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Innenpolitik

Sozialforum in Deutschland – Ein Weg zur außerparlamentarischen Opposition?

Von B.S. | 01.09.2005

Ganz dem Konzept des Weltsozialforums in Porto Alegre entsprechend war das 1. Sozialforum in Deutschland, das vom 21.-24. Juli in Erfurt stattfand, ein „offener Raum“.

Darunter verstanden die Veranstaltenden und weitgehend auch die Beteiligten Offenheit für die unterschiedlichsten Initiativen. Und die Vielzahl der Veranstaltungen war auch ein bunter Katalog von Angeboten, der so etwa jedes Bedürfnis zu befriedigen trachtete – von der Spiritualität über Meditation, Deklamation und Diskussion zur Aktion.
Frauen
So war auch das Auftreten der Frauen am Donnerstagabend unter dem Motto „Frauen, wehrt euch“, initiiert vom Landesfrauenrat Thüringen. Frauen bildeten eine Kette mit selbst gestalteten Tüchern, auf denen sie ihre Befindlichkeit darstellten. Positiv war, dass gleichzeitig darauf hingewiesen wurde, dass die gegenwärtige „Familienpolitik“ das konservative Frauenbild verfestigen will. Interessant daran ist, dass die „Wahlprüfsteine“ der IG-Metallfrauen die gleiche Befürchtung äußern.
Bei einer Diskussion fast nur unter Frauen zum Thema „Neubewertung der Arbeit“ zeigte sich die Breite der Möglichkeiten. Ein Vertreter der KAB (katholischen Arbeiterbewegung) präsentierte das Modell der Triade – Erwerbs-, Privat- und Gemeinwesenarbeit. Die Teilnahme daran soll jedem und jeder ein Grundeinkommen von 636 Euro plus Wohngeld sichern. Dieses Beispiel zeigt, welche Blüten die „andere Welt“ hervorbringen kann. Aber dieser Vorschlag gab den Anstoß, grundsätzlich zu werden. Die Frauen bezweifelten zum einen, dass sich das kapitalistische System überhaupt auf eine wirkliche Grundsicherung einlassen kann und zum anderen waren sie sich klar darüber, wer wohl die Privat- und Gemeinwesenarbeit leisten würde. Chancengleichheit auch nur im Ansatz versprach sich keine.

Gewerkschaften
Interessant war, dass und wie sich Gewerkschaften sowohl in Arbeitsgruppen als auch bei Großveranstaltungen beteiligten. Frank Bsirske, Vorsitzender von Ver.di, hielt am Samstagvormittag zur Themenkonferenz „Arbeitswelt und Menschenwürde“ das Hauptreferat und wurde durchaus mit verhaltenem Beifall bedacht. Heftige Missfallensäußerungen erlebte der DGB-Vorsitzende von Thüringen, weil er Hartz IV nachbessern wollte. Ihm schallte ein wütendes „Hartz IV muss weg“ entgegen. Allgemein war die Stimmung gewerkschaftskritisch, zuweilen auch gewerkschaftsfeindlich. Am Montag, dem 25. Juli veröffentlichte die Thüringer Allgemeine ein Interview mit Bsirske, in dem er, zu den Erwartungen vom Sozialforum befragt, erklärte, dass Ver.di und die anderen Gewerkschaften „ganz klar die globalisierungskritische Haltung dieser Bewegung“ teilen.
Linkspartei und soziale Bewegung
Da bei den Sozialforen keine Parteien auftreten dürfen, war die Linke/PDS (gemeinsame Wahlversammlungen standen auch teilweise noch bevor) nicht offiziell präsent, aber gewissermaßen gegenwärtig. Nach einer Befragung durch die Thüringer Allgemeine mit 600 Fragebögen sollen 90% der auf dem Sozialforum Befragten erklärt haben, für „Gysi und Lafontaine“ stimmen zu wollen. Wie weit hat die Bildung dieser Partei, die durch das Wahlgesetz zu einem recht merkwürdigen Gebilde geworden ist, Einfluss auf die sozialen Bewegungen und umgekehrt? Die PDS ist im Osten trotz recht hohen Alters der Mitgliedschaft präsenter als die WASG im Westen. Die Wahlvorbereitungen – und das verstärkt im Westen – saugen die Kräfte, die sich zuvor z.T. in den Sozialforen oder in der Gewerkschaftslinken verdient gemacht haben, auf. Zwar betonen gerade die Vertreter der Linken, dass sie als Partei die Zusammenarbeit mit den Bewegungen brauchen, aber wie werden das die Bewegungen sehen, besonders wenn sie sich stärken sollten?
Die Sozialforen mit ihrem „offenen Raum“ können vielleicht eine Grundlage für das Zusammenfassen der unterschiedlichen Initiativen sein. Dabei gilt es allerdings auch, die Unverbindlichkeit zu überwinden. Dazu muss – wie schon in Erfurt gefordert – eine Aktions- und Strategiekonferenz der sozialen Bewegungen am 19. und 20.November 2005 dienen.
Die Auffassung, dass es nicht mit dem Ausbessern der Fehler des kapitalistischen Systems getan ist, sondern dass der Kapitalismus überwunden werden muss, wurde auf dem Sozialforum zu wenig vertreten.

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