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US-Wahl: Die Rückkehr der Machos

Von Harry Tuttle | 01.12.2004

Seinen überraschend klaren Wahlsieg verdankt Bush der Verbreitung reaktionärer Werte in der US-Gesellschaft.

Seinen überraschend klaren Wahlsieg verdankt Bush der Verbreitung reaktionärer Werte in der US-Gesellschaft.

An Unterstützung hatte es John Kerry nicht gefehlt. Liberale Intellektuelle warben mit der Internetkampagne MoveOn für ihn, GewerkschafterInnen schwärmten als Wahlhelfer aus, die Friedensbewegung demonstrierte, BügerrechtlerInnen protestierten, und mit Bruce Springsteen und Eminem konnte der Kandidat der Demokraten die Popikonen der alten wie der jungen Generation für sich einspannen.
Doch auch die Republikaner mobilisierten ihre AnhängerInnen. Anders als in Deutschland ist der Konservatismus in den USA eine aktivistische Massenbewegung mit schlagkräftigen Organisationen. Die bedeutendste Fraktion ist die christliche Rechte, der etwa ein Viertel der US-Bevölkerung zugerechnet wird. Hinzu kommen einflussreiche Verbände wie die Waffenlobby National Rifle Association.
Moral Values
Die republikanische Bataillone gewannen die Schlacht. Mit einer überraschend hohen Mehrheit von etwa 3,5 Millionen Stimmen wurde George W. Bush wieder gewählt. Liberale und linke US-AmerikanerInnen rätseln seit dem 2. November, wie es dazu kommen konnte. Denn selbst nach konservativen Kriterien ist die Bilanz der ersten Amtszeit Bushs nicht gerade überwältigend. Mehr als 1000 US-Soldaten starben im Irakkrieg, das Budgetdefizit droht 500 Miliarden Dollar zu überschreiten und seit Herbert Hoover, der während der Weltwirtschaftkrise 1929 regierte, gingen unter keinem Präsidenten so viele Jobs verloren wie unter Bush.
Jene 43 Millionen US-AmerikanerInnen, die nicht krankenversichert sind, und das ständig wachsende Heer der „working poor“, die einen oder mehrere Jobs haben, aber dennoch unter der Armutsgrenze leben, hatten eigentlich wenig Anlass, Bush zu wählen. Allerdings hatte auch Kerry ihnen wenig zu bieten. Abgesehen von einer Erhöhung des Mindestlohnes und der vagen Zusage, Bushs Steuersenkungen für die Bourgeoisie noch einmal zu überprüfen und die öffentliche Gesundheitsversorgung zu verbessern, unterblieben selbst Wahlversprechen.
Doch der Wahlsieg Bushs scheint vor allem der Erfolg einer konservativen Mobilisierung gewesen zu sein. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 60 Prozent für US-Verhältnisse sehr hoch, 15 Millionen US-AmerikannerInnen mehr als im Jahr 2000 gaben ihre Stimme ab. Nach ihren Kriterien gefragt, gaben knapp 25 Prozent der WählerInnen „moral values“ als ausschlaggebend für ihre Entscheidung an. Darunter sind konservative religiöse Werte zu verstehen. In dieser Hinsicht moderner als die europäische Rechte, hat Bush den religiösen Konservatismus weitgehend vom Rassismus der WASPS (weißen angelsächsischen Protestanten) gelöst. Der Kampf gegen die Homo-Ehe, das religiöse Hauptthema der Wahlen, sprach auch schwarze ChristInnen, asiatische Konfuzianer und lateinamerikanische KatholikInnen an.
Indirekt hat Bush aber auch ein anderer reaktionärer Trend unterstützt: Die Wiederkehr des ungehemmten Machotums auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Eminems homophobe Texte, die von vielen Rappern propagierte Gewalt gegen Frauen, das Hohelied des in Stahlgewittern tapfer kämpfenden Marineinfanteristen und Arnold Schwarzeneggers Spott, nur „girlie men“ würden sich Sorgen über die Wirtschaftslage machen, sind nur verschiedene Ausdrucksformen eines gesellschaftlichen Rollbacks gegen den Feminismus und die Gleichberechtigung von Homosexuellen.

Einseitiger Kulturkrieg

Kerry hat versucht, diesen Trend zu nutzen, indem er seine Kampferfahrung in Vietnam zum Wahlkampfthema machte. Doch Bush gelang es, überzeugender den „Kriegspräsidenten“ zu mimen, dessen intellektuelle Fähigkeiten begrenzt sein mögen, der aber standhaft zu seinem Glauben und seinen Taten steht und mehr Vertrauen verdient, weil er trotz seines Reichtums die Sprache „Joe Sixpacks“, des patriotischen Arbeiters, spricht.
Die einzige Gruppe weißer Männer, die überwiegend Kerry wählten, waren organisierte Gewerkschafter. Doch nur 13 Prozent der Beschäftigten in den USA sind gewerkschaftlich organisiert. Die Folgen der kapitalistischen Vergesellschaftung, die größer werdende Armut sowie die stärkere Vereinzelung und Konkurrenz, haben in weiten Teilen der US-Gesellschaft zu einer Renaissance reaktionärer Werte geführt. Die Angst vor Anschlägen, die durch eine geschürte Terrorhysterie instrumentalisiert wurde, hat diesen Trend verstärkt.
Die Demokraten haben dem eine „ja, aber“-Version der Bush-Politik entgegengesetzt, um konservative WählerInnen nicht zu verschrecken. Auch der größte Teil der US-Linken hat den Anpassungskurs mitgetragen. Geplante Mobilisierungen wie eine gewerkschaftliche Massendemonstration in Washington unterblieben, der von der Rechten ausgerufene „cultural war“ (Kulturkrieg) blieb unbeantwortet.
Die US-Wahlen belegen nicht nur die Effizienz der republikanischen Wahlkampfmaschine. Sie zeigen auch, dass reaktionäre Antworten auf die kapitalistische Krise auch ohne Zutun reaktionärer DemagogInnen an der Basis der Gesellschaft entstehen, in den Slums der Großstädte ebenso wie in den Kirchen bibeltreuer Schweinezüchter im Mittleren Westen. Mehr denn je ist der Klassenkampf im 21. Jahrhundert auch ein „Kulturkrieg“, der der reaktionären Demagogie ein umfassendes Projekt der gesellschaftlichen Befreiung entgegenstellen muss.

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