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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde ÖD: Die bisher größte Herausforderung

Von Clarissa L. | 01.01.2005

Am 20.1.05 beginnen im Öffentlichen Dienst (ÖD) die Tarifverhandlungen zu Lohn und Gehalt. Allen Protestresolutionen zum Trotz: Die Tarifkommission hat auf Verlangen des ver.di-Vorstands keine Tarifforderungen gestellt und versucht, die Öffentlichen „Arbeitgeber“ („AG“) durch Nachgeben wohl gesonnen zu machen. Damit droht über die „Prozessvereinbarung“ ein beispielloser Einbruch in die Besitzstände von Millionen KollegInnen.

Selbstverständlich weiß auch der ver.di-Vorstand, dass das fortgesetzte Nachgeben über kurz oder lang sämtliche Haltelinien zusammenbrechen lässt. Und am erklärten Willen der Verhandlungsführer von Bund, Ländern und Gemeinden darf nicht der geringste Zweifel bestehen. So erklärte der seinerzeitige Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Möllring (nieders. Finanzmin.), der Staat brauche „echte Kostensenkungen“, deshalb müsse „die Arbeitszeit verlängert werden.“
Seit dem Potsdamer Tarifabschluss (9.1.2003) haben die „Öffentlichen AG“ eine Unverschämtheit nach der anderen durchgezogen und dabei alle Stillhalteabkommen aus der „Prozessvereinbarung“ gebrochen. In dem berühmten Zusatzabkommen zum Tarifabschluss vom 9.1.03 war z. B. vereinbart worden, Weihnachts- und Urlaubsgeld auf dem Stand von 1993 festzuschreiben. Am 17.6. 2003 kündigte dann die TdL die Tarifverträge über Weihnachts- und Urlaubsgeld. Am 28. 6. kündigte der Bund diese Abkommen für seine 493 000 ArbeiterInnen und Angestellten. Am 14. 7. 03 legte die Bundesregierung per Gesetz fest, dass die Beamten die Tariferhöhung erst 3 Monate später bekommen. Am 25.3 2004 kündigte die TdL dann die Arbeitszeit-Tarifverträge. Landesbeamte müssen seit Herbst länger arbeiten (Bayern 42, Hessen 42, NRW 41, usw.). Neueingestellte müssen ebenfalls länger arbeiten. Am 23.4.04 beschloss die Bundesregierung die Arbeitszeit für 300 000 Bundesbeamte von 38,5 auf 40 Stunden zu verlängern. Im Schnitt wurde damit den Beamten der Stundenverdienst um 9% gekürzt. Anders ausgerechnet: Allein auf der Ebene der Bundesländer bedeutet das den Verlust von 75 000 Stellen.
Dennoch hat ver.di die Verhandlungen über eine „Modernisierung“ des Tarifrechts nicht abgebrochen. Ja der ver.di-Vorstand ließ sich sogar erpressen. Wenn er die Lohn- und Gehaltstarife für ArbeiterInnen und Angestellte, die am 31. 1.05 auslaufen, kündige, werden die „Öffentlichen AG“ eine Arbeitszeitverlängerung verlangen.
Wenn dieser Kurs glatt durchgeht, steht ver.di vor der größten Niederlage der deutschen Gewerkschaften seit dem 2. Weltkrieg. Dies alles ist nicht nur eine Folge des typisch bürokratischen Konfliktvermeidungskurses. Es ist in erster Linie das inhaltliche Einschwenken auf die kapitalistische Logik, bzw. sogar auf den Neoliberalismus und die aktuelle Umverteilungspolitik der Regierungen. Allein das Interview des Vorsitzenden Bsirske in der Frankfurter Rundschau vom 14.12. 04 zur „Reform des Öffentlichen Dienstes“ spricht Bände. Er ist sich sicher: „Wir kriegen was zusammen hin“. „Es wird in einigen Bereichen Verbesserungen geben, in anderen Verschlechterungen. Die dann allerdings mit Besitzstandsregelungen. Das kostet kurzfristig Geld, und darüber müssen wir in der Tarifrunde reden. Mittelfristig kommt es auch zu Entlastungen.“ (auf Deutsch: Einsparungen auf Kosten der KollegInnen.

