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Innenpolitik

Über Regierungsbeteiligungen ohne die Staatsfrage diskutieren?

Von B. B. | 01.02.2006

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Seit Dezember ist auf der Homepage der WASG die Debatte über Regierungsbeteiligungen eröffnet. Joachim Bischoff, Björn Radke, Axel Troost und Murat Cakir positionieren sich als „kritische” Unterstützer von Regierungsbeteiligungen, einige LinkssozialistInnen halten dagegen. Obwohl Regierungen Leitungsorgane des kapitalistischen Staates sind, wollen weder die einen noch die anderen über dessen Klassencharakter diskutieren.

Seit Dezember ist auf der Homepage der WASG die Debatte über Regierungsbeteiligungen eröffnet. Joachim Bischoff, Björn Radke, Axel Troost und Murat Cakir positionieren sich als „kritische” Unterstützer von Regierungsbeteiligungen, einige LinkssozialistInnen halten dagegen. Obwohl Regierungen Leitungsorgane des kapitalistischen Staates sind, wollen weder die einen noch die anderen über dessen Klassencharakter diskutieren.

Wer die Diskussion in PDS und WASG verfolgt, den können die Argumente von Bischoff, Radke, Troost und Cakir nicht überraschen. Geschickt der linken Kritik entgegenkommend beziehen die Vier eine „kritische Position” gegenüber Regierungsbeteiligungen der Linkspartei.PDS.
Die vier „aber”
Am Beispiel Berlin müsse die bundespolitische Verantwortung stärker eingefordert werden, vor allem seien dort vom Senat Spielräume nicht genutzt worden (Troost), … aber
…relevante Steuergesetze werden auf Bundesebene gemacht, auf dieses Problem gebe es bisher noch keine ausreichenden Antworten… Troost findet dann aber selber eine: „Es ist die Aufgabe der Berliner Parteien, auf hohem intellektuellen Niveau gemeinsame Anstrengungen zu entwickeln”. Vergeblich also die Hoffnungen der WASG-Mitglieder, die in ihrem (Wahl)Programm „ausreichende Antworten” suchen. Diese werden dann „auf hohem intellektuellen Niveau” mit der neoliberalen Berliner SPD „entwickelt” d.h. übernommen.
Für Troost befinden sich „die wichtigsten Instrumente für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, für die Sicherung ausreichender öffentlicher Finanzierungsmittel, für die Stabilisierung der Systeme der sozialen Sicherung etc. fast ausschließlich auf der Ebene des Bundes”. Demnach setzt also nicht die Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse alternative Lösungen wie radikale Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn und Enteignung der Konzerne durch, sondern … der „Bund” mittels seiner „Instrumente”. Troost landet beim hilflosen Appell an den bürgerlichen Staat als angeblich handelndem Subjekt fortschrittlicher gesellschaftlicher Veränderung. Von da ist es zu „linken” Ministerien in neoliberalen Regierungen nicht weit.

Nach Murat Cakir hat der „rot-rote” Senat in Berlin gravierende Fehlentscheidungen getroffen und für die Betroffenen unzureichende Ergebnisse erzielt, … aber… man müsse sich doch mit den Regierungsbeteiligungen „differenziert” auseinandersetzen und die Konsequenzen einer geforderten Beendigung „gründlich analysieren”. Der Ausstieg aus Regierungsbeteiligungen sei eine viel zu „einfache” Antwort auf eine „komplexe” politische Frage.
Immerhin ist sie nicht so „komplex”, als dass die Bourgeoisie der drittstärksten imperialistischen Ökonomie der Welt die Verwaltung ihrer Hauptstadt der PDS nicht anvertrauen würde. Leider verzichtet Cakir gänzlich darauf, unser Wissen durch Argumente, die die Analyse vertiefen, die Unterschiede erklären und die Komplexität erhellen, zu bereichern.
Und damit sind wir bei Joachim Bischoff und Björn Radke, die eingestehen: „Die Regierungskoalitionen unter Beteiligung der Linkspartei haben eine Reihe von Entscheidungen (…) getroffen, die zurecht Kritik und Protest hervorrufen” … aber, aber … „die Linke muss bereit sein, in schwierigen Zeiten Verantwortung zu übernehmen”. Wer hier stutzt, dem wird nachgeholfen: „Es macht keinen politischen Sinn, auf absehbare Zeit die Aufgaben des Regierens auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene immer nur den neoliberalen Parteien zu überlassen. Dafür werden wir nicht gewählt”. Für die ganz Unverständigen hält Troost ein noch schlagenderes Argument bereit: „Wäre die Linkspartei nicht an der Regierung beteiligt, gäbe es eine andere Koalition, die ebenfalls Sozialabbau betriebe”. Also betreiben doch lieber wir – die Linkspartei – den Sozialkahlschlag, bevor es andere Parteien tun. Das nennt sich dann Kampf gegen den Neoliberalismus.

