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Innenpolitik

Staatsschulden machen die Reichen reicher – der Schuldenabbau auch

Von Thadeus Pato | 01.12.2005

Schulden sind schlimm. Das versteht ein jeder. Und so gibt es unter den BundesbürgerInnen kaum Widerspruch, wenn die neue Regierung ankündigt, es müsse angesichts des bundesdeutschen Schuldenberges von mehr als 1,4 Billionen Euro kräftig gespart werden. Was die wenigsten wissen: Sowohl das Schuldenmachen wie auch der Schuldenabbau stellen jeweils eine gigantische Umverteilung von unten nach oben dar.

Schulden sind schlimm. Das versteht ein jeder. Und so gibt es unter den BundesbürgerInnen kaum Widerspruch, wenn die neue Regierung ankündigt, es müsse angesichts des bundesdeutschen Schuldenberges von mehr als 1,4 Billionen Euro kräftig gespart werden. Was die wenigsten wissen: Sowohl das Schuldenmachen wie auch der Schuldenabbau stellen jeweils eine gigantische Umverteilung von unten nach oben dar.

Staaten können sich entweder im Inland oder im Ausland verschulden. Entsprechend zahlen sie die fälligen Zinsen, derzeit in der BRD rund 70 Milliarden jährlich, entweder an inländische oder an ausländische Finanzinstitutionen bzw. -investoren. Im ersteren Fall wirkt sich das auf den gesamtgesellschaftlichen Reichtum nicht aus – das Geld bleibt sozusagen im Lande. Im letzteren, dem Fall der Auslandsverschuldung, findet ein Ressourcentransfer ins Ausland statt – an das dortige Kapital. In der BRD sind allerdings ungefähr 60% der Schulden Inlandsschulden (damit ist gesamtwirtschaftlich gesehen die BRD sozusagen ein Netto-Gläubiger). Die Zinsen gehen also auch zu 60% ans inländische Kapital und mehren dessen Reichtum. Bezahlt werden sie natürlich aus dem Steueraufkommen, und das kommt in erster Linie aus der Lohn- und Einkommensteuer. Es sei denn, sie werden wie in den letzten Jahren geschehen, über erneute Kredite finanziert werden – die Nettokreditaufnahme lag übrigens seit 1962 mit der Ausnahme des Jahres 1989 stets unter den Zinsausgaben und auch der Haushalt der neuen Regierung Merkel macht da keine Ausnahme.
Der Schuldenabbau
Schuldenabbau kann prinzipiell auf zwei Wegen erfolgen. Zum einen über eine Erhöhung der Staatseinnahmen. Das ist einerseits möglich durch eine sogenannte Konjunkturbelebung, durch die die Wirtschaftsleistung und damit automatisch auch das Steueraufkommen steigen, und andererseits durch Steuererhöhungen. Ein dritter Weg ist der Verkauf staatlichen Eigentums an Privatunternehmer, seien es nun Staatsunternehmen wie Post und Bahn oder Autobahnen, oder das vielzitierte Tafelsilber (das aktuell allerdings aus Gold ist und bei der Bundesbank lagert).
Zum anderen kann man Schulden durch Einsparungen im Staatshaushalt abbauen, d. h. durch Kürzungen staatlicher Leistungen, auf welchem Gebiet auch immer.

Es gäbe auch noch einen anderen Weg, nämlich den des Staatsbankrotts, durch den die bestehenden Schulden entwertet werden, aber selbst beim kürzlichen de-facto-Bankrott Argentiniens traf es in erster Linie die KleinsparerInnen, deren Einlagen tatsächlich entwertet wurden, während die Auslandsgläubiger ihre Titel zu einem großen Teil aufrechterhielten. (Seit langem gibt es übrigens einen schwunghaften Handel mit solchen „faulen“ Schuldtiteln verschiedenster Länder, die zu einem Bruchteil des nominellen Wertes an Spekulanten verkauft werden, die dann mit unterschiedlichen Methoden versuchen, den Gegenwert plus einen Profit „einzutreiben“ und sich dabei auch die internationalen Finanzinstitutionen wie den IWF etc. zunutze machen).
Die Umverteilung
Doch bleiben wir im Inland. Betrachten wir zunächst die Zinszahlungen. Da findet der erste Teil der Umverteilung statt: Wie schon gesagt, werden sie aus dem Steueraufkommen bezahlt, also zu ca. 80% aus den Steuern der abhängig Beschäftigten. Eingestrichen wird das Geld von Banken und Fonds, die die entsprechenden Staatsanleihen zeichnen (und damit wiederum an der Börse handeln, das ist u. a. das, was in den Nachrichten so ominös „Bund Futures“ heißt, aber das ist ein anderes Thema).

