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Sri Lanka: Satte Tiger werden zahm

Von Harry Tuttle | 01.01.2004

Um die Stagnation in den Friedensverhandlungen mit der LTTE zu überwinden, haben sich linke Parteien und Nichtregierungsorganisation in Sri Lanka zusammengeschlossen

Um die Stagnation in den Friedensverhandlungen mit der LTTE zu überwinden, haben sich linke Parteien und Nichtregierungsorganisation in Sri Lanka zusammengeschlossen

Den beiden mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten folgen ein Offizier in weißer Uniform und ein wohlgenährter Beamter. Zuletzt steigt ein Mann mit einer Trommel aus dem Kleinbus und die kleine Gruppe steuert zielstrebig das Gebäude an, in dem sich auch das Büro der NSSP, der Sektion der 4. Internationale in Sri Lanka, befindet.

Es ist Mitte November, in Sri Lanka herrscht Ausnahmezustand, und wir befürchten, dass die Aktion der Partei gelten könnte. Präsidentin Chandrika Bandaraneike Kumaratunga hat das Parlament suspendiert und drei Ministerposten, die bislang von der bürgerlichen UNP (United National Party) gehalten wurden, an sich gerissen. Ihrer Ansicht nach hat UNP-Premierminister Ranil Wickramasinghe bei den Verhandlungen mit der LTTE (Tamil Tigers of Tamil Eelam) zu viele Kompromisse gemacht. Die NSSP unterstützt den Friedensprozess und hat eine führende Rolle beim Aufbau einer Friedensbewegung.

Es stellt sich jedoch heraus, dass die Hausbesitzerin ihre Steuern nicht bezahlt hat und das Gebäude deshalb verkauft werden soll. Mit der Trommel sollte die Versteigerung angekündigt werden. Die Prozedur wird aber noch einmal verschoben.
Diskriminierung und Eskalation
In mancherlei Hinsicht ist Sri Lanka demokratischer als westliche Staaten. Dass auch Vertreter der NSSP in den großen bürgerlichen Zeitungen zu Wort kommen, ist eine Selbstverständlichkeit. Am Vormittag war bereits ein Team des Fernsehens im Büro, um ein Kurzinterview mit Generalsekretär Bahru aufzuzeichnen. Andererseits aber arbeiten die nationalistischen Parteien mit Schlägertrupps und Todesschwadronen zusammen, die die NSSP und andere linke Gruppen immer wieder attackierten. Derzeit aber würden solche Angriffe den Nationalisten nur schaden.

Denn eine große Mehrheit der Bevölkerung will ein Ende des Krieges, und die meisten sind auch bereit, der LTTE Zugeständnisse zu machen. Die ehemals separatistischen Tigers wiederum haben einer Autonomielösung grundsätzlich zugestimmt. Derzeit stocken die Verhandlungen, aber der 2001 vereinbarte Waffenstillstand hält.

Die Wurzeln des Bürgerkrieges liegen noch in der Kolonialzeit. Die britische Verwaltung hatte die tamilische Minderheit, etwa 18 Prozent der Bevölkerung, im Staatsdienst bevorzugt. Als nach der Unabhängigkeit 1948 der wirtschaftliche Aufschwung ausblieb und die Arbeitslosigkeit anstieg, gab das dem Nationalismus der singhalesischen Mehrheit (über 70 Prozent der Bevölkerung) Auftrieb. 1956 wurden Englisch und Tamilisch als Schul- und Amtssprachen abgeschafft. Dieser administrativen Maßnahme entsprach eine Diskriminierung im sozialen Alltag. Bis heute ist es für TamilInnen kaum möglich, hohe Positionen im Staatsdienst oder in der „freien" Wirtschaft zu erlangen.

In den überwiegend tamilischen Gebieten des Nordens und Ostens wuchs die Unzufriedenheit, bewaffnete Gruppen bildeten sich. 1983 kam es zur Eskalation. Nachdem eine Armeepatrouille überfallen und 13 Soldaten getötet worden waren, überfielen singhalesische Mobs tamilische Wohngebiete. Mehr als 2000 TamilInnen wurden massakriert, 150.000 flohen.