Bischoff, Radke, Troost und Cakir argumentieren ganz auf der Linie von Michael Brie, einem der Theoretiker der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In seiner Analyse „Ist die PDS noch zu retten?” kritisierte Brie die Regierungspolitik der PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, trat aber nicht für einen Ausstieg, sondern für eine andere Politik der PDS in den Landesregierungen ein. Das war im Mai 2003. Man sollte meinen, dass die PDS im Berliner Senat Zeit genug gehabt hätte, ihre Politik entsprechend Bries Vorschlägen zu korrigieren. Von damals bis heute fand aber keine Wende des Berliner SPD/PDS-Senats hin zu Bries „Reformalternativen” statt und konnte im Rahmen des kapitalistischen Staates auch nicht erfolgen. Aus der Unfähigkeit der Berliner PDS zur Selbstreform haben weder Brie noch Bischoff Konsequenzen gezogen.
Die Strategie hinter Regierungsbeteiligungen
Die Antworten der LinkssozialistInnen auf die Argumente Bischoffs, Radkes, Troosts und Cakirs fallen leider unverhältnismäßig schwach aus. Sicherlich ist es richtig, noch einmal all die neoliberalen Glanztaten aufzuzählen, die gegen die Regierungspolitik in Berlin sprechen: Ausstieg aus Tarifverträgen, Umsetzung von Hartz IV, massive Lohnkürzungen… Aber nach der Strategie, die Joachim Bischoff verfolgt, nach seiner Einschätzung des kapitalistischen Staates, nach dem grundlegenden Weg gesellschaftlicher Veränderungen fragt kaum einer seiner linken KritikerInnen.
Joachim Bischoff hat sicherlich zu diesen Fragen gefestigte Positionen, die spannend zu diskutieren wären. Er fordert auch eine offene Debatte, stellt aber seine strategischen Vorstellungen nicht zur Diskussion, wie ja vieles in der Wahlalternative unausgesprochen bleibt. Vermutlich ist Bischoff heute, ähnlich wie früher als Theoretiker von PDS und SOST, der Ansicht, dass der bürgerliche Staatsapparat in ein Instrument der Lohnabhängigen und aller anderen vom Monopolkapital ausgebeuteten Schichten zu verwandeln sei. Geändert haben sich nur die Formeln: Die „anti-neoliberale Hegemonie” hat die “antimonopolistische Demokratie” ersetzt, das Bündnis aller nicht-neoliberalen Klassen und Schichten das aller nicht-monopolistischen. Das Resultat ist das gleiche: Nach beiden Formeln wird ein Bündnis der Lohnabhängigen mit “anti-monopolitischen” bzw. „anti-neoliberalen” Teilen der KapitaleignerInnen zum entscheidenden Schritt. Die Strategie zur Inbesitznahme des kapitalistischen Staatsapparates soll in Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen gipfeln.

