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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie: Durch Streikvermeidung zu „erfolgreichem“ Abschluss?

Von Heinrich Neuhaus | 01.07.2013

Was wir zu Beginn der Tarifbewegung 2013 in der Metall- und Elektroindustrie erwartet – und befürchtet – haben, ist eingetreten. Die Politik der Streikvermeidung hat mit dem „maßvollen“ und „realistischen“ Abschluss in Bayern eine weitere Fortsetzung gefunden.

Was wir zu Beginn der Tarifbewegung 2013 in der Metall- und Elektroindustrie erwartet – und befürchtet – haben, ist eingetreten. Die Politik der Streikvermeidung hat mit dem „maßvollen“ und „realistischen“ Abschluss in Bayern eine weitere Fortsetzung gefunden.

Mit einem vorgegebenen „Forderungskorridor“ von 5 bis 5,5 Prozent war der IGM-Vorstand in die Tarifrunde für die rund 4,3 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie gestartet. Höhere Prozentzahlen und Festgeldforderungen aus betrieblichen Vertrauenskörpern hatten auf dem Weg in die Großen Tarifkommissionen keine Chance.
Immerhin musste die „Forderungsempfehlung“ des Vorstandes auf Druck der Basis in einigen Großbetrieben vor allem in Baden-Württemberg leicht angehoben werden – auf 5,5 Prozent bei einer Laufzeit von maximal 12 Monaten.
„Faire“ Einigung?
Nach einer Welle von Warnstreiks, an denen sich bundesweit über 750.000 KollegInnen in rund 3.000 Betrieben beteiligt hatten, einigten sich die Tarifparteien am 14. Mai 2013 in der vierten Verhandlungsrunde auf ein Tarifergebnis. Die Spitzen von Gesamtmetall und IG Metall feierten den neuen Tarifvertrag als „fair“. Die Verhandlungsführer beider Seiten lobten sich selbst ob ihres professionellen Vorgehens, das zuverlässigen Quellen zufolge einen noch früheren Abschluss vorgesehen hatte.

Nach zwei „Leermonaten“ ohne Lohnzuwachs werden die Entgelte in zwei Stufen erhöht. Ab Juli 2013 gibt es ein Plus von 3,4 Prozent und ab Mai 2014 um weitere 2,2 Prozent. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 20 Monaten.
Unter dem Strich feierte der IGM- Apparat den Abschluss in seinen Folien. Nicht nur sei der „verteilungsneutrale Spielraum“ ausgeschöpft worden, sondern die tabellenwirksame Erhöhung betrage insgesamt 5,6 Prozent.

KollegInnen mit viel Humor bezeichneten das als „historisches Ergebnis“, da ja mehr als die ursprüngliche Forderung erreicht worden wäre.
Kritische Bewertung
Bei genauerer Betrachtung sieht das Ergebnis allerdings gar nicht gut aus.

Erstens wurde der Verlängerung der Laufzeit um 8 Monate im Vergleich zur Ausgangslage ohne Not zugestimmt. Damit hat sich die IG Metall in ihrem Kerngebiet, der Tarifpolitik, in ihrer Handlungsfähigkeit selbst eingeschränkt. Das ist angesichts der wachsenden Angriffe auf die Gültigkeit von Tarifverträgen in anderen Branchen und Ländern ein schwerer politischer Fehler. Er wiegt umso mehr, als mittlerweile der letzte offizielle Streik in dieser Branche 2002 und die letzte große Auseinandersetzung 1984 zu verzeichnen waren. Der allergrößte Teil der Organisation hat mittlerweile keine praktische Streikerfahrung mehr.

Zweitens spielt die dritte Säule der Entgeltpolitik – die Umverteilungskomponente – praktisch keine Rolle mehr bei den Tarifabschlüssen. Lediglich die beiden anderen Faktoren – Preissteigerung und Produktivitätssteigerung – spielen formal noch eine Rolle.

Drittens ist das materielle Ergebnis auch in dieser Hinsicht weit bescheidener zu bewerten. Je nach zugrunde gelegter Variante der Westrick-Formel ist die tarifliche Entgelterhöhung über die gesamte Laufzeit wesentlich geringer als 5,6 Prozent – nämlich rund 2,8 Prozent. Angesichts der 37,1 Milliarden Euro an Nettorenditen in der Metall- und Elektroindustrie ist das sehr bescheiden.

Viertens öffnet sich die Schere zwischen den niedrigen und den höheren Entgeltgruppen noch weiter. In Baden-Württemberg steht einer absoluten Erhöhung der Löhne ab Mai 2014 von 153 Euro in der Entgeltgruppe (EG) 7 eine Erhöhung von 227 Euro in der EG 13 gegenüber. Gerade die gewerkschaftlich am besten organisierten Bereiche werden durch die Tarifpolitik des IGM-Apparats benachteiligt.

Trotz dieser Schwachpunkte wurde in allen Tarifbezirken der IG Metall der bayrische Abschluss übernommen.
Scharfe Diskussionen
Nur im Bezirk Baden-Württemberg gab es zum Teil Kritik in einer seit langem nicht gekannten Schärfe. Insbesondere in den IGM-Hochburgen Mannheim und Stuttgart wehte den Hauptamtlichen in Vertrauensleutesitzungen eine steife Brise der Empörung entgegen.

In der Mannheimer Funktionärskonferenz lehnten etwa 80 Prozent der Anwesenden das Tarifergebnis ab. Von der übergeordneten Großen Tarifkommission des Bezirks Baden-Württemberg wurde es jedoch mehrheitlich angenommen (131 Ja-Stimmen, 25 Nein-Stimmen, 6 Enthaltungen). Zudem wurde dort auch beschlossen, die schwache Strukturierung und Koordination der Tarifrunde durch die Frankfurter Vorstandsverwaltung in den kommenden Monaten kritisch aufzuarbeiten.

In einer Resolution des IG Metall-Vertrauenskörpers bei Alstom Mannheim vom 27. Mai 2013 heißt es unter anderem:

„Das großartige Engagement unserer Mitglieder und FunktionärInnen wird durch diesen Abschluss mit Füßen getreten. Die Glaubwürdigkeit unserer IGM wird dadurch erneut beschädigt.
Wir sind empört, dass den Worten, unsere Forderung konsequent durchzusetzen, keine Taten gefolgt sind. Offensichtlich steht die Vermeidung von Streiks mittlerweile an erster Stelle für den IGM-
Vorstand.
So kann es nicht weitergehen. Die IGM ist ausschließlich ihren Mitgliedern gegenüber verantwortlich.
Wir brauchen eine IG Metall, die für ihre Mitglieder und FunktionärInnen als Gegenmacht für alle Bereiche der Metall- und Elektroindustrie aktiv und erfahrbar wird!
Nur wer kämpft, kann gewinnen!“

Dem ist wenig hinzuzufügen.

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