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Länder

Ruanda ein Totenfeld im Herzen Afrikas: Erbe der westlichen Welt

Von Emma Larsson | 01.07.2007

Ruanda, ein kleines Land mit der Größe Belgiens, liegt am Kivu-See zwischen  Kongo, Uganda, Burundi und Tansania. Auf Grund der hohen Plateaulage herrscht trotz der Nähe zum Äquator ein ausgeglichenes Klima, weshalb Ruanda auch zu Zeiten des Kolonialismus den Namen der „Schweiz Afrikas“ erhielt.

Ruanda, ein kleines Land mit der Größe Belgiens, liegt am Kivu-See zwischen  Kongo, Uganda, Burundi und Tansania. Auf Grund der hohen Plateaulage herrscht trotz der Nähe zum Äquator ein ausgeglichenes Klima, weshalb Ruanda auch zu Zeiten des Kolonialismus den Namen der „Schweiz Afrikas“ erhielt.

Ruanda verfügt kaum über Bodenschätze, exportiert neben dem eigens angebauten Kaffee und Tee aus dem Kongo geraubte Diamanten und Coltan und lebt mehrheitlich von der Subsistenzwirtschaft. Während diese Bewirtschaftungsform vor dem Genozid 1994 die Bevölkerung Ruandas mehrheitlich ausreichend ernähren konnte, leiden die Menschen heute immer häufiger an Hunger und importieren zunehmend Grundnahrungsmittel aus den Nachbarländern. Zudem nimmt die Umweltzerstörung, besonders in Form der Bodenerosion, durch weiteres Abholzen der Wälder und Vordringen in den Nationalpark den BewohnerInnen eine wichtige Lebensgrundlage. Durch den Krieg, den Genozid und die anschließenden Flüchtlingsströme wurde die Verbreitung von Aids und Malaria beschleunigt.
Vom Königreich bis zur Kolonie: Grundsteinlegung des Genozids von 1994
Das Königreich Ruanda hat sich etwa seit dem 16. Jahrhundert aus einer Vielzahl von Familienverbänden und kleineren Königtümern entwickelt. Im 18. Jahrhundert bevölkerten drei soziale Gruppen das Gebiet des heutigen Ruandas: Hutu, Tutsi und Twa. Die äußerst kleine Minderheit der Twa lebte vom Jagen, Sammeln und Töpfern. Die Hutu, die bereits damals rund 85% der Bevölkerung ausmachten, waren primär Bauern und die Tutsi waren hauptsächlich als Viehzüchter tätig. Der Unterschied zwischen den Gruppen, auch wenn er nicht strikt war, bestand somit bezüglich der subsistenzwirtschaftlichen Tätigkeit. Rinder stellten zu der Zeit die eigentliche Form des Reichtums dar. Wer mehrere davon besaß galt als Mututsi. Verarmte ein Tutsi und musste infolgedessen Land bebauen, wurde er zum Hutu. Und umgekehrt.

Zwischen den einzelnen Gruppen bestanden Tauschbeziehungen, die in erster Linie die Produkte der Subsistenzwirtschaft betrafen. Das wohlhabende Königreich war somit durch soziale Schichtungen mit Reichtumsunterschieden geprägt. An der Spitze stand die Königsdynastie zusammen mit dem Adel, überwiegend bestehend aus Tutsi. Ihnen folgte eine dünne Mittelschicht von petits Tutsi, den sozial aufgestiegenen Hutu, und die breite Unterschicht von Hutu-Bauern.
Es ist zu beobachten, dass noch heute sich Hutu, Tutsi und Twa nicht unwesentlich in ihrem Aussehen unterscheiden, so dass vermutet werden darf, dass sie in früheren Zeiten – vor rund 2 000 Jahren – aus unterschiedlichen Regionen stammten. Es ist jedoch gleichzeitig zu beobachten, dass sie spätestens seit dem 18. Jahrhundert dieselbe Kultur haben, verdeutlicht an einer einheitlichen Lokalsprache, dem KinyaRuanda, dem Verwandtschaftssystem, den Riten, Tabus und Glaubensvorstellungen (Gott Imana), sowie in der Kunst.

Zu Beginn der Kolonialisierung fanden die ersten Europäer, die das ruandische Territorium betraten, zu ihrer Überraschung ein mit 1,5 bis 2 Millionen Menschen vergleichsweise dicht besiedeltes, fruchtbares Gebiet vor. Die vorgefundene stark hierarchisch strukturierte Gesellschaft, sowie die zu beobachten physiognomischen Unterschiede wurden in einen verhängnisvollen Zusammenhang gebracht: In Hinblick auf die zu der Zeit aufkommenden Rassentheorien wurden die drei Gruppen zunächst von der deutschen, später von der belgischen Kolonial­herrschaft zunehmend ethnisch interpretiert. Zu Trägern der Gesellschaft wurden die Tutsi, nun eine Art „Herrenrasse“, die Hutu wurden zu „Handlangern“. Die einen wurden von den Belgiern unterstützt und erhielten Zugang zur Bildung, zu Stellen in der Verwaltung und zur politischen Macht, die anderen blieben in untergeordneter Position. „Fundiert“ wurde die Trennung in die konstruierten ethnischen Gruppierungen durch die Aufnahme der Zugehörigkeit in die Personalausweise in den 1930er Jahren. Unter anderem dieser Eintrag sollte während des Genozids über Leben und Tod entscheiden.

Während in der 1950ern in anderen afrikanischen Ländern das Ende der Kolonialzeit sich langsam abzeichnete, bildete sich in Ruanda in Hutu-Kreisen  eine natio­nalistische Bewegung gegen ihre Unterdrückung weniger durch die BelgierInnen, als durch die Tutsi ab. Diese Entwicklungen mit Besorgnis verfolgend, wechseln 1959 Belgien und die katholische Kirche hemmungslos das Lager, um nach der Unabhängigkeit auf der Seite der Sieger zu stehen. Die bis dorthin benachteiligten Hutu erhielten Unterstützung und Ermunterung von Seitens der BelgierInnen. Es folgten Gewaltausschreitungen und Massentötungen auf Seiten der Hutu und Tutsi. Nachdem rund 153 000 Tutsi in die Nachbarländer geflohen waren, ersetzten die BelgierInnen viele Tutsi-Chefs durch Hutu.

Nach der so genannten „Hutu-Revolution“ und dem Sturz der Tutsi-Monarchie wurde unter Mithilfe der BelgierInnen 1959 die erste ruandische Republik ausgerufen. Mit jenem Jahr beginnen die gewaltsamen Auseinandersetzungen größeren Ausmaßes zwischen Hutu und Tutsi, die ihren Höhepunkt 1994 erreichen. 1962 erhält Ruanda offiziell seine Unabhängigkeit.
Die Jahre seit der Unabhängigkeit
In den Jahren nach der Unabhängigkeit, besonders 1963 und 1964, kam es häufig zu Massakern an Tutsi als Antwort auf Versuche der Exiltutsi, ins Landesinnere einzudringen. In Folge dessen flohen weitere 330 000 Tutsi in die Nachbarländer. Die zurückgebliebenen Tutsi konnten auf Grund der eingeführten Identitätskarten vom sozialen, politischen und kulturellen Leben ausgeschlossen werden. Auch unter General Juvénal Habyarimana ging die Marginalisierung der Tutsi weiter. Ende der 1970er Jahre galt Ruanda als politisch und wirtschaftlich relativ stabil. Die politische Opposition wurde massiv unterdrückt, doch steigende Exporterlöse zogen maßgebliche internationale Unterstützung nach sich, woher auch die Bezeichnung Ruandas als „Land der 1 000 Entwicklungshelfer“ stammt.

Mitte der 1980er Jahre sank der Kaffeepreis, wodurch das Land in eine tiefe Krise stürzte und die politische Stabilität verlor. Verstärkt wurde die Entwicklung durch Bodenknappheit, Arbeitslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven. Es zeichnete sich eine Machtkonzentration auf die Hutu im Norden ab, sowie auf die Ehefrau von Habyarimana und ihre Verwandten, bezeichnet als „akazu“ – kleines Haus.