Der nächste Teil geschieht beim Schuldenabbau, wenn nämlich zum Beispiel, wie jetzt angekündigt, die Mehrwertsteuer erhöht wird. Indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer treffen in erster Linie Geringverdiener, weil es bei ihr keine soziale Staffelung gibt (wie etwa bei den progressiven Steuermodellen, bei denen der Prozentsatz mit dem Einkommen steigt). Und einstreichen werden dieses Geld die Gläubiger (die es dann postwendend wieder ausleihen können). Gegenüber dieser Erhöhung ist die sogenannte Reichensteuer vom Volumen her nicht mehr als eine PR-Maßnahme.
Wen die Einsparungen, die den nächsten Part der Operation Umverteilung ausmachen, treffen, das hat man in den letzten Jahren zur Genüge spüren können, wird aus den Ankündigungen der neuen Regierung schnell klar: Rentenkürzung (schamhaft „Erhöhung des Renteneintrittsalters“ genannt), Kürzungen bei den Arbeitslosen (dafür hat man den schönen Begriff „Missbrauchsbekämpfung“ eingeführt), Kürzung der Pendlerpauschale, Streichung der Eigenheimzulage etc. pp. Und wohin geht das gesparte Geld? In die Zins- (und eventuell in ferner Zukunft Tilgungs)zahlungen und damit wieder an die üblichen Verdächtigen.

Und schließlich werden dann noch fleißig mit öffentlichen, d. h. Steuermitteln, aufgebaute Institutionen wie Post und Bahn, Altenheime und Krankenhäuser, Anteile an Unternehmen wie VW, auf kommunaler Ebene u. a. die Wasserversorgung, verkauft. Abgesehen davon, dass dem Staat dadurch langfristig Einnahmen aus durchaus profitträchtigen Bereichen verloren gehen, ist zu beobachten, dass die nun privat angebotenen Leistungen in den meisten Fällen nach der Privatisierung weder besser noch billiger werden – im Gegenteil. Die Profite fließen nun allerdings in die Taschen der gleichen Leute, die anschließend den Kaufpreis, den sie hingeblättert haben, in Form von Kreditrückzahlungen für ihr an den Staat ausgeliehenes Geld „erstattet“ bekommen.
Ein Wort zu Lafontaine
Die bis hierhin geäußerte Kritik an der Fiskalpolitik wird in weiten Teilen auch von Neokeynesianern wie Lafontaine geteilt. Diese argumentieren, dass der Staat im Gegenteil mehr Schulden machen solle, um durch eine expansive Ausgabenpolitik und den dadurch erzeugten Nachfrageschub die Wirtschaft in Gang zu bringen. Sieht man einmal davon ab, dass die Europäische Union qua Maastricht-Vertrag sich bspw. mit der Defizitobergrenze ausdrücklich gegen diese Art von Wirtschaftspolitik entschieden hat, ist insofern etwas Wahres an Lafontaines Meinung, als es andere reiche Industriestaaten gibt, die erheblich höher verschuldet sind: In der BRD machten die Staatsschulden 2003 64,9% des Bruttoinlandsproduktes aus, in Österreich 66,8%, in Belgien 102%, in Italien 120% und in Japan sage und schreibe 155% – und bisher hat noch keines dieser Länder Bankrott angemeldet. Da wäre also hierzulande durchaus noch Luft.

Allerdings sind Schulden grundsätzlich ein Wechsel auf die Zukunft. Und die Theorie der Neokeynesianer, dass man ja, wenn die Wirtschaft wieder laufe, die Schulden tilgen könne, hat sich bis heute nirgendwo bestätigt, international ist der Schuldenberg immer nur weiter gewachsen – allerdings konjunkturabh
ängig mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Das Problem wird verschoben, aber nicht gelöst und kann dann unter Umständen in einen Crash wie in Argentinien münden, mit dem Ergebnis der Geldentwertung und Massenverarmung.

Eine Lösung?
Natürlich gäbe es auch systemimmanent kurzfristige Umsteuerungsmöglichkeiten, um die galoppierende Umverteilung aufzuhalten, etwa die Aufhebung der Steuerprogressionsobergrenze (wie früher in Schweden), die Vermögens- oder die Erbschaftssteuer, mittels derer man versuchen könnte, die kontinuierlich laufende Umverteilung von unten nach oben umzukehren.
Aber dass das nicht gewollt ist, zeigt sich unter anderem daran, dass die wesentlichen Einsparungsmaßnahmen der großen Koalition, will sagen die, die das „große Geld“ bringen, sämtlich auf Kosten der abhängig Beschäftigten gehen. Von Subventionsabbau bei den Großagrariern, bei Airbus oder von einer Sonderbesteuerung von Spekulationsgewinnen wird ebenso wenig gesprochen wie von einer (höchst haushaltswirksamen) Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Die nächsten Bundeshaushalte werden über die geschilderten Maßnahmen die Umverteilung von unten nach oben beschleunigen. Bereits jetzt verfügen die reichsten zehn Prozent der bundesdeutschen Haushalte über mehr als 50% des Geldvermögens von ca. 3,7 Billionen Euro. Und jede Zinszahlung, jeder Abbau von Sozialleistungen, jede Privatisierung und jede Mehrwertsteuererhöhung macht diese Schicht von Besitzenden reicher. Und deshalb ist die Behauptung, „wir müssen alle den Gürtel enger schnallen“, in Bezug auf die Haushaltspolitik der Bundesregierung eine freche Lüge: Verdienen werden wieder die, die immer verdienen, bezahlen werden die Zeche die, die immer bezahlt haben.

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