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USA: Die Armee der Armen

Von Harry Tuttle | 01.02.2005

Die meisten Rekruten werden durch die soziale Misere in die US-Armee getrieben. Ihre Unzufriedenheit wächst.

Für die meisten US-amerikanischen Medien ist der Marine James Blake Miller ein Held. Mehr als 100 Zeitungen veröffentlichten das Porträtfoto des Soldaten, aufgenommen während der Kämpfe in Falluja. Miller wurde zum Helden stilisiert, selbst der eher liberale TV-Nachrichtenmoderator Dan Rather fabulierte von dem „Krieger, dessen Augen über den fernen Horizont schweifen.“
Miller selbst waren patriotische Floskeln nicht zu entlocken. Er habe nun einmal die Papiere unterschrieben, bemerkte er knapp über seinen Einsatz in Falluja. Eigentlich wollte der „Krieger“ aus Kentucky Automechaniker werden. Während eines Footballspiel überredete ihn jedoch ein Rekrutierungsoffizier zum Eintritt in die Armee, und „bevor ich wusste was los war, fand ich mich im boot camp [Ausbildungslager für den Drill der Marines] wieder.“

Armee der Minderheiten

Für die Rekrutierung neuer SoldatInnen gibt das Pentagon jährlich 2,5 Milliarden Dollar aus. „Das US-Militär profitiert von einer Wirtschaft, die in wachsendem Maß jene ausschließt, die keinen College-Abschluss haben, von der Kürzung der Stipendien und dem Mangel an erschwinglichen Wohnungen“, stellt das American Friends Service Committee fest. Für viele arme Amerikaner scheint der Eintritt in die Armee der einzige Ausweg aus der sozialen Misere zu sein. Die Arbeitslosigkeit wächst, zudem haben Millionen von „working poor“ (arbeitenden Armen) zwar einen, meist sogar mehrere Jobs, können sich aber dennoch weder eine Wohnung noch eine Krankenversicherung leisten. Das US-Militär verspricht einen krisensicheren Arbeitsplatz, Ausbildung, Unterkunft, soziale Sicherheit und Ansehen.
Seit der Suspendierung der Wehrpflicht nach dem Ende des Vietnamkrieges wurde das US-Militär mehr und mehr zur Zuflucht für arme US-AmerikanerInnen. Da die Armut unter den Minderheiten besonders groß ist und die Aufstiegsmöglichkeiten in der Armee besser sind als in der Privatwirtschaft, sind vor allem AfroamerikanerInnen überdurchschnittlich im Militär (weit weniger in der Berichterstattung über das Militär) vertreten. Bei den in der Region des Persischen Golfs stationierten Bodentruppen beträgt der Anteil der AfroamerikanerInnen fast 30 Prozent, ihr Bevölkerungsanteil in den USA liegt bei 12 Prozent.
Lange Zeit war der Job wenigstens nicht allzu gefährlich. Die gewaltige Überlegenheit der Technologie und der Feuerkraft ermöglichte der US-Regierung für ihre eigenen SoldatInnen relativ unblutige Kriege. Im Irak dagegen hat die Zahl der getöteten US-SoldatInnen 1300 überschritten (die viele größere Zahl der Verwundeten ist unbekannt). Die militärische Überlegenheit kann Anschläge nicht verhindern, zudem mussten die GIs in Falluja und anderen Städten zum Straßen- und Häuserkampf antreten, in dem sich die technologische Stärke nur begrenzt auswirkt.
Die Unzufriedenheit in der Armee wächst. Politischer Protest ist noch eine Ausnahme, doch selbst halboffizielle Militärzeitungen wie Army Times oder Stars and Stripes veröffentlichen kritische Artikel über die Kriegführung und die Militärpolitik. Wesentlich bedeutsamer ist jedoch die wachsende Zahl der von SoldatInnen betriebenen Webseiten und Diskussionsforen im Internet, die teils der internen Debatte dienen, sich in vielen Fällen aber auch an die Öffentlichkeit wenden. Sie können als ein erster Versuch der Selbstorganisation gelten, und bereits seit dem vergangenen Jahr untersucht das Pentagon, bislang zum Glück vergeblich, Möglichkeiten, den e-mail-Verkehr der SoldatInnen zu kontrollieren.

Debatten unter den GIs

Ausgangspunkt ist meist die miserable Lage der Soldaten im Irak: verlängerte Dienstzeiten im Kampfgebiet, die Kürzung des Solds für Verwundete, die Streichung von Sozial- und Ausbildungsprogrammen, die schlechte Versorgung der Familien und ähnliches mehr. Doch auch Webseiten wie Soldiers for the Truth (www.sftt.org), deren Autoren die US-Kriegsziele mehrheitlich bejahen, kritisieren beispielsweise die Bombardierung von Wohngebieten. „Amerikanische Regierungsvertreter glauben, dass Terror-Bombardierungen den Widerstand spalten werden. Doch die gesamte Geschichte des Luftkrieges zeigt, dass das Gegenteil der Fall sein wird“, schreibt William S. Lind, der als Direktor des Center for Cultural Conservatism der Sympathien für die Linke unverdächtig ist. Operation Truth (www.optruth.org) sammelt vor allem Erfahrungsberichte von SoldatInnen und klärt sie über ihre Rechte auf.
Das Bündnis zwischen Antikriegsbewegung und oppositionellen US-Soldaten war entscheidend für die Beendigung des Vietnamkrieges. Der Widerstand der (damals überwiegend wehrpflichtigen) Soldaten stellte die Kampffähigkeit vieler Einheiten in Frage, mehrere hundert Offiziere wurden damals von „ihren“ Soldaten getötet, weil sie sie schikanierten oder zu großen Gefahren aussetzten.
Angeschlossen an die Friedensorganisation Not in Our Name gibt es auch eine Webseite GI Special (www.notinour-name.net/gi-special), die sich speziell an SoldatInnen wendet. Von Zuständen wie in Vietnam ist das US-Militär derzeit weit entfernt, und es gibt auch zahlreiche überzeugte Reaktionäre und Militaristen in der Armee. Doch viele SoldatInnen finden es nicht mehr unehrenhaft, über die eigene Angst und die Zweifel an ihrem Auftrag zu sprechen. Die ArbeiterInnen und Arbeitslosen in Uniform sind nicht mehr ohne weiteres bereit, sich von Bush und Rumsfeld als Kanonenfutter verwenden zu lassen.

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