Zur gleichen Zeit gründeten die Exil-Ruander in Uganda (mit­lerweile die zweite Generation) eine eigene Partei, die Ruandische Patriotische Front (RPF). Ihr Wunsch nach Ruanda zurückzukehren und die fr&u
uml;here Macht wiederzuerlangen erreichte 1990, als die RPF einen Angriff startete, ihren Höhepunkt. Es entstand ein Bürgerkrieg, der 3 Jahre andauerte und das gesamte Land erfasste. Frankreich, Belgien und der Kongo schickten bereits einige Tage nach Beginn der Kämpfe Soldaten zur Unterstützung der ruandischen Nationalarmee. Während des Fortschreitens der Kämpfe wurden die vermeintlich ethnischen Dimensionen zusehends instrumentalisiert und überlagerten die wahren Motive der Kämpfe. Es fanden immer mehr Massaker an Tutsi statt. 1993 kam es zu Friedensverhandlungen in Arusha, die eine Machtbeteiligung der Tutsi an der ruandischen Regierung und die Rückkehr der Flüchtlinge beinhalten sollte. Dieses wurde mit tiefster Missbilligung von seitens der akazu wahrgenommen, da das Abkommen einen Machtverlust bedeutet hätte. Im selben Jahr entsandte der UN-Sicherheitsrat unter der Führung von General Dallaire 2 500 Blauhelmsoldaten zur Überwachung des Arusha-Abkommens nach Ruanda. Warnungen seitens Dallaire über das Bevorstehen eines Völkermordes wurden ignoriert. Dabei existierten schon 1992 Todeslisten zur Lokalisierung von Tutsi und oppositionellen Hutu. Heute gilt als erwiesen, dass die Planung des Genozids zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen war.

Ruanda
Hauptstadt: Kigali {mosimage}
Amtssprachen: Englisch, Französisch, KinyaRuanda
Fläche: 26.338 km²
Einwohnerzahl: 9,9 Millionen
Bevölkerungsdichte: 337/km² (BRD 230/km²)
Bevölkerungswachstum: 2,7% (BRD 2007 -0,03%)
Altersstruktur: 0-14 Jahre: 41,9%, 15-64 Jahre: 55,5%, 65 Jahre und älter: 2,6%
Lebenserwartung: 47,3 Jahre (BRD 79 Jahre)
Kindersterblichkeit: 90 von 1.000 Geburten (BRD 4 von 1.000)
HIV/Aids: 250.000 Menschen
AnalphabetInnen: Männer 24%, Frauen 35%; (BRD 1%)
Wasserzugang: 41% der Bevölkerung
Chronologie eines Genozids: 100 Tage und die Welt schaut zu
6. 4. 1994: Abschuss des Flugzeugs mit Ruandas Präsidenten Habyarimana und Burundis Präsidenten Ntaryamira; sofortige Errichtung von Straßensperren in Kigali
7. April:
Tötungen führender Politiker in Kigali und 10 UN-Soldaten; ab 6 Uhr morgens beginnt das systematische Morden außerhalb der Hauptstadt, unter anderem nach Todes­listen
9.-14. April: Landung von 300 französischen, 1 000 belgischen und italienischen Soldaten, die zusammen mit den Truppen der UN 4 000 an der Zahl sind; sie evakuieren lediglich die Ausländer, ihre Haustiere und die Ehefrau Habyarimanas mit ihren engsten Mitarbeitern
14. April:
Belgische Soldaten ziehen aus Ruanda ab
16. April:
UN-Sicherheitskommission tagt wiederholt ohne Ergebnis
21. April:
General Dallaire fordert 5 – 8 000 Soldaten zur Beendung der Tötungen an; UN zieht bis auf 270 Mann alle Soldaten ab
30. April:
UN erkennt an, dass Massaker stattfinden, weigert sich den Begriff Genozid zu verwenden
16. Mai:
Französischer Außenminister Alain Juppe verurteilt den Genozid und verwendet somit erstmals den Begriff
23. Mai:
8 afrikanische Staaten erklären sich bereit Truppen nach Ruanda zu schicken, bitten um materielle Unterstützung
25. Mai:
UN berät über weitere Handlungsschritte
10. Juni:
U.S. amerikanische Amtsinhaber werden beauftragt das Wort Genozid nicht weiter zu verwenden, denn sonst müsste die U.S. amerikanische Regierung handeln
2. Juli:
Beginn der französischen Operation Türkis; eine Sicherheitszone wird eingerichtet, die Tätern und Verantwortlichen die Flucht ermöglicht: We thought the Hutu were the good guys and the victims.
4. Juli: RPF nimmt Kigali ein
 
Der Genozid gilt offiziell als beendet. Es kommt zu immensen