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Innenpolitik

Schluss mit Ekelfleisch – nehmt den Kapitalismus vom Speiseplan!

Von Oskar Kuhn | 01.01.2006

Seit einigen Wochen wird Appetitliches aufgetischt: Roastbeef, Gulasch, Putenbraten, Wurst – vergammelt, verfault aber schön neu etikettiert. Brechreiz stellt sich so schon vor dem Genuss ein. Sind beim Fleischskandal nur schwarze Schafe am Werk, wie uns Verbraucherschutzminister Seehofer und die Interessenverbände der Fleischindustrie weissmachen wollen oder hat das ganze System?

Seit einigen Wochen wird Appetitliches aufgetischt: Roastbeef, Gulasch, Putenbraten, Wurst – vergammelt, verfault aber schön neu etikettiert. Brechreiz stellt sich so schon vor dem Genuss ein. Sind beim Fleischskandal nur schwarze Schafe am Werk, wie uns Verbraucherschutzminister Seehofer und die Interessenverbände der Fleischindustrie weissmachen wollen oder hat das ganze System?

Der Westdeutsche Rundfunk weist auf der Homepage seines Magazins Panorama darauf hin, dass bereits Anfang März 2005 in zwei niedersächsischen Filialen einer Supermarktkette altes umetikettiertes Fleisch entdeckt worden ist. Dies ist ein Wiederholungsfall für dieses Einzelhandelsunternehmen, welches bereits 1996, 2000 und 2003 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen entsprechend überführt worden ist. Insgesamt ist mittlerweile (Stand Mitte Dezember 2005) tonnenweise vergammeltes Fleisch im gesamten Bundesgebiet und bei verschiedenen Großhändlern, Kühlhäusern und Einzelhandelsunternehmen entdeckt worden.
Mehr Qualitätskontrollen?
Politik und Wirtschaft bemühen sich um Schadenbegrenzung mit einem 10-Punkte-Plan aus dem Hause Seehofer und werben um erneutes Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Verbesserte Qualitätskontrollen und harte Bestrafung schwarzer Schafe sind hier die bekannten Parolen. In Internetforen wird der Gang zum Fleischermeister mit eigener Schlachtung und die Abkehr von der Fastfood-Ära beschworen. Das Schlemmen mit Zeit, teuren Lebensmitteln und mehreren Gängen wird hier ebenso als Alternative zum „Proletenfrass“ (Zitat bei Spiegel-Online) beim Discounter angeboten, wie vegetarische Rezepte hoch im Kurs stehen. So gut, so am Problem vorbei.
Kapitalistische Logik
Fakt ist, der jüngste Fleischskandal reiht sich in eine Logik ein, die älter und umfassender als die Enthüllungen der letzten Wochen ist. Was wurde in der Vergangenheit nicht schon alles manipuliert, beigemischt, gestreckt und umetikettiert: Babynahrung, Fleisch, Gemüse, Obst, Brot. Und dies nicht, weil wir es bei den Verantwortlichen in erster Linie mit Misanthropen zu tun haben, sondern weil die Lebensmittelproduktion und –verteilung der kapitalistischen Logik unterworfen ist. Der Zwang zur Minimierung der Produktionskosten befördert Panschen. Die Arbeitsteilung und Zergliederung des Produktions- und Verteilungsprozesses lässt eine Heerschar von Zwischenhändlern, Lageristen oder weiterverarbeitenden Betrieben auf den Plan treten. Ist die Ware in der Haltbarkeit begrenzt, wird zur Not geschwindelt und umetikettiert. Entscheidend ist in letzter Instanz nicht die Kundenzufriedenheit, sondern die Realisierung mindestens des Durchschnittprofit unter der Knute der Konkurrenz. In diesem Verteilungs- und Verdrängungswettbewerb können schon mal Qualität und Haltbarkeit auf der Strecke bleiben.

Mit der vermeintlichen Verbrauchersouveranität ist dem nur mit gehobener Geldbörse beizukommen. Nicht von ungefähr ist das Gammelfleisch vor allem beim Discounter zu finden und geht hauptsächlich in den Konsumfond der ArbeiterInnenklasse ein. Im übrigen wird beim Fleisch­skandal nicht vom Skandal der Tätigkeit in einer Fleischfabrik gesprochen. Dumpinglöhne, prekäre Beschäftigung, Stress, schlechte Arbeitsbedingungen und gewerkschaftsfreie Räume sind Nährböden für Gammelfleisch etc. Marx zitiert im Kapital aus einem englischen Kommissionsbericht zum Thema Brotfälschung und resümiert: „Der bibelfeste Engländer wußte zwar, daß der Mensch, wenn nicht durch Gnadenwahl Kapitalist oder Landlord oder Sinekurist, dazu berufen ist, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, aber er wußte nicht, daß er in seinem Brote täglich eine gewisses Quantum Menschenschweiß essen muß, getränkt mit Eiterbeulenausleerung, Spinnweb, Schaben-Leichnamen und fauler deutscher Hefe, abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen angenehmen mineralischen Ingredienzien.“1 Dieser Bericht diente Marx zur Illustration der damaligen Folgen von Überarbeitung und Freihandel im englischen Bäckereigewerbe. Parallelen zum heutigen Fleischskandal in Deutschland sind nicht zufällig. Solange die Lebensmittelproduktion der Profitwirtschaft unterworfen ist, sind die nächsten Ekeleien vorprogrammiert. Umgekehrt belegt der Fleisch­skandal wie sehr die Klasse der Lohnabhängigen und Erwerbslosen eine demokratische Planwirtschaft und die Einheit von ProduzentInnen und KonsumentInnen benötigt. 

Nehmt den Kapitalismus vom Speiseplan!

1 Karl Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 264, Berlin 1975

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