Solidarität mit dem Kampf des belorussischen Volks
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Belarus

Solidarität mit dem Kampf des belorussischen Volks

Von Antonello Zecca, Gippò Mukendi Ngandu | 29.08.2020

Am 9. August veröffentlichten die belarussischen Behörden die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, danach ist Alexander Lukaschenko zum sechsten Mal in Folge mit 80 % der Stimmen auserkoren worden. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Am selben Tag gingen Zehntausende von Menschen auf die Straße, um die Ergebnisse offensichtlichen Wahlbetrugs anzuprangern, die Folge war eine äußerst gewaltsame Polizeirepression.

Es ist nicht das erste Mal, dass Belarus gegen das Lukaschenko-Regime protestiert. Bereits 1995 ordnete der Präsident eine blutige Repression gegen die streikenden U-Bahn-Arbeiter*innen an, damit leitete er seine Amtszeit ein. Seitdem hat es zwar viele Proteste gegeben, aber keiner hat je das Ausmaß der Proteste wie in diesen Tagen erreicht. Die Mobilisierungen, mit denen Jugendliche in Minsk angefangen haben, haben sich schnell auf das ganze Land ausgebreitet, auch die Regionen weit weg von der Hauptstadt, in denen es traditionell keinen Protest gegen das Regime gibt. Alle Klassen oder bedeutende Fraktionen sind beteiligt, einschließlich der Arbeiterklasse, die an vier aufeinander folgenden Protesttagen mit Demonstrationen und ‒ ein besonders relevanter Aspekt ‒ Streiks massenhaft zu mobilisieren begann.

Die einzigen Sektoren, die Lukaschenko heute noch weitgehend treu bleiben, sind die neuen intellektuellen Eliten des Landes ‒ vor allem im universitären Betrieb und in den offiziellen Medien ‒ und die Polizei…

Diese Explosion ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der Kompromiss „Verbesserung der sozialen Sicherheit im Gegenzug zu Abwesenheit von demokratischen und politischen Freiheiten“ infolge der Preiserhöhung des von Russland gelieferten Rohöls und des Preisverfalls auf internationaler Ebene nach und nach gebrochen wurde. Wie in allen Volkswirtschaften, die in hohem Maße von einer einzigen oder einer Haupteinnahmequelle abhängig sind, hat dies der traditionellen Zustimmung zu Lukaschenko die Grundlage entzogen; vorher war sie unter den Arbeiter*innen und Angestellten im privaten und öffentlichen Sektor sowie unter den Bewohnern*innen von Regionen mit stark landwirtschaftlichem Charakter verbreitet. Seit einiger Zeit hatte die Regierung Lukaschenko entgegen den „Empfehlungen“ des IWF, schrittweise eine Politik des Lohn- und Tarifabbaus eingeleitet, auf der Suche nach Rückhalt auch bei den USA. Dies führte zu einem hohen Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Arbeitsplatzunsicherheit, während die Politik der sozialen Absicherung gleichzeitig deutlich herabgestuft wurde. Dies hat dazu geführt, dass die Regierung den Beschäftigten im Staatssektor etliche besonders unerträgliche Verpflichtungen auferlegt hat, als Ausgleich zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze: Samstagsarbeit, Überwachung der Wahlbeteiligung, sogar die Teilnahme als Mitglieder von Wahlausschüssen mit der Anweisung, die Ergebnisse zu fälschen. All dies hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich tiefe Unzufriedenheit und breite Bereitschaft zur Rebellion in der Arbeiterklasse des Landes verbreitet haben, die einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt ist: der bürokratischen und der kapitalistischen. Die einzigen Sektoren, die Lukaschenko heute noch weitgehend treu bleiben, sind die neuen intellektuellen Eliten des Landes ‒ vor allem im universitären Betrieb und in den offiziellen Medien ‒ und die Polizei; die Polizist*innen kommen größtenteils vom Land und genießen, was nicht wirklich überrascht, erhebliche Privilegien, wie z. B. garantierte Wohnungen, Vorruhestand, bezahlten Urlaub und medizinische Versorgung in Spezialkliniken.

