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Betrieb & Gewerkschaft

Scharfe betriebliche Konflikte im Essener Alfried Krupp Krankenhaus

Von Avanti | 01.09.2013

Ein Interview mit Tobias Michel

Tobias Michel ist freigestelltes Betriebsratsmitglied des Alfried Krupp Krankenhauses in Essen. Die Konflikte zwischen dem Krankenhausträger und dem Betriebsrat muten für Außenstehende skurril an.

Ein Interview mit Tobias Michel

Tobias Michel ist freigestelltes Betriebsratsmitglied des Alfried Krupp Krankenhauses in Essen. Die Konflikte zwischen dem Krankenhausträger und dem Betriebsrat muten für Außenstehende skurril an.

Versuchte doch dieser gemeinnützige und dennoch durchweg gewinnorientierte Betrieb zunächst, unter das Dach der Kirche zu kriechen, um das Betriebsverfassungsgesetz auszuhebeln. Jüngst wurden außerordentliche Kündigungen versucht, um den aktiven Gewerkschafter los zu werden. Die Gründe? Der Betriebsrat habe nicht zu den vom Unternehmen gewünschten Zeiten gearbeitet und er habe Betriebsvereinbarungen nicht geheim gehalten.

Was neutralen Beobachtern albern erscheinen mag, hat gleichwohl ernsthafte Hintergründe, wie wir im Gespräch mit Tobias Michel erfuhren. Tobias Michel gilt unter aktiven ver.di-Mitgliedern als Experte für Arbeitszeitfragen im Schichtbetrieb (speziell im Krankenhaus) und ist Autor der „Schichtplanfibel“ (www.schichtplanfibel.de).

Avanti: Kannst Du das Krankenhaus, in dem Du arbeitest, kurz charakterisieren?

Tobias Michel: Im Essener Süden wohnen die Besser-Gestellten. Ihnen bietet das Kruppsche Krankenhaus eine gehobene Versorgung. Ein Akut-Krankenhaus mit Gästen auch aus Russland oder Libyen, mit Komfort-Stationen und Sonderangeboten wie Anti-Aging, Manager-Check oder Körper-Konturierung.

Du bist seit über 20 Jahren dort. Was ist passiert, dass es in letzter Zeit zu Konflikten dieser Schärfe gekommen ist?

All unsere Leistungen wurden seit etwa 10 Jahren mit Preisen versehen. Die Verwandlung in eine weiße Fabrik hat die sozialen Beziehungen in der Klinik umgebrochen. Nicht mehr die Professoren, sondern die Manager und Betriebswirte haben das Sagen. Die Beschäftigten in der Pflege, im OP oder im Service erleben dabei schmerzhaft, wie ihre Arbeitsvorgänge zerlegt, intensiviert, teilweise fremd- vergeben oder auch unversehens über- flüssig werden. Dass es ordentlich kracht, wenn Privilegien fallen, Arbeitsplätze vernichtet werden, Menschen am Sinn ihrer Arbeit zweifeln – das muss niemand lange erklären.

Ist diese Entwicklung auf das Alfried Krupp Krankenhaus beschränkt oder gibt es Ähnlichkeiten in anderen Häusern oder Gegenden?

Wir sprechen von einer Normalisierung in der Gesundheitsbranche. Die Besonderheiten, das angebliche „Helfer- Syndrom“, die ständische Organisation, die kampflose Übertragung der Aushandlungen des öffentlichen Dienstes auf unsere Ent- gelte und Arbeitszeitregeln, all das verschwindet. Umgekehrt entdecken wir für uns die Sitten und Reflexe aus anderen Fabriken. Da bilden sich Sprecher und räteähnliche Strukturen heraus. In kaum einer anderen Branche hat die Zahl der Streiktage derart zugenommen. Was früher als unerhört, ja „verboten“ galt – der Arbeitskampf in all seinen Abstufungen, wird hier frisch und neu erprobt.

Was spielt sich außerhalb des jährlichen Tarifrundenrituals ab? Welches sind die wichtigsten Themen der Konflikte?

Heute Morgen haben wir dem Chef für den Großteil der Ärzte eine Einmalzahlung von 400 € abgetrotzt. Er muss bluten, weil seine Arbeitszeitorganisation illegal ist. Im ganzen Monat Juni ging es für die Pflege um Überstunden und gegen die Verschiebung der Spätschichten weiter in die Nacht hinein. Fast in jeder Woche sind wir bei Gericht, weil dort 36 Kolleginnen aus Küche und Cafeteria gegen ihre Kündigungen klagen.

Nun sind Arbeitskämpfe, rein juristisch betrachtet, hierzulande nur in Tarifrunden erlaubt. Wie gehen Beschäftigte und Aktivisten damit um?

Ganz so ist das nicht. Vieles ist noch nicht in Tarifverträgen geregelt. An der Berliner Charité fordern die Kolleginnen derzeit die Universitätsleitung heraus, indem sie eine Personalbemessung fordern, Mindestbesetzun- gen tariflich regeln wollen. Wo unsere Arbeit vielleicht Patienten gesund macht, uns selbst aber krank, da braucht es offenbar mehr als den windelweichen gesetzlichen Gesundheitsschutz. Grad weil es uns noch an Routine bei den Tarifritualen fehlt, fallen ungewöhnliche und spontane Versuche leichter.

Kannst Du Beispiele für Arbeitskämpfe nennen, die im juristischen Sinne kein Streik sind, aber dennoch wirksam?

Eine derzeit inspirierende Mode sind Ultimaten. Wenn Beschäftigte in Abteilungen oder Betriebsteilen Missstände beklagen, suchen wir mit ihnen gemeinsam die wunde Stelle bei der Klin
ikleitung. Arbeitszeiten sind illegal, Beschäftigte kommen un- bezahlt schon vorzeitig zur Arbeitsvorbereitung. Sie bringen ihr privates Auto ein, um in Rufbereitschaften nachts rasch herbeizueilen oder um damit Klienten zu besuchen. Sie springen an ihren freien Tagen ein, falls andere krank ausfallen.

Solche überobligatorischen Leistungen haben eines gemeinsam: Ohne sie läuft der Laden nicht. Daraus entwickeln wir ein Drohszenario: „Wenn Sie nicht bis zum soundsovielten sich an unseren PKW-Kosten beteiligen, bleiben unsere Autos in der Garage.“ Oder: „Wenn Sie unsere Umziehzeiten nicht als Arbeitszeit werten, kommen wir in Pyjamas zur Arbeit.“

Gibt es eine Verknüpfung der lokalen Kämpfe über die Ebene der Einzelbetriebe hinaus?

Solche Auseinandersetzungen verlaufen stets sehr begrenzt und ungleichzeitig. Bereits in den Betrieben haben Ärzte, Pfleger, OP-Schwestern oder Röntgenassistentinnen ihre ganz eigenen Rhythmen und Subkulturen. Schlimmer ist, dass die Eskalationen an Privatkliniken und die zaghaften Streikdrohungen an evangelisch diakonischen Klinikketten mit einer atomisierten Resignation in der Caritas zusammenfallen. Erst in den übergreifenden Tarifrunden, nach denen Du anfangs fragtest, da finden die fortgeschrittenen Teile aus den Betrieben zusammen. In der Gerichtsverhandlung um die Kündigungsversuche kamen immerhin etwa 90 Kolleginnen aus zahlreichen Betriebs- und Personalräten. Grund war da aber wohl weniger das Interesse an Kämpfen im Kruppschen Krankenhaus als an den beteiligten Personen.

Zwei bekannte, aber gegensätzliche Klischees sind das von der spontanen Erhebung einerseits und das vom „Anzetteln“ durch wenige Revoluzzer andererseits. Wie sieht es nach Deiner Erfahrung damit in der Wirklichkeit aus?

Revolutionäre Betriebsarbeit ist keine Sammlung von Kunststückchen. Vieles erscheint als Handwerk. Doch alle Fertigkeiten ersetzen es nicht, mühsam mit anderen zusammen handlungsfähige Kollektive herauszubilden. Ich habe in 20 Jahren viel gelernt und ausprobieren können, ich habe wohl auch etwas Talent mitgebracht. Doch ohne eine fundierte politische Grundausbildung, ohne eine organisierte Diskussion, um diese Welt zu begreifen und zu verändern, hätte ich wohl längst die Orientierung verloren. Wenn ich mich in den rund 2.000 Kliniken umschaue, kenne ich nur ganz wenige Fälle, in denen Mobilisierungen ohne einen Kern von „Revoluzzern“ gelangen. Schlimmer: Sie blieben dann erfolglos.

Die Bewegung, welche Du beschreibst, hat bei aller ihrer Ungleichzeitigkeit ja eine Gemeinsamkeit: Es geht um sehr unmittelbare, hautnah zu spürende Dinge. Eine politische Perspektive scheint von den allerwenigsten Akteuren mitgedacht zu werden. Wie schätzt Du die Möglichkeiten ein, dass diese Grenze überschritten werden kann?

Mit dem Niedergang der alten Industriekonzerne hier im Ruhrgebiet werden die Rollen neu verteilt. Fast abrupt sind an vielen Orten die Krankenhäuser die größten Betriebe, mit zum Teil mehreren tausend Beschäftigten. Und die Zusammenschlüsse zu Krankenhausketten verstärken diesen Prozess noch. Damit wächst den Aktivisten dort eine Aufgabe zu, die auch über die Betriebsgrenzen hinausweist. Menschen wachsen mit ihren Aufgaben.

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