Modernisierung des Tarifrechts?

Grundsätzlich muss allen klar sein, dass eine Modernisierung nie neutral zu haben ist. Speziell in diesem Fall steht ungeheuer viel auf dem Spiel, nicht zuletzt weil von den jetzt anstehenden Abschlüssen (BAT, BMT-G u. MTArb) direkt und indirekt 6 Millionen KollegInnen betroffen sind (davon 2,37 Mio. Tarifbeschäftigte im unmittelbaren ÖD + die Beamten + alle mittelbar im ÖD Tarifbeschäftigten bei AWO etc. deren Tarifverträge oder Haustarifverträge auf den BAT Bezug nehmen).
Was wollen die „AG“ und wo hat ver.di bisher schon (Teil)Zustimmung signalisiert?

Flexibilisierung

Hier soll die tägliche Rahmenarbeitszeit auf 12 Stunden, die wöchentliche auf 45 erhöht werden. Der Durchschnitt von 38,5 oder 40 Stunden soll nur noch im Jahresdurchschnitt erreicht werden müssen, so dass der größte Teil der Überstundenzuschläge entfallen soll. Der ver.di-Vorstand will diese Zeiträume zwar runterverhandeln, ist aber prinzipiell „gesprächsbereit“, mit der Begründung, man wolle ja den ÖD kundenfreundlich machen. Dass dabei die Kolleg-Innen Geld verlieren, ist den (hauptsächlich Herren) Bürokraten gleichgültig.

Niedriglohn

Noch katastrophaler ist die ver.di-Position in der Frage der Einführung einer neuen Niedriglohngruppe. Gegenüber heute bei 1509.- Euro als niedrigster Gruppe soll künftig ein Monatslohn von 1286,- Euro (West) und 1189,55 Euro (Ost) eingeführt werden. Das entspricht einem Stundenlohn von 7,68 Euro, also ganz deutlich unter dem Existenzminimum (das laut ver.di vom 2.9.04 bei 1442.- Euro liegt). Begründet wird dies seitens verdi in der Weise, dass damit dem Bestreben der ÖD „AG“ begegnet werden könne, weitere Bereiche auszugliedern. Das ist so unlogisch wie es lächerlich ist, denn in Zeiten hoher Erwerbslosigkeit finden sich immer Kräfte, die in Privatfirmen für noch weniger arbeiten, und zwar so lange, wie es keinen auskömmlichen Mindestlohn gibt. Für welchen Mindestlohn will sich denn ver.di stark machen, wenn sie selbst Tarifverträge mit 7,68 Euro Stundenlohn abschließt? In Wirklichkeit dreht ver.di damit aktiv mit an der Spirale nach unten.
Hinzu kommt, dass man auch schon Zustimmung signalisiert hat, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf eine Sonderzahlung von zusammen maximal 100% eines Monatslohns /-gehalts gekürzt werden.

Leistungsbestandteile

Grundsätzlich sollen die Altersstufen (bisher 11) und die Familienzuschläge wegfallen und durch 3 „Erfahrungsstufen“ sowie Leistungsbestandteile ersetzt werden. Auch hier gilt die Maxime der „AG“, dass die Gesamtlohnsumme sinken soll. Wenn dann die Beschäftigten in Einzelverhandlungen dafür sorgen sollen (bzw. wollen), dass sie eine höhere Leistungszulage erhalten, sitzen sie grundsätzlich am kürzeren Hebel. Hinzu kommt, dass darüber die Konkurrenz unter den KollegInnen angestachelt wird, der Zusammenhalt untergraben werden soll und mit Sicherheit auch untergraben wird.

Spartentarife

Am gravierendsten auf der Ebene der Einführung neuer Spaltungslinien ist die vorgesehene Trennung in einen allgemeinen Tarifvertrag und in besondere Tarifverträge (Spartentarife). Dies hätte dann zur Folge, dass es keine breiten Kampffronten mehr gibt, sondern jede Sparte einzeln verhandeln muss und leichter einzeln nieder gemacht werden kann, erst recht wenn – was so sicher wie das Amen in der Kirche ist – die Laufzeiten von einander abweichen. Allein diese Grundsatzfrage für sich allein genommen hätte für ver.di Anlass sein müssen, die Gespräche zur Modernisierung
der Tarife abzubrechen.

Aufhebung des besonderen Kündigungsschutzes

Ebenfalls eine Grundsatzfrage ist die angestrebte Aufhebung des besonderen Kündigungsschutzes im ÖD. In einer solchen Frage darf eine Gewerkschaft nie und nimmer Verhandlungsbereitschaft erkennen lassen. Aber wer sich so tief in die Logik der „Prozessvereinbarung“ eingelassen hat, kann schwerlich an einer „Einzelfrage“ auf „stur“ stellen. Das für Tariffragen zuständige Vorstandsmitglied Kurt Martin: „Wir sind bereit, für künftige Beschäftigte im öffentlichen Dienst eine Tarifregelung zu treffen, die keine Unkündbarkeit mehr vorsieht.“ (WAZ, 17.12. 2004)
Es geht also den Verhandlungsführern bei den vielen Verschlechterungen im besten Fall (und das nicht überall) um einen Bestandsschutz für die ”Alteingestellten”. Damit werden dann auf verschiedenen Ebenen neue Spaltungslinien in die Belegschaften getrieben.

Wer den Kampf meidet

Allein in NRW haben 30 von 31 tarifpolitischen Konferenzen die Kündigung der Lohn- und Gehaltstarifverträge gefordert, damit man ab Februar aus der Friedenspflicht draußen ist. Nur dann kann überhaupt Druck erzeugt werden. Die Begründung der Bürokraten, die „AG“ sollen davon abgehalten werden, die Arbeitszeitfrage in die Verhandlungen einzubringen und die KollegInnen seien in der Arbeitszeitfrage nicht mobilisiert, ist zutiefst verlogen.
Erstens werden die „AG“ sowieso nicht locker lassen, und sei es nur, um dies auch künftig als Druckmittel einzusetzen. Sie sind schließlich auch schlau genug, hier und heute nicht unbedingt alles auf einmal zu fordern (der Unmut soll nicht explodieren).
Zweitens war die Gelegenheit selten so günstig wie heute, den Unmut über die ganzen Unverschämtheiten der „AG“ aus den vergangenen zwei Jahren zu bündeln. Nur muss man/frau auch tatsächlich kämpfen wollen.

Welche Forderungen?

Die Verhandlungen zur „Prozessvereinbarung“ sollten sofort abgebrochen werden. Begründung: Die „AG“ haben diverse Zusagen gebrochen. Es gibt deswegen für ver.di keine vertraglichen Pflichten, weiter zu verhandeln. Die L-u.G-Tarife sind sofort zu kündigen. Obenan sollte stehen die Rücknahme aller Verschlechterungen aus den letzten Jahren (Arbeitszeitverlängerungen, Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld, usw.).
Sodann:

– ­ 250.- Euro Festgeld mehr für alle, mindestens aber 4%
– ­ 100% Weihnachtsgeld für alle (Ost wie West) und keine Abstriche am Urlaubsgeld
– ­ Keine Spartentarifverträge
– ­ Angleichung aller Löhne und Gehälter im Osten an das Westniveau
– ­ Sofortige Aufnahme von Verhandlungen zur Verkürzung der Arbeitszeit in großen Schritten bei          vollem Entgelt- und Personalausgleich


Das bisherige Verhandlungsergebnis zur „Prozessvereinbarung“ (am 22.10.04 von der Tarifkommission gebilligt) ist nachzulesen unter:
www.verdi.de/0x0ac80f2b_0x0009dfb4

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