Was die politischen Organisationen angeht, gibt es ‒ neben denen, die die Regierung unterstützen, darunter die reaktionäre „Kamunistytschnaja partyja Belarusi“ (Kommunistische Partei von Belarus, KPB) ‒ das liberale Oppositionslager und auf der linken Seite die Weißrussische vereinigte Linkspartei „Eine gerechte Welt“ (die sich 1996 von der KPB abgespalten hat), anarchistische Kollektive, die Grüne Partei und verschiedene marxistisch inspirierte Arbeitergruppen und -zusammenhänge. Traditionelle nationalistische Organisationen ‒ auch diejenigen, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR mit dem Westen verbunden waren ‒ haben bei der Mobilisierung praktisch keine Rolle mehr gespielt, seit Lukaschenko sie ihrer Führung beraubt hat; kein Vergleich also zum Euromaidan in der Ukraine, in der mehrere rechtsextreme Gruppen als eine keineswegs untergeordnete Rolle gespielt haben.

Zwei Arten von Problemen sind zu berücksichtigen: In einem Land mit einem hohen Maß an polizeilicher Repression können nur die politischen Strukturen überleben, die Subventionen aus dem Ausland erhalten, wie z. B. gewisse traditionelle Medien und soziale Medien neoliberal-nationalistischer Couleur. In Ermangelung „traditioneller“ Maßstäbe können diese Strukturen, was nicht überrascht, den Protesten eine Orientierung geben. Konkret sind die gemeinsamen Forderungen bei allen Mobilisierungen das Ende der Polizeigewalt, die Abhaltung von Neuwahlen und die Freilassung der Gefangenen. Das sind demokratische Losungen, die natürlich unterstützt werden müssen, die aber sehr unzureichend sind, weil dabei Forderungen mit einem sozialen Inhalt fehlen, die nur die Arbeiterklasse zu hervorbringen kann.

Das belarussische Volk läuft Gefahr, ein weiteres Opfer dieses Krieges zu werden, der mit anderen Mitteln geführt wird.

Die klassenorientierten linken Strukturen arbeiten, auch wenn sie organisatorisch schlecht ausgestattet sind, daran, dass in den Mobilisierungen Losungen mit antikapitalistisch-sozialem Inhalt auftauchen und sich durchsetzen: Ende der Sparpolitik und Lohnkürzungen, adäquater sozialer Schutz, Ende der politisch oder anderweitig motivierten Entlassungen, Nein zu Privatisierungen, völlige Freiheit der gewerkschaftlichen Tätigkeit. Die politischen Kräfteverhältnisse sowie mehr Mittel und die internationale Unterstützung des US-Imperialismus und der verschiedenen europäischen Imperialismen, die neoliberale politische Kreise genießen, machen diese unverzichtbaren Aufgaben jedoch sehr schwierig. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass der russische Präsident Putin Lukaschenko seine politische und militärische Unterstützung angeboten hat, und es versteht sich, dass Belarus ein neues Element im Kampf zwischen den imperialistischen und subimperialistischen Mächten zu werden droht, von dem bereits andere Szenarien sozialer und politischer Revolte gezeichnet sind. Das belarussische Volk läuft Gefahr, ein weiteres Opfer dieses Krieges zu werden, der mit anderen Mitteln geführt wird.

Auf jeden Fall geht aus diesen Mobilisierungen auch ein allgemeinerer politischer und strategischer Hinweis hervor, der unbedingt berücksichtigt werden muss: Im Gegensatz zu Teilen der Linken, die nach wie vor vom Campismus [Block- oder Lagerdenken] besessen sind und die leider nach wie vor eine unerträgliche Polizeisicht auf die Geschichte (gegen die Marx zu Recht gewettert hat), aber auch eine reduktionistische, flache, statische, anti-dialektische Auffassung über das komplexe System einer Gesellschaft vertreten, halten wir daran fest, dass unter bestimmten Umständen früher oder später unvermeidlich eine Revolte ausbricht. Über die politische Legitimität dieser Revolten sollte ‒ zu welchen Ergebnissen auch immer sie führen mögen, ob diese uns gefallen oder nicht ‒ nicht mehr debattiert werden.

Deshalb sind wir, ohne dass wir naiv und schlicht eine positive Entwicklung für die arbeitenden Klassen erwarten würden, voll und ganz solidarisch mit dem belarussischen Volk, das gegenwärtig gegen das Polizei-, bürokratische und arbeiterfeindliche Lukaschenko-Regime kämpft.

Dieser Artikel ist am 18. August 2020 auf der Webseite von Sinistra Anticapitalista, einer der beiden Organisationen der Vierten Internationale in Italien, veröffentlicht worden.

Aus dem Französischen und Italienischen übersetzt und bearbeitet von Wilfried unter Mitarbeit von MiWe

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