Offener als Bischoff schrieb Michael Brie 2003 in seiner o. g. Ana
lyse: „Der Aufbau einer starken und attraktiven Formation außerhalb von SPD und Grünen ist die notwendige Bedingung dafür, dass sich auch in diesen Parteien Voraussetzungen für einen Richtungswechsel und eine zukünftige Mitte-Links-Koalition bilden, in deren Zentrum ein sozialer, demokratischer und ziviler Gesellschaftsvertrag stehen würde. Diese Formation könnte sich durch ein Bündnis von PDS mit anderen linken sozialen Kräften bilden (PDS Plus)”.
Fazit: Die Strategie der WASG ist die gleiche Strategie wie die der Linkspartei.PDS. Ein früherer Theoretiker der PDS, nennen wir ihn einfach Joachim B., hat diese Strategie der Gesellschaftsveränderung mit seiner (Doppel?)Mitgliedschaft in der WASG und seinem kometenhaften Aufstieg zu ihrem Cheftheoretiker gleich mitgebracht. Offen diskutiert wurde sie in der Wahlalternative nie.
Welchen „Gebrauchswert” hat die PDS für die SPD?
Seit dem Eintritt des Sozialisten Millerand 1898 in eine bürgerliche Regierung in Frankreich gab es in der Geschichte der Arbeiterbewegung weltweit Dutzende, wenn nicht mehrere hundert Beteiligungen von SozialistInnen und KommunistInnen an Regierungen kapitalistischer Staaten. Die meisten endeten so wie die Beteiligung der Linkspartei.PDS am Berliner Senat enden wird: Nachdem der Senat die sozialen Einrichtungen in Berlin drastisch gestrichen, gekürzt, zerschlagen und verramscht hat, bekommt die PDS –vielleicht schon nach der nächsten Wahl – von der SPD einen Fußtritt. Denn ihr „Gebrauchswert” für die SPD besteht einzig und allein darin, dass die Linkspartei.PDS ihre starke Anhängerschaft in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nicht gegen den neoliberalen Sozialkahlschlag der gleichen Regierung mobilisiert, der sie selber angehört.
Das Berliner Beispiel zählt allerdings noch zur „harmlosen” Variante linker Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen. Denn wie nach dem 2. Weltkrieg in Frankreich und Italien benötigen die herrschenden Kapitalkreise gerade in Krisenzeiten und revolutionären Situationen linke Regierungsbeteiligungen. Für ein paar Ministerposten besorgten 1945-46 PCF bzw. PCI die Entwaffnung der starken revolutionären Partisanenbewegungen. Nach Befriedung der ArbeiterInnenklasse und Beendigung der revolutionären Krisen flogen die kommunistischen Minister wenige Jahre später in hohem Bogen aus den Regierungen. Die ArbeiterInnenklasse war buchstäblich „entwaffnet”.
Rosa Luxemburg und Lenin
In der Debatte um Regierungsbeteiligungen geht es mehr als nur um einzelne Beispiele, bei denen konkret die Senatspolitik der Berliner Linkspartei.PDS für die Lohnabhängigen als neoliberal erfahrbar ist. Es geht auch um eine prinzipielle Argumentation, wie sie Rosa Luxemburg 1898 gegenüber dem ersten Eintritt eines Sozialisten in eine bürgerliche Regierung und Lenin zur Zeit der Oktoberrevolution in Staat und Revolution entwickelten. Rosa Luxemburg schrieb zum Fall des sozialistischen Ministers Millerand: „Vom Standpunkt der opportunistischen Auffassung des Sozialismus, wie sie in der letzten Zeit in unserer Partei namentlich in den Theorien Bernsteins laut wurde, das heißt vom Standpunkt der stückweisen Einführung des Sozialismus in die bürgerliche Gesellschaft, muß auch der Eintritt der sozialistischen Elemente in die Regierung ebenso erwünscht wie natürlich erscheinen. Kann man einmal den Sozialismus überhaupt allmählich, in kleinen Dosen in die kapitalistische Gesellschaft einschmuggeln, und verwandelt sich andererseits der kapitalistische Staat von selbst allmählich in einen sozialistischen, dann ist eine fortschreitende Aufnahme von Sozialisten in die bürgerliche Regierung sogar ein natürliches Ergebnis der fortschreitenden Entwicklung der bürgerlichen Staaten, ganz entsprechend ihrer angeblichen Annäherung zur sozialistischen Mehrheit in den gesetzgebenden Körpern. Stimmt der Fall auf diese Weise mit der opportunistischen Theorie, so entspricht er nicht minder der opportunistischen Praxis”. Rosa Luxemburg war für die Wahl von SozialistInnen in Parlamente, aber sie war wie im Fall Millerand gegen eine „linke” Regierungsbeteiligung.

Mehr noch als Rosa Luxemburg hat Lenin die marxistische Position zum Staat wiederhergestellt. „Nach Marx” und Lenin „ist der Staat ein Organ der Klassenherrschaft, ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere”. Demnach ist „die Ablösung des bürgerlichen Staates durch den proletarischen ohne eine gewaltsame Revolution unmöglich”. Für Lenin „besteht der marxsche Gedanke darin, daß die Arbeiterklasse `die fertige Staatsmaschine` zerschlagen, zerbrechen muß”.
Sicherlich hat sich seit 1898 und 1917 vieles an den Aufgaben und Strukturen des bürgerlichen Staates verändert. Aber im Wesentlichen ist er ein Organ der kapitalistischen Herrschaft, der Aufrechterhaltung der Ausbeutungsverhältnisse und zur Unterdrückung der ArbeiterInnenklasse geblieben. Es ist kein Zufall, dass Lenins Schrift Staat und Revolution zur Zeit der Oktoberrevolution, in einer Glanzphase emanzipatorischen und revolutionären Denkens geschrieben wurde, als die revolutionären SozialistInnen in ganz Europa unmittelbar vor der Aufgabe des Sturzes des  Kapitalismus standen, so wie es auch kein Zufall ist, dass heute der Wunsch nach linken Regierungsbeteiligungen in Zeiten einer lang anhaltenden neoliberalen Offensive, nach einem über fünfzehnjährigen Niedergang der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung laut wird.
Und Oskar? Und Gregor?
Während sich auf der WASG-Homepage die linken KritikerInnen mit Bischoffs und Troosts Argumenten auseinandersetzen, halten sich Oskar Lafontaine und Gregor Gysi vornehm zurück. Sie begeben sich nicht in die Niederungen der Theorie. Und schon recht bald werden all diejenigen LinkssozialistInnen, die sich so bemüht in die Vereinigungsdebatten und Diskussionsforen einbringen, merken, dass ein, zwei Parteitagsreden von Oskar und Gregor alle ihre Argumente in der PDS und in der „PDS-Plus” vom Tisch wischen.

 

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