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Betrieb & Gewerkschaft

Siemens streicht Tausende von Arbeitsplätzen

Von Carlo | 29.10.2005

Nicht nur die Deutsche Bank geht von immer höheren Gewinnmargen aus. Auch bei Siemens werden inzwischen Mindestrenditen für die einzelnen Bereiche vorgegeben. Falls diese nicht erreicht werden, werden schlechte Zahlen in einem Teilbereich sofort zu “existentiellen Bedrohungen” aller Arbeitsplätze hochgespielt.

Nicht nur die Deutsche Bank geht von immer höheren Gewinnmargen aus. Auch bei Siemens werden inzwischen Mindestrenditen für die einzelnen Bereiche vorgegeben. Falls diese nicht erreicht werden, werden schlechte Zahlen in einem Teilbereich sofort zu “existentiellen Bedrohungen” aller Arbeitsplätze hochgespielt.

Daher wurde mit dem “Siemens Management System” ein Mechanismus festgelegt, wie auf das Verfehlen von Renditezielen reagiert wird. Dies wird dann in den Optionen “Kostenreduktion”, “Kooperationspartner suchen”, “Verkaufen”, oder “Schließen” zusammengefasst. Dabei meint Kostensenkung meist massiven Personalabbau in “Hochlohnländern” kombiniert mit eventuellen Verlagerungen in “Billiglohnländer” – oder die Erpressung des Tarifbruchs, wie er in der Handy-Produktion in Kamp-Lintfort und in Bocholt mit der Ausdehnung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden vorgeführt wurde.
Ein kurzer (nicht vollständiger) Überblick über die Aktivitäten des Konzerns – und der Belegschaften – an einzelnen Siemens-Standorten unterstreicht dieses Konzept.

Siemens COM Enterprise-Geschäft
Die Beschäftigten der Service-Gesellschaften werden zum 1. Oktober gemäß dem Anfang 2005 abgeschlossenen Tarifvertrag für die NL wieder in die Siemens AG integriert. Siemens hält also den Tarifvertrag ein. Die Auslastungsprobleme speziell im COM Enterprise-Geschäft und bei den I&S-Service-Centern sollen je nach der Situation vor Ort ab 1. November durch Anwendung des TV Beschäftigungssicherung, also durch Arbeitszeitreduzierung von 35,8 auf 30 Stunden abgefedert werden. Die Notwendigkeit dafür gilt allerdings nicht flächendeckend pauschal als gegeben, sondern muss jeweils an den einzelnen Standorten geprüft werden. Damit sind Kündigungen erst einmal vom Tisch. Gleichzeitig bietet Siemens Aufhebungsverträge, Altersteilzeit sowie den Übertritt in eine Beschäftigungsgesellschaft (BeE) an. Durch Weiterbildungsmaßnahmen sollen die KollegInnen dazu befähigt werden, andere Arbeitsplätze im Konzern zu finden.
L&A Industrielogistik (DI)
Nach den ersten Aktionen der Offenbacher L&A-Beschäftigten vor ihrem Betrieb und dem Münchner Siemens-Hauptquartier hat auch eine außerordentliche Betriebsversammlung am 10. Oktober keine Verbesserung für die angespannte Stimmung am Standort erzeugen können: Statt klarer Informationen über die geplante Ausgliederung der Sparte DI in eine Dematic GmbH, so die Kritik der örtlichen Arbeitnehmervertretung und der IG Metall, gab es “nur ausweichende Antworten”.
Auf feste Zusagen der Geschäftsleitung zur Zukunft der Fertigung warten die Beschäftigten weiter ebenso vergeblich wie auf solche zu Standortgarantien oder Tarifbindung der neuen Firma. Besonders letzteres sorgt in der Belegschaft für viel Unruhe. Nach Einschätzung von IG Metall-Vertrauenskörperleiter Gebhard Hofner deutet die aktuelle Lage daraufhin, “dass die Tarifbindung zur Verhandlungsmasse bei den Überleitungsverhandlungen werden soll – eine klare Kampfansage an die Beschäftigten!”

