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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifverhandlungen, Streiks und Abschlüsse im Einzelhandel

Von Paul Brandt | 01.01.2014

Erfolge, aber keine Entwarnung bei den Zielen der Unternehmerverbände.
Die Tarifverhandlungen im Einzelhandel 2013 gehörten zu den längsten der letzten Jahre, und sie sind zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Avanti für die Beschäftigten in den Bundesländern bzw. in den Tarifbezirken Berlin-Brandenburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen-Bremen noch nicht entschieden.

Erfolge, aber keine Entwarnung bei den Zielen der Unternehmerverbände.
Die Tarifverhandlungen im Einzelhandel 2013 gehörten zu den längsten der letzten Jahre, und sie sind zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Avanti für die Beschäftigten in den Bundesländern bzw. in den Tarifbezirken Berlin-Brandenburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen-Bremen noch nicht entschieden.

Den ersten Abschluss gab es am 5. Dezember 2013 in Baden-Württemberg, auf den sich im weiteren Verlauf die Tarifverhandlungspartner in anderen Ländern bezogen und entsprechende Abschlüsse vereinbarten.
Erfolge
Die Tarifabschlüsse sehen über einen Zeitraum von zwei Jahren Lohn- und Gehaltssteigerungen von 5,1 Prozent vor, bei der Vergütung für Auszubildende beträgt die Erhöhung bis zu 8 Prozent. Konkret bedeuten diese Erhöhungen besonders in den niedrigen Lohngruppen wie z. B. den WarenverräumerInnen (Regale auffüllen) mit den Zuschlägen von 20 Prozent für die Arbeit zwischen 20 und 22 Uhr einen Stundenlohn von 11,45 Euro, was ein spürbares Plus ausmacht.

Der zweite wesentliche Punkt der Tarifverhandlungen war der Streit um die Beibehaltung des Manteltarifvertrages. Aus unserer Sicht ist dieser Streitpunkt mindestens genauso bedeutsam wie die tariflichen Entgelterhöhungen für die Kolleginnen und Kollegen. Vereinbart wurde nun, dass der Manteltarifvertrag seine Gültigkeit und Verbindlichkeit behält. Dass dieses Ergebnis erreicht wurde, ist ein wirklicher Erfolg der Streik- und Protestaktionen unter Führung der Gewerkschaft ver.di, der nicht unterschätzt werden sollte, insbesondere wenn die Ausgangslage erinnert wird.

Im Januar 2013 kündigte der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDV) sämtliche gültige Tarife mit den Gewerkschaften, einschließlich die Manteltarifverträge. Als Begründung dafür gaben die UnternehmerInnen an, dass z. B. die Regelungen über Arbeitszeiten, -gestaltung und Eingruppierungen teilweise noch auf Regelungen aus den 50er Jahren beruhten; dies müsse den neuen Verhältnissen angepasst werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist allerdings der Hinweis, dass eben diese Verbände ihre Mitarbeit im Demografie- und Tarifprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (!) bereits Ende 2012 abgesagt haben. Bei diesem Projekt soll es im Wesentlichen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehen, einem Prestigeprojekt der damals verantwortlichen Ministerin von der Leyen. Fairerweise muss eingeräumt werden, dass durch umgesetzte Projekte dieser Art zumindest familiäre Interessen wieder in den Blick betrieblicher Organisation in Dienstleistungsbereichen gekommen sind.

Derartige Interessen leiteten aber nicht die Überlegungen des HDV. Hier hätten die UnternehmerInnen in den letzten Jahren jede Menge Gelegenheiten nutzen können, die Arbeitsorganisation im Interesse der Beschäftigten zu verbessern; das Gegenteil wurde praktiziert.
Die Lage
Im deutschen Einzelhandel arbeiten nach tariflichen Vereinbarungen 2,7 Millionen Menschen, davon etwa Zweidrittel Kolleginnen. Die Teilzeitarbeit im Einzelhandel liegt bei 40 Prozent – mit der Folge, dass im Jahr fast 1,5 Milliarden Euro aufstockende Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung gezahlt werden müssen, damit das reale Einkommen nicht unter den Hartz-IV-Satz fällt. Wir dürfen also davon ausgehen, dass ein erheblicher Anteil der Teilzeit-KollegInnen nicht zur Gruppe der sogenannten Hinzuverdiener zu zählen sind, damit das neue Auto oder die zweite Urlaubsreise drin sind, sondern weil das Geld schlicht zur durchschnittlichen Lebensführung gebraucht wird. Die Zeiten, in denen ein durchschnittliches Einkommen in der Familie ausreichte, sind längst vorbei. Vor diesem Hintergrund sind dann auch die vereinbarten Entgelterhöhungen keine Sprungbretter in die Fettlebe, es sind keine Geschenke, sondern erstrittene Teile von dem, was den Lohnabhängigen ohnehin gehört.

Wer heute im Einzelhandel arbeitet, muss seit langem ein erhebliches Maß an Flexibilität aufbringen, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Die massive Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, in manchen Häusern rund um die Uhr, hat zu enormen Belastungen in der Lebensführung vieler Kolleginnen und Kollegen geführt. Familie im weitesten Sinne, Freizeitgestaltung und Erholung kommen zu kurz. Wenn bedacht wird, dass immer noch die Frauen den Großteil der Reproduktionsarbeit in Haushalt und Familie tragen, dann wirft dies ein Licht auf die Lebensumstände eines großen Teils der Beschäftigten, das sogenannte „Private“, das ganz Persönliche, bleibt auf der Strecke. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet unter dem ehemaligen rot-roten Senat von Berlin die Einkaufstage an Sonn- und Feiertagen massiv ausgeweitet wurden – die Kirchen standen bei diesem Thema auf der Seite der Beschäftigten.
Was noch aussteht
Mit den Tarifabschlüssen wurde vereinbart, dass 2014 Gespräche zur Überarbeitung des Manteltarifvertrages, hier besonders der Arbeitszeitregelungen, erfolgen sollen. Diese Verhandlungen sollten nicht u
nterschätzt werden, denn im Manteltarifvertrag geht es um das „Wie“ der Arbeitsgestaltung. Hier ist keine Entwarnung angesagt, sondern weiterhin die Unterstützung der Beschäftigten im Einzelhandel erforderlich.

Auffallend war bei den bisherigen Tarifauseinandersetzungen die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen durch kompromisslos linke Kräfte innerhalb und außerhalb von ver.di. In Berlin-Brandenburg gab es bisher gelungene öffentliche Unterstützungs- und Protestaktionen vor und in Kaufhäusern, die ohne diese Solidarität wesentlich problematischer gewesen wären. Auf einer der größeren öffentlichen Kundgebungen von ver.di in Berlin mit anschließendem Demonstrationszug durch die Schlossstraße (Ähnlichkeiten mit dem Monopoly-Spiel sind durchaus vorhanden) war das Engagement junger linker AktivistInnen unübersehbar. Ein zu der Zeit in Berlin weilender Genosse unserer griechischen Sektion OKDE-Spartakos sprach vom ver.di-Wagen aus einen Solidaritätsgruß für die Streikenden, der bei der Versammlung gut ankam.
Respekt
Insgesamt verdienen die Kolleginnen und Kollegen, die sich für ihre Arbeitsverhältnisse aktiv eingesetzt haben, größten Respekt. Gerade in Arbeitsbereichen, in denen nicht ein hoher Organisationsgrad besteht und die individuelle Gängelung und Benachteiligung von engagierten Beschäftigten viel subtiler durchgezogen werden kann, braucht es couragiertes Handeln und Verhalten. Wir können aus diesem Tarifkampf lernen.

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