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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifstreit im Öffentlichen Dienst: Verdi contra Marburger Bund

Von Thadeus Pato | 29.09.2005

Dass der zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), dem Bund und der Gewerkschaft verdi ausgehandelte und jetzt endgültig von der gemeinsamen Kommission in geltendes Recht gegossene Rahmentarifvertrag für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst eine Katastrophe ist, darüber hatte avanti bereits Anfang des Jahres berichtet. Nun ist als Konsequenz der Marburger Bund (MB), die Vertretung der Klinikärzte, aus der Tarifgemeinschaft mit verdi ausgestiegen.

Dass der zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), dem Bund und der Gewerkschaft verdi ausgehandelte und jetzt endgültig von der gemeinsamen Kommission in geltendes Recht gegossene Rahmentarifvertrag für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst eine Katastrophe ist, darüber hatte avanti bereits Anfang des Jahres berichtet. Nun ist als Konsequenz der Marburger Bund (MB), die Vertretung der Klinikärzte, aus der Tarifgemeinschaft mit verdi ausgestiegen.

Und nicht nur das: In den letzten Wochen organisierte der MB Ärzte-demonstrationen und Streiks an verschiedenen Kliniken und machte im Rahmen der jetzt laufenden Tarifverhandlungen mit den Ländern mobil: Die deutschen KrankenhausärztInnen wollen dabei für die nächsten Jahre 30 Prozent mehr Gehalt einfordern. Es sei “nicht länger hinnehmbar, dass deutsche Ärzte im europäischen Vergleich am wenigsten verdienen”, sagte der Vorsitzende der Ärzteorganisation Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, am 12. September in Berlin. Außerdem wollen die Klinikärzte bei den Tarifgesprächen, die am Donnerstag in Stuttgart beginnen, geregelte Arbeitszeiten, die komplette Vergütung von Überstunden und die Rücknahme der Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld durchsetzen.

Verdi hatte die Tarifgemeinschaft mit der Ärzteorganisation seinerzeit bei der Vereinigung mit der DAG, die wiederum mit dem MB verbunden war, sozusagen “geerbt”. Doch mit dem desaströsen Abschluss mit Bund und Kommunen gab sich letzterer nicht zufrieden, kündigte die Tarifgemeinschaft, will jetzt einen Exklusivvertrag für die Krankenhausärzte aushandeln und droht mit bundesweitem Ärztestreik. Vorbild ist für das Vorgehen des MB laut FAZ die Pilotenvereinigung Cockpit, die – ebenfalls nach Trennung von verdi – erfolgreich und kämpferisch die Interessen ihrer Mitglieder vertrat und damit 2001 zweistellige Lohnanhebungen erkämpfte.

Cockpit und Marburger Bund

Bei den ÄrztInnen allerdings gibt es einen kleinen Unterschied zu den PilotInnen, auf den auch der Landesfachbereichsleiter Bayern von verdi hinwies: Aufgrund der neuen, vertrackten Finanzierungsregelungen für die Krankenhäuser über die sogenannten DRGs, d.h. Fallpauschalen für den einzelnen Behandlungsfall, gilt im Prinzip, dass bei einer Anhebung der Ärztegehälter diese Summe auf Kosten der übrigen Beschäftigten im Krankenhaus ginge. Insofern bedeutet das Vorgehen des Marburger Bundes eine klare Entsolidarisierung von den übrigen MitarbeiterInnen im Krankenhaus und im Gesundheitswesen insgesamt. Denn deren Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sind mindestens ebenso inakzeptabel wie die der Ärzte.

Eine Anwort von verdi

Tatsache bleibt allerdings, dass der Auslöser für die Abspaltung des MB die Akzeptierung eines Tarifvertrages durch verdi ist, der massive Einkommenseinbußen und Verschlechterungen bei den Arbeitszeiten für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen bedeutet. In seiner Antwort auf die Kündigung des MB wies der verdi-Vertreter zwar zu Recht auf Folgendes hin:
“Im SPIEGEL und im Handelsblatt vom 12.9.05 war zu lesen, dass die Finanzminister der Länder Verständnis für den Ärzteprotest äußerten. Ein namentlich nicht genannter Finanzminister sprach von der Ausbeutung der jungen Ärzte durch die Chefärzte, ein anderer kritisierte das moderne Sklaventum in den Kliniken. Diese Finanzminister haben völlig Recht. Die Berechtigung der Chefärzte zur persönlichen Abrechnung der Leistungen gegenüber Privatpatienten (Privatliquidation) führt dazu, dass die Chefärzte ihre nachgeordneten Mitarbeiter hart knechten – oder ausbeuten wie der zitierte Finanzminister meint – und sie entweder nicht oder völlig unzureichend am sog. Pool beteiligen, also dem Finanztopf, in den sie kleine Teile ihrer Privatliquidation fließen lassen. Der Skandal besteht aber nicht nur in der Ausbeutung junger Ärzte, sondern in der Ausbeutung der öffentlichen Kliniken durch die Chefärzte, weil diese nur einen kleinen Bruchteil ihrer privaten Erlöse als sog. Nutzungsentgelte an die Krankenhäuser zurückfließen lassen. Wenn die Assistenzärzte mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten wollen – dagegen ist nichts einzuwenden – muss daher zunächst dieses Ausbeutungsverhältnis oder moderne Sklaventum zwischen Chefärzten und nachgeordneten Ärzten angegangen werden. Deshalb muss das gesamte System der Privatliquidation der leitenden Ärzten zur Disposition stehen.”

Gut gebrüllt, Löwe. Aber leider ist verdi (bzw. die ÖTV) in den vergangenen fünfzig Jahren den Beweis schuldig geblieben, dass es diese seit langem bekannten Ausbeutungsverhältnisse tatsächlich angehen will. Und so ist das Vorgehen des MB zwar zutiefst unsolidarisch, aber leider  verständlich.

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