Die Belegschaft im Offenbacher Waldhof ist entschlossen, ihren Protest der letzten Wochen, falls nötig, fantasievoll fortzusetzen. Bis zu den nächsten Verhandlungen Ende Oktober sind weitere Aktionen geplant, um den Konzern öffentlich in die Pflicht zu nehmen und feste Zusagen über Beschäftigungs- und Standortsicherung, sowie die Tarifbindung zu erreichen.
Zerschlagung der SBS?
Nach Informationen in der Presse verdichten sich die Anzeichen, dass die Geschäftsbereiche auf andere Siemens-Sparten verteilt werden bzw. eine Kooperation mit einem externen Partner eingehen sollen. Die Product Related Services (PRS) sollen demnach an Fujitsu Siemens Computers gehen, die Operation Related Services (ORS) mit dem französische Konzern Atos Origin betrieben werden; das Solutions-Geschäft (SOL) wird in den Siemens-Bereich Automation and Drives übergehen, die Siemens-interne IT (Shared Services) schließlich übernähme Siemens Communications.

Bei den Beschäftigten, die noch am 26. September per E-Mail der Geschäftsleitung beruhigt wurden, ließe diese Lösung einiges an Schwierigkeiten erwarten. Verschwindet nämlich SBS als eigenständiges Unternehmen und geht in andere Bereiche innerhalb der Siemens AG oder ein anderes Unternehmen auf, entstehen zwangsläufig erhebliche Redundanzen; die “Synergieeffekte” bedeuten dann vor allem in administrativen Bereichen – aber nicht nur dort –, dass zahlreiche Stellen überflüssig werden. Der zuletzt angekündigte Abbau von 2.400 Stellen wirkt in diesem Licht, sollten sich die Informationen bestätigen, als letzter Versuch, SBS für die aufnehmenden Siemens-Bereiche bzw. mögliche externe Partner attraktiver zu machen.
Infineon: Erfolgreicher Warnstreik-Auftakt
“Wir bleiben hier, dafür kämpfen wir”, skandierten Infineon-Beschäftigte am Werk München-Neuperlach am 29.9.2005. Mit einem ersten Warnstreik wandten sie sich gegen die drohende Schließung des Betriebes im Jahr 2007. Die rund 160 KollegInnen der Früh- und Spätschicht hatten sich nach Auskunft von Vertrauenskörperleiter Rudi Steinberger vollständig dem Streikaufruf der IG Metall angeschlossen.
Im Perlacher Werk arbeiten derzeit 800 Beschäftigte. Viele sind seit Jahren in dem Unternehmen tätig und haben auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen. Nach Gewerkschaftsangaben sind zudem weitere 200 Arbeitsplätze bei Zulieferern betroffen. Obwohl es seit drei Jahren keine Neuinvestitionen gegeben habe, arbeite der Perlacher Betrieb mit Gewinn.
Sollte sich die Unternehmensleitung nicht verhandlungsbereit zeigen, ruft die IG Metall dann die Beschäftigten zur Urabstimmung über eine unbefristete Arbeitsniederlegung auf. Auch über eine Betriebsbesetzung werde diskutiert, berichteten KollegInnen.
Massiver Druck ist nötig
Von den bestehenden Betriebsrats- und Gewerkschaftsspitzen ist eine solche Kampfperspektive nicht zu erwarten. Um so wichtiger ist es, selbst aktiv zu werden, die Vertrauensleutestrukturen zu stärken und Kontakte zu anderen Belegschaften aufzubauen. Nur mit massivem Druck durch die KollegInnen wird es möglich sein, die Blockade von Co-ManagerInnen in den Betriebsräten zu durchbrechen und sich zu wirksamer Gegenwehr gegen einen immer aggressiveren und irrationaler werdenden Kapitalismus zu formieren.

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