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Betrieb & Gewerkschaft

Spartentarife führen in die Sackgasse

Von Clarissa L. | 01.04.2005

Die diesjährige Tarifrunde im Öffentlichen Dienst hat für die sog. „Arbeitgeber” einen bedeutsamen Durchbruch bei der Zerschlagung des Flächentarifvertrags gebracht.

 
Mit dem Potsdamer Tarifabschluss wurden vor allem die Voraussetzungen für die Einführung bzw. Verbreitung von Spartentarifverträgen gelegt. Was diese Spartentarifverträge bringen zeigt nicht zuletzt der Kampf, den die BusfahrerInnen der Herweg-Busbetriebe (HBB) führten. Die HBB ist eine Tochter der Kraftverkehr Wupper-Sieg (Wupsi) in Leverkusen (Opladen).
Mit dem längsten Streik der Nachkriegsgeschichte über 395 Tage, vom 9.1.2004 bis zum 8.2.2005, kämpften die KollegInnen für die Durchsetzung eines Tarifvertrages. Fünfzig BusfahrerInnen standen Tag für Tag Streikposten und machten mit anderen Aktionen politischen Druck, um Anschluss an einen Verdi-Tarifvertrag zu bekommen.
Die HBB hatte mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD, eine gelbe Gewerkschaft, die im Betrieb keine Mitglieder hat) einen Tarifvertrag abgeschlossen, bei dem die Löhne um 30% unter denen der Wupsi-Beschäftigten liegen, die noch nach dem Flächentarifvertrag (BAT-G) bezahlt werden. Verdi hatte aber von vornherein nicht das Ziel, den Anschluss an den alten Flächentarif zu erreichen.

Ungünstige Voraussetzungen

Die Bedingungen für den Kampf waren denkbar ungünstig. Zum einen gelang es den HBB von privaten Busunternehmen ausreichend Streikbrecher anzuheuern. Zum anderen – und hier liegt der strategische Fehler der gesamten Verdi-Politik – strebte sie nur den Anschluss an den Spartentarif Nahverkehr (TV-N) an. Der war 2001 abgeschlossen worden, um private Busunternehmen “einzufangen”, und die Arbeitgeber von Privatisierungen abzuhalten. Im Ergebnis hat das nur dazu geführt, dass die Beschäftigten jetzt zusätzlich aufgespalten sind. Die gemeinsame Kampffront wurde geschwächt, denn während die einen verhandeln und (möglicherweise) streiken, sind die anderen in der Friedenspflicht und können für Streikbrechertätigkeiten herangezogen werden. Aufgrund gerichtlicher Entscheidungen wurden Solidaritätsstreiks der Wupsi-Beschäftigten verboten, vor allem aber hat die Aufspaltung der im Nahverkehr Beschäftigten die Streikenden bei HBB politisch recht bald im Regen stehen lassen. Setzt sich diese Tendenz fort, wird eine Bastion gewerkschaftlicher Organisierung und Kampfkraft, nämlich die der Beschäftigten des Nahverkehrs, (gewerkschafts-) politisch gelähmt und dann der Reihe nach “abgeschlachtet”.
Die Politik des Nachgebens, in der Hoffnung, damit die andere Seite zu besänftigen, wurde auch im Verdi-Bezirk NRW nicht “belohnt”: Keines der 606 größtenteils Klein- und Kleinstunternehmen mit insgesamt ca. 1000 Beschäftigten ist dem TV-N beigetreten. Sie alle bleiben im Verband Nordrhein-Westfälischer Omnisbusunternehmen (NWO) mit seinem Billigtarif, den er mit der GÖD abgeschlossen hat.

Teilerfolg

Um so bewundernswerter, dass die KollegInnen über ein Jahr lang durchgehalten haben und mit dem Verhandlungsergebnis von Anfang Februar einen Teilerfolg erzielen konnten. Es wurde ein Haustarifvertrag abgeschlossen, der die ersten drei Stufen des Spartentarifs übernimmt. Der Lohn steigt somit von 9,47 auf 10,33 Euro. Die Befristeten, deren Verträge zwischenzeitlich ausgelaufen waren, werden übernommen und die HBB verpflichtet sich, bis Ende 2009 keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen.
Aber die Schattenseiten des Abschlusses sind nicht zu übersehen: Der Anschluss lediglich an den Spartentarif bedeutet, dass die Löhne von vornherein um 15% unter dem alten Flächentarif (BAT-G) bleiben. Hinzu kommt, dass zusätzlich beim Urlaubsgeld Abstriche gemacht wurden, so dass die HBB-Beschäftigten – nach unseren Berechnungen – jetzt immer noch um gut 18% unter dem alten BAT liegen, ganz abgesehen von der längeren Arbeitszeit (11 freie Tage weniger).
Gerade die landauf, landab stattfindenden Auseinandersetzungen um neue Tarifverträge für die Beschäftigten im Nahverkehr, so jetzt bei der BVG in Berlin, erfordern eine breite Mobilisierung, aber nicht für Spartentarife, sondern für den alten BAT. Der muss im ganzen Land für alle Beschäftigen im Öffentlichen Dienst durchgesetzt werden. Nur so lässt sich wirksam gegen die geplante weitere Liberalisierung im Öffentlichen Dienst mobil machen.
Ab 2008 sollen Dienstleistungen EU-weit ausgeschrieben werden. Die Bolkestein-Richtlinie lässt sich nur mit einem Aufgebot aller Mittel – breite politische Kampagne und gewerkschaftliche Aktionen bis hin zum Streik – zu Fall bringen. Die politischen Voraussetzungen dafür sind in den letzten Monaten günstiger geworden.

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