Mit der LTTE bauten sich die tamilischen Nationalisten schnell eine schlagkräftige Guerillaorganisation auf. Trotz aller militärischen Erfolge gelang es der Armee nie, die LTTE entscheidend zu schwächen, Massaker und alltägliche Diskriminierung trieben den Tigers ständig neue Anhänger zu. Doch auch die LTTE ging mit terroristischer Gewalt gegen die in ihren Gebieten lebenden MuslimInnen und SinghalesInnen sowie gegen DissidentInnen in den eigenen Reihen und konkurrierenden politischen Organisationen vor.
Krieg und Geschäft
Beide Seiten begründeten ihre Ansprüche mit Rückgriffen auf die wechselhafte Geschichte tamilischer und singhalesischer Herrscherdynastien. Da fast alle SinghalesInnen BuddhistInnen und fast alle TamilInnen HindustInnen sind, wurden diese Ansprüche auch religiös geheiligt, und in Teilen der Gesellschaft breiteten sich rassistische Ideologien aus.

Die religiöse Toleranz ist traditionell groß in Sri Lanka, viele religiöse Feste werden von Angehörigen verschiedener Konfessionen gemeinsam gefeiert. Doch in vielen Fällen waren es buddhistische Mönche, die bei Massakern den singhalesischen Mob anführten. Ein Teil des Klerus fürchtet den „Ausverkauf" der singhalesisch-buddhistischen Kultur und einen Machtverlust. Es gibt jedoch auch viele pazifistische und sogar einige kommunistische Mönche. In der Friedensbewegung sind zahlreiche Geistliche vertreten.

Dass der Krieg mittlerweile von den wichtigsten politischen Kräften als geschäftliche Angelegenheit behandelt wird, bei der es um die angemessene Verteilung von Macht und Pfründen geht, ist ein großer realpolitischer Fortschritt. Die singhalesische Oligarchie hat erkennen müssen, dass sie den Krieg militärisch nicht gewinnen kann. Spätestens der spektakuläre Überfall auf den Flughafen der Hauptstadt Colombo im Juli 2001 machte klar, dass der Frieden eine Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung und ausländische Investitionen war. Die LTTE musste nach dem 11. September fürchten, von der lebenswichtigen Finanzierung durch die tamilischen MigrantInnen abgeschnitten und international isoliert zu werden, wenn sie sich nicht kompromissbereit zeigte.

Widerstand gegen eine Kompromisslösung kommt von der religiösen Rechten, aber auch von nationalistischen Linken. Die JVP, eine Partei, die mehrere bewaffnete soziale Aufstände anführte, hetzt mit rassistischen Parolen gegen die „kulturlosen" TamilInnen. Weniger extremistisch, aber einflussreicher ist die SLFP (Sri Lanka Freedom Party) der Präsidentin. In den sechziger und siebziger Jahren verfolgten die SLFP-Regierungen eine relativ radikale staatskapitalistische Politik, viele Wirtschaftsbereiche wurden verstaatlicht. Es war jedoch auch die SLFP, die die tamilische Sprache aus den Lehrplänen strich und die heute darüber klagt, dass die UNP den Tigers zu weit entgegenkommt.

Die bürgerliche UNP war im Hinblick auf die tamilische Frage immer toleranter. Sie vertritt die aufstrebende Bourgeoisie Sri Lankas, die den Krieg geschäftsschädigend findet, und hat derzeit die Unterstützung der um die Stabilität der Region besorgten westlichen Staaten. Mit dieser Rückendeckung konnte Wickramasinghe im Machkampf mit Chandrika bestehen. Der Streit zwischen den Parteien ist bis heute nicht beigelegt, und die Konflikte verhindern Fortschritte bei den Friedensverhandlungen.

Um die Politiker unter Druck zu setzen und den Friedensprozess auch auf der gesellschaftlichen Ebene voranzutreiben, haben sich die NSSP und andere linke Parteien mit Nichtregierungsorganisationen bei einer Konferenz Mitte November zur Peoples Peace Assembly zusammengeschlossen. Kommunisten sitzen hier neben Mönchen in ihren orangefarbenen Gewändern, tamilische Künstler neben muslimischen Predigern und Frauenrechtlerinnen neben Hindupriestern. Eine tiefer gehende Diskussion konnte auf dem eint&aum
l;gigen Treffen nicht geführt werden, doch über die wichtigsten Punkte wurde schnell Einigkeit erzielt.

Die Friedensbewegung fürchtet, dass die von den großen Parteien verursachte Instabilität der rassistischen Agitation nutzt, sie will insbesondere im Süden des Landes, wo der singhalesische Nationalismus besonders stark ist, Versammlungen durchführen, und sie fordert, den Verhandlungsvorschlag der LTTE ernst zu nehmen.
Autonomie und Demokratie
Der kurz zuvor veröffentlichte Friedensplan der Tigers fordert weitreichende Autonomie für die überwiegend tamilischen Regionen sowie die Rechte auf die Nutzung der vor der Küste liegenden 200-Meilen-Zone, in der Öl vermutet wird. Die Autonomiebestimmungen würden den Tigers auch ein faktisches Monopol auf wie wirtschaftliche und politische Macht in „ihrer" Region sichern. Dort aber leben nicht nur TamilInnen, sondern auch SinghalesInnen und MuslimInnen. Die Friedensbewegung fordert, dass deren Rechte garantiert werden müssen.

Können die Machtansprüche der LTTE zu neuen Konflikten oder gar einem Bürgerkrieg mit neuen Fronten führen? Die Gleichberechtigung der TamilInnen auf einer territorialen Ebene zu garantieren und damit faktisch einer autoritär geführten Organisation ein schwer kontrollierbares Machtmonopol zuzugestehen, ist sicher nicht die beste Lösung. Zu einem Kompromiss mit der LTTE gibt es jedoch keine Alternative.

Eine wirkliche Lösung der tamilischen Frage wäre ihre Auflösung in einer sozialistischen Gesellschaft, die der „ethnischen" Identität keine Bedeutung beimisst. Wie bei allen „ethnischen" Konflikten geht es auch hier um die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen. Die Regierung wie auch die politische Führung der unterdrückten Gruppe bedienen sich der Identitätspolitik, um ihre Machtansprüche durchzusetzen.

In einer nichtrevolutionären Situation ist nur ein kapitalistischer Friedensprozess möglich. Er wird die gegenüber der LTTE loyalen TamilInnen besser stellen, in Colombo und anderen überwiegend singhalesischen Städten aber werden sie auch weiterhin keinen Zugang zu den Positionen haben, die ein schmale Oligarchie unter ihren Angehörigen verteilt.

Der NSSP ist vorgeworfen worden, sie würde eine Volksfrontpolitik betreiben und eine bürgerliche Regierung unterstützen. Einen Burgfrieden mit dem Kapitalismus gibt es jedoch nicht, auch wenn Regierungsvertreter Bahru noch während einer Demonstration gegen die Privatisierung per Handy davon zu überzeugen versuchten, von solchen Aktivitäten Abstand zu nehmen. Die NSSP ist in mehreren Gewerkschaften stark vertreten, und obwohl es derzeit keine spektakulären Streiks gibt, finden ständig kleinere Arbeitskämpfe statt. Mitte November waren es die Mitarbeiter der Elektrizitätsgesellschaft und die Hotelangestellten, die auf den Straßen Colombos lautstark für ihre Rechte eintraten.

Nur eine demokratische Entscheidung über die Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen kann die alltägliche Diskriminierung der TamilInnen beenden. Auf dem Weg dahin ist der gemeinsame Kampf um soziale Rechte das beste Mittel, Ressentiments zu überwinden und die Kriegstreiber zu isolieren.

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