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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde Druckindustrie: Genug gerettet?

Von Lisa Lang | 01.07.2005

Die Herausforderungen waren gewaltig. Die Druckkapitalisten wollten eine Arbeitszeitverlängerung um 5 Stunden (ohne Lohnausgleich versteht sich), Flexibilisierung und die Kürzung von Zulagen und Sonderzahlungen.

Mit dem Druckmittel, den Flä-??chentarifvertrag aufzulösen ??und ver.di zu einem Häuserkampf zu zwingen, bei dem gerade die vielen kleinen Belegschaften enorme Schwierigkeiten hätten, zog sich der Arbeitskampf seit Wochen hin. Seit anderthalb Jahren hatte sich das Druckkapital geweigert, den Manteltarifvertrag zu verlängern und stellte als Bedingung eine ganze Latte von Forderungen: Erhöhung der regelmäßigen Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden (ohne Lohnausgleich), den Samstag als Regelarbeitszeit, die Kürzung von Schichtzuschlägen, die Änderung der Maschinenbesetzungspläne, Kürzung der Jahresleistung ("Weihnachtsgeld") und des Urlaubsgeldes. Je nach Lohngruppe hätte dies einen Verlust pro Jahr zwischen 4088 und 7263 Euro bedeutet. Rechnet man noch den Verlust von Überstundenzuschlägen und Antrittsgeldern hinzu, hätten sich die Einbußen im Extremfall auf bis zu 20% addiert.
Die Gegenwehr war beachtlich und hat das Konzept des Druckkapitals durchkreuzt. In einer ganzen Reihe von Betrieben wurde wiederholt stundenlang, teilweise tagelang gestreikt. Vor allem bei der Frankfurter Societätsdruckerei (FSD) in Mörfelden, dem Druckbetrieb der FAZ, in dem eine Reihe von Zeitungen (u.a. "die Zeit") gedruckt werden, standen wiederholt die Maschinen still oder mussten von RedakteurInnen oder leitenden Angestellten in Gang gehalten werden. Wiederholt wurde gerade die FAZ mit einigen ihrer Prestigebeilagen ganz empfindlich getroffen.
Kämpferische Stimmung
Vor allem die Streikwelle zwischen dem 9. und dem 15. Juni hat die KapitalistInnen unter Druck gesetzt. Zur entscheidenden Tarifverhandlung am 14. 6. kamen zu einer Demonstration über 500 DruckerInnen aus der Region (v.a. aus Ffm, Offenbach und Mainz) zum Tagungsort der Verhandlungen nach Wiesbaden. Vor dem Hotel Nassauer Hof sprachen hauptsächlich die VertreterInnen der Vertrauensleute. Sie hatten ganz klar eine doppelte Botschaft: Lenkt das Kapital nicht ein, "werden wir noch lange weiterstreiken". Und – an die Verhandlungskommission gerichtet: "Wir wollen keine faulen Kompromisse!" Der örtliche und bezirkliche Apparat des Fachbereichs 8 (Medien) von ver.di hat diese Linie voll unterstützt und seinen Beitrag dazu geleistet, dass dieser Druck aufgebaut wurde.
Und noch etwas war sehr interessant: Jedes Mal, wenn ein Vertrauensmann auf die Notwendigkeit von politischen Streiks gegen einen weiteren Sozialabbau nach der Bundestagswahl hinwies, brandete besonders starker Beifall auf. Wir hatten das Gefühl, dass sich auch hier etwas verändert. Die Bereitschaft zur außerbetrieblichen, zur gesellschaftlichen Gegenwehr scheint zu wachsen.
In der Nacht zum 16.6. stand der Bundesverband Druck (bvdm) kurz vor der Spaltung. Bis dahin hatte vor allem Gerschermann von der FAZ zu den Hardlinern gehört, aber er wurde in den Tagen davor zu empfindlich getroffen. Jetzt wollten vor allem die vielen Kleinbetriebe, für die vor allem der Verhandlungsführer Pütz auf Härte pochte, nicht einlenken. Letztlich haben die "Großen" entschieden, wo es lang geht.
Das Ergebnis
Angesichts der ursprünglichen Ziele des bvdm betrachten wir das Verhandlungsergebnis mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zentral ist, dass die 35-Stundenwoche (Ostdeutschland 38 Stunden) nach wie vor steht, dass der Samstag kein Regelarbeitstag ist, dass die Zuschläge, Jahresleistungen und das Urlaubsgeld weitestgehend erhalten blieben.
Allerdings sind einige Kröten zu schlucken: Ab 2009 wird der Zusatzurlaub für Tiefdrucker (3 Tage) gestrichen und Freischichten für Ältere und Schichtarbeiter fallen weg. Die Flexibilisierung macht über die Einführung von Zeitkonten zwar keinen faktischen, aber doch einen politischen Fortschritt (real ist eh schon vieles "flexibel"). Gestützt wird dies aber dadurch, dass der Zuschlag von 20% bei einer Ruhezeit von weniger als 11 Stunden wegfällt.
Dass die Lohnerhöhung über fast zwei Jahre nur 1 % beträgt ist eine weitere Kröte, die die KollegInnen aber einigermaßen gelassen hingenommen haben. Ihr Lebensstandard und ihre Arbeitszeiten wurden im Wesentlichen gehalten.
Aufrechten Hauptes
Wenn seitens der KollegInnen nicht mehr durchgesetzt wurde, so lag es nicht an den kämpfenden Belegschaften, auch nicht an fehlenden Solidaritätsadressen von Abordnungen aus Betrieben anderer Branchen. Was fehlte war das Engagement der Gewerkschaftsvorstände, die ihren Teil dazu hätten beitragen können und müssen, das Totschweigen der Streiks zu durchbrechen. Dennoch: Die KollegInnen der Druckindustrie betrachten die Tarifrunde als einen bedeutenden Erfolg. Sie gingen – trotz einiger Kröten, die sie schlucken mussten – aufrechten Hauptes in die Betriebe zurück. In diesen Wochen sind Belegschaften zusammengewachsen und haben sich weiter politisiert. Vor allem bei der FSD, der größten und modernsten Zeitungsdruckerei auf dem Kontinent mit etwa 1000 Beschäftigten, hat sich in den letzten 2 Jahren sehr viel getan.
Auch in den anderen Betrieben wurde die Erfahrung gemacht, wie viel die Geschlossenheit der Belegschaften ausmacht. Darauf lässt sich aufbauen. Hoffen wir, dass der Wunsch, den so manche KollegInnen während dieser Tage zum Ausdruck gebracht haben, dass es bei der nächsten Ankündigung von Sozialabbaumaßnahmen zu politischen Demonstrationen und Streiks kommt, auch wirklich in Erfüllung geht.

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