute in Usbekistan?
Unter Stalin änderte  sich nach der regionalen Neugliederung Ende der zwanziger Jahre die Nationalitätenpolitik. Bis 1934 galten großrussischer und Großmachtchauvinismus in der Parteiideologie als gefährlichste Abweichung und rangierten somit vor dem Nationalismus der früher unterdrückten Völker. Auf dem XVII. Parteitag wurde auf Stalins Veranlassung der Terminus »großrussischer Chauvinismus« aus dem Vokabular gestrichen und »lokaler Nationalismus« wurde zur schlimmsten „Abweichung“ erklärt. Entsprechend wurden in den Säuberungen der dreißiger Jahre die lokalen Parteiführungen komplett ausgetauscht. Nach dem Tod Stalins und Chruschtschows Linienschwenk kam in Usbekistan 1959 Scharaf Raschidow an die Macht, ein lokaler Parteiführer, der bis 1983 herrschte und schließlich über Korruptions- und Fälschungsaffären stolperte.
Der heutige Staatschef Islam Karimov ist selbst ein lupenreines Produkt der sowjetischen Parteibürokratie. Geboren 1938, aufgewachsen im Waisenhaus (in seiner offiziellen Biographie behauptet er allerdings, er stamme aus einer Beamtenfamilie in Samarkand!), ausgebildeter Volkswirt und Mechanikingenieur, arbeitete sich Karimov innerhalb der Bürokratie kontinuierlich nach oben: 1983 Finanzminister der Usbekischen SSR, 1986 stellvertretender Vorsitzender des Ministerkabinetts Usbekischer SSR und Vorsitzender des Gosplan der Republik, 1986 – 1989 erster Sekretär des Regionalkomitees Kaschkadarja, ab Juni 1989 erster Sekretär der Kommunistischen Partei Usbekistans, 1990 Präsident der Usbekischen SSR.
Am 31. August 1991 rief  Karimov die staatliche Unabhängigkeit der Republik Usbekistan aus. 1991 wurde Karimov in einer Wahl, von der wie auch in der Folge die wesentlichen Oppositionskräfte ausgeschlossen blieben, zum Präsidenten der Republik Usbekistan gewählt. Kaum war Usbekistan unabhängig, sicherte sich Islam Karimov die Alleinherrschaft. Regierungskritische Parteien, Medien und religiöse Führer wurden systematisch ausgeschaltet und kriminalisiert. Innerhalb von nur zwei Jahren, bis Mitte 1993, hatte Karimov die säkulare Opposition vollständig zerschlagen und sich einen Machtapparat geschaffen, der die autoritären Strukturen der Sowjetzeit nahtlos fortsetzte.1995 wurde in einem Referendum die Präsidentenvollmacht bis zum Jahre 2000 verlängert. Bei den so genannten Wahlen im Jahre 2000 wurde er erneut Präsident der Republik Usbekistan.

Karimovs Herrschaftssystem
Eine demokratische Tradition existiert in Usbekistan nicht. In der vorsowjetischen Ära herrschten Clanstrukturen vor, die um ein Leninwort abzuwandeln, „nur ganz leicht mit Sowjetöl gesalbt“ wurden. Karimovs autoritäres Herrschaftssystem weist gegenüber den zentralasiatischen Nachbarstaaten, in denen diese alten Strukturen teilweise wiederhergestellt wurden und die – instabile – Grundlage der Machtausübung darstellen, eine Besonderheit auf: Karimov selbst kann sich aufgrund seiner Herkunft (s.o.) auf keinen derartigen Rückhalt stützen. Sein System kann man am besten als Bonapartismus eigener Art charakterisieren – eigener Art, weil er unter anderem auch die Religion für sich zu instrumentalisieren sucht. Seine Macht beruht einerseits auf der Kontrolle des Machtapparates und auf einem sorgfältig austarierten Patronagesystem. Den Einfluss, den früher die Mitglieder des Politbüros hatten, üben heute so genannte Staatsberater aus, deren Anzahl im Schnitt bei zehn liegt. Jedem dieser Berater ist ein bestimmter Wirtschaftsbereich zugeordnet (etwa der Außenhandel, Banksektor etc.) und mit ihrer Hilfe kontrolliert der Präsidentenapparat faktisch alle Ressourcen des Landes und sichert sich die Unterstützung einflussreicher familiärer oder regionaler Netzwerke, aus denen diese Berater in der Regel stammen. Sie bleiben meist nicht länger als zwei Jahre im Amt und werden dann auf andere Posten abgeschoben.
Daneben versucht  Karimov auch den Islam zu instrumentalisieren, er ließ Moscheen renovieren und neu aufbauen, hielt bei seiner Vereidigung zum Präsidenten den Koran in der Hand und machte eine Pilgerfahrt nach Mekka. Trotzdem kommt es aufgrund des wirtschaftlichen Niederganges (das Bruttoinlandsprodukt lag 1999 bei 701 US-Dollar pro Kopf, 2003 wurde es  auf 228 US-Dollar geschätzt) und der Korruption immer mehr  zu Konflikten zwischen einfachen Gläubigen und ihren lokalen Imamen einerseits und der offiziellen islamischen Hierarchie andererseits (das offizielle sunnitische Muftiyat arbeitet eng mit den Repressionsorganen zusammen). Entsprechend geht der Machtapparat Karimovs mit äußerster Brutalität gegen inoffizielle islamische Organisationen und regierungskritische Imame vor. Der kürzlich niedergeschlagene Aufstand ebenso wie die im Land operi
erenden radikalislamischen Widerstandsgruppen sind die logische Reaktion auf diese Form der Herrschaftsausübung.

Ausländische Interessen
Oberflächlich gesehen, benutzen die US-Truppen (1500 Mann, die Karimov jetzt hinauswerfen will) und die Bundeswehr (die 300 Soldaten stationiert hat), Usbekistan ebenso wie Kirgistan (2000 amerikanische und französische Soldaten) und Tadschikistan (150 Franzosen, 30 Amerikaner) lediglich als Stützpunkt zur Versorgung ihrer Truppen in Afghanistan. Unnötig, zu erwähnen, dass es seitens dieser Verteidiger von Freiheit und Demokratie kein böses Wort gegen den usbekischen Alleinherrscher gab. Solange die Diktatoren in den zentralasiatischen Retortenstaaten US-Amerikanern und Europäern zu Willen sind, wird über Wahlfälschung, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung nationaler Minderheiten großzügig hinweggesehen. Denn es gibt in Zentralasien strategische Interessen, die weit über den Afghanistankonflikt hinausreichen. Dabei geht es nicht zuletzt um den Zugriff auf die Bodenschätze, in erster Linie Erdöl und Erdgas. Der Bau neuer, überwiegend amerikanisch finanzierter Pipelines (Baku, Aserbaidschan – Ceyhan, Türkei; geplant ist auch Turkmenistan – Pakistan über Afghanistan) macht eine Kontrolle der Region erforderlich – es geht darum, wer die Nachfolge der Sowjetunion in Zentralasien antritt. Jetzt hat man schon einmal einen Fuß in der Tür. Und da will die Bundesrepublik als Juniorpartner natürlich unbedingt dabei sein…

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