TEILEN
Betrieb & Gewerkschaft

Tarifabschluss in der chemischen Industrie

Von Ulrich Dehmel | 01.09.2005

Am 16. Juni 2005 wurde der Tarifabschluss 2005 für die westdeutsche Chemieindustrie unterzeichnet. Wichtigstes Ergebnis des Tarifpakets (siehe Kasten) war die Entgelterhöhung von 2,7 %. Die tarifliche Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden stand eigentlich nicht zur Debatte, wurde aber bis Ende 2007 festgeschrieben.

Außen hui,  …
Mit der Westrick-Formel gerechnet reduzieren sich die 2,7 %  auf gerade mal 1,7 %. Inklusive der Einmalzahlung, die nicht tabellenwirksam ist und sich dadurch weder auf die Zuschläge noch auf kommende Tariferhöhungen auswirkt,  „belastet“ der Abschluss die Unternehmen mit etwa 2,0 %. Gemessen an der guten Profitlage des Großteils der Chemieindustrie ein wahres Tarifschnäppchen.
Die tarifliche Arbeitszeit wurde vom Kapital nicht in Frage gestellt, aber der Chemietarif bietet längst flexible „betrieblich anpassbare Lösungen“. Und viel wichtiger als ein „Kampf um Arbeitszeit“ ist dem Chemiekapital, dass es weitere Flexibilisierungen nutzen, seine Umstrukturierung ohne betriebliche Gegenwehr fortsetzen und sich auf die industriefreundliche Politik der IG BCE (pro Gentechnik, pro Biotechnologien, gegen die EU-Chemikaliengesetzgebung, für Standorterleichterungen usw.) verlassen kann.
Beispiel dafür ist auch der Tarifabschluss 2005. Diesmal traf es die befristeten Beschäftigungsverhältnisse. Jetzt können, tariflich geregelt, Betriebsräte und Unternehmen vereinbaren, dass auch ohne sachlichen Grund eine maximale Befristungszeit von vier  Jahren (statt zwei Jahren) zulässig ist. Die Verlängerung des Verteilzeitraums zum Erreichen der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 12 auf 36 Monate ist da kaum noch erwähnenswert.

Keine Verlierer, nur Gewinner?
Hans-Carsten Hansen, Verhandlungsführer des Chemiekapitals und seines Zeichens Personalchef der BASF AG in Ludwigshafen (über 30.000 Beschäftigte), bewertete den Abschluss positiv: „Es ergibt sich  für die Unternehmen eine moderate Dauerbelastung von 2 %, da mit diesem Abschluss praktisch eineinhalb Tarifrunden abgedeckt wurden.“
Positiv kommentierte auch Werner Bischoff, im BCE-Hauptvorstand verantwortlich für Tarifpolitik,  den Abschluss: „Das Paket kann sich sehen lassen; insgesamt ist das Ergebnis für uns positiv und zukunftsweisend. (…). Die gefundene Lösung entspricht der Lage in der chemischen Industrie. (…) Die Chemie-Sozialpartner sind gestaltungsfähig (…)“.
Keine Verlierer und nur Gewinner? Das müsste stutzig machen. Aber aufgrund der tiefen sozialpartnerschaftlichen Prägung der Beschäftigten und der BCE-Funktionäre wird dies nur vereinzelt wahrgenommen oder gar kritisch diskutiert.

Breite Zustimmung zum Abschluss
Nicht nur die BCE-Führung ist zufrieden, sondern ebenfalls die Mehrheit der Basis-Funktionäre und der Chemiebeschäftigten. Dies rührt nicht nur von den optisch wirksamen 2,7 Prozent, sondern ist auch ein Ergebnis der politischen Lage in dieser Republik. Fortgesetzte neoliberale Politik & Propaganda ohne nennenswerte gewerkschaftliche Gegenwehr und Zurückweichen bzw. Niederlagen der DGB-Gewerkschaften (insbesondere der IG Metall) schaffen ein Klima tarifpolitischer Bescheidenheit.
Und sie bewegt sich doch!?
Bemerkenswert ist, dass sich die BCE-Führung in diesem Jahr genötigt sah, Tarif-Aktivitäten zu organisieren (vor dem BASF-Standort Ludwigshafen versammelten sich zu einer Tarifkundgebung immerhin  5 000 Beschäftigte); natürlich – chemietypisch – ohne jegliche Streikaktionen. Dies war in erster Linie ein Reflex der BCE-Führung auf anhaltende Mitgliederverluste und darauf, dass Chemiebeschäftigte und „einfache“ Funktionäre mehr gewerkschaftlichen Widerstand gegen Kapital & Politik erwarten. Dennoch boten sich damit kleine bescheidene Möglichkeiten zur Mobilisierung der KollegInnen.
Diese „Aktivitäten“ bedeuten aber nicht, dass die IG-BCE-Führung  von ihrer Ideologie der Sozialpartnerschaft abrückt. Im Gegenteil: Gerade gegenüber anderen Gewerkschaften soll diese als tragfähig und erfolgreich präsentiert werden. Und ein „guter“ Abschluss wie der diesjährige, der ohne Tarifkampf erzielt werden konnte, ist dafür die beste Werbung.
Diesen starren politischen Rahmen können auf Dauer nur gewerkschaftspolitische Umbrüche in der Großchemie verändern. Diese sind jedoch, trotz aller Gärungsprozesse, nicht in Sicht. Umso wichtiger wäre es, dass sich die betrieblich-gewerkschaftliche Linke als handelnde und sichtbare Kraft vernetzt, um eine glaubhafte gewerkschafts- und betriebspolitische Alternative aufbauen zu können. Dies könnte auch in der chemischen Industrie die notwendigen Impulse für die (Wieder-) Belebung der Aktivitäten der Beschäftigten geben.

Tarifergebnis in der Westdeutschen Chemieindustrie vom 16. Juni 2005
1.    Die Entgelte werden tabellenwirksam um 2,7 % erhöht.
2.    Spätestens zum Februar 2006 gibt es eine differenzierte Einmalzahlung:
–    Für Beschäftigte in Normalarbeitszeit 24%.
–    Für Beschäftigte in Teilkontischicht 27%.
–    Für Beschäftigte in Vollkontischicht 32%.
3.    Die Laufzeit beträgt 19 Monate
4.    Ab 01.01.2006 werden die Vermögenswirksamen Leistungen nur noch für die tarifliche Altersvorsorge gezahlt.
5.    Die Ausbildungszahlen sollen gesteigert werden.
6.    Der Vertrag zum Unterstützungsverein der Chemischen  Industrie (UCI) wird an die aktuelle Gesetzgebung angepasst.
7.    Der Manteltarifvertrag wurde „redaktionell überarbeitet“. Einstieg in die Diskussion über eine „Besserstellung“ von Gewerkschaftsmitgliedern.
Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite