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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Verdi ohne Power – Schily auf der Lauer

Von Clarissa L. | 01.02.2005

Die so genannten Öffentlichen Arbeitgeber verfolgen landauf landab eine Sparpolitik auf dem Rücken der NutzerInnen und der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst (ÖD). Dennoch versucht die Verdi-Führung weiterhin „auf dem Verhandlungsweg“ die Angriffe abzuwehren.

Die Proteste der Landesbediensteten am 19. und 20. Januar haben von vornherein keinen großen Eindruck oder gar Druck erzeugen können. Sie litten darunter, dass sie von den anderen Beschäftigten des ÖD getrennt waren. Insgesamt haben an diesen beiden Tagen gerade mal 10 000 Beschäftigte für kurze Zeit die Arbeit niedergelegt. Nach Berichten aus Niedersachsen, Bremen und dem Saarland muss die Stimmung stellenweise kämpferisch gewesen sein. Aber damit lässt sich noch kein Blumentopf gewinnen. Weitere Proteste sind angekündigt, doch bleibt die Frage: Soll überhaupt wirklich Druck erzeugt werden oder will die Gewerkschaftsführung nur Belege dafür sammeln, dass die Basis sich ja kaum rührt?

Verdi ohne Power

Dadurch dass der Tarifvertrag nicht gekündigt ist und sich die Beschäftigten bei Bund und Kommunen nicht einreihen konnten, blieb ausgerechnet die schwächste Abteilung unter sich. Aber nicht nur das: Die Verdi-Führung versucht den Eindruck zu erwecken, als müssten sich die Länder sputen, um sich noch schnell genug in die Verhandlungen um die Tarifrechtsreform einzuklinken („Wir müssen leider draußen bleiben!“). Dazu sollen sie halt nur die einseitig beschlossene Arbeitszeitverlängerung bei Neueinstellungen sowie die Kürzung bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld rückgängig machen. Die Verdi-Führung unterschätzt vollkommen, die von den Ländern schon erzielten Gewinne. (s. Kasten)
Welches Druckmittel hat Verdi bei den Verhandlungen am 7. Februar in Potsdam? Wenn dort (oder in den Gesprächen danach) die Verhandlungen scheitern – was wir sehr hoffen – dann erst bekäme die Basis eventuell eine Chance: Dann kann von den Betriebsgruppen aus Druck zur Kündigung der Tarife und zur Vorbereitung von Kampfmaßnahmen gemacht werden. Entsprechende Resolutionen sollten aber schon vorher an den Verdi-Vorstand geschickt werden.

Schily auf der Lauer

Zwar sind sich Bund, Länder und Gemeinden nicht in allen Detailfragen einig, aber zurzeit geht ihre Rechnung ganz gut auf. Die Aufspaltung in verschiedene Bereiche und die Vermeidung einer gemeinsamen Kampffront ist jedenfalls schon mal ansatzweise gelungen. Einen gewaltigen Fortschritt würden sie zudem dann erzielen, wenn es bald zu der Tarifrechtsreform kommt (beide Seiten haben vor, noch im Februar zum Abschluss zu kommen) und dann Spartentarifverträge eingeführt werden.
Verdi lobt die in den Verhandlungen zur „Prozessvereinbarung“ (s. hierzu letzte Avanti) erzielten Zwischenstand zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Um ihre Ausverkaufspolitik zu kaschieren behauptet sie gegenüber den Mitgliedern ganz frech:
„Eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten führt zu mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten und erweitert ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf Freizeit und Familie. Neu ist die Einführung von Arbeitszeitkorridoren von bis zu 45 Stunden pro Woche verknüpft mit verbindlichen Arbeitszeitkonten. Zusätzlich geleistete Arbeitsstunden werden praktisch auf dem Arbeitszeitkonto „eingezahlt“ und können später als Freizeit wieder „abgehoben“ werden. Als Zugeständnis seitens ver.di entfallen künftig im Rahmen dieser Neuregelung anfallende Überstundenzuschläge. Die genaue Ausgestaltung dieses Modells soll in den Betrieben stattfinden, um betriebsspezifische Lösungen zu ermöglichen. Eine solche Kompetenzverlagerung lässt eine enge Orientierung an der Realität der Betriebe und den Bedürfnissen der Beschäftigten zu.“
Alle, die die Realität in den Ämtern und Betrieben kennen, wissen, dass es mit der Zeitsouveränität nicht weit her ist. Aufgrund der Ausdünnung der Personaldecke wird es den KollegInnen immer schwerer gemacht, sich die Arbeit (oder die Freizeit) „einzuteilen“. Selbst bei der Urlaubsplanung wird mensch zunehmend eingeengt.
Und warum wird trotz des eindeutigen Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Bezahlung von Bereitschaftsdiensten nicht drauf bestanden, dass dies auch in Krankenhäusern gelten soll?
Es fallen also künftig unter dem Strich Überstundenzuschläge weg und die Verbetrieblichung der Tarifpolitik schreitet voran. Damit sind die „Arbeitgeber“ ihrem Ziel wieder ein Stück näher, nämlich die in der Vergangenheit oft verspürte gemeinsame Kampffront der im ÖD Beschäftigten aufzubrechen und im Endstadium jede Belegschaft sich selbst überlassen zu sehen.
Wenn Schily und alle anderen Vertreter der „Öffentlichen Arbeitgeber“ jetzt keinen groben Fehler machen und nicht Verdi provozieren (was wir allerdings hoffen), droht mit der Tarifreform und der dauerhaften Aufspaltung möglicher Kampffronten ein bedeutender Rückschritt für die KollegInnen, weit über den unmittelbaren Öffentlichen Dienst hinaus. Noch ist Zeit, dem Verdi-Vorstand Feuer unterm Arsch zu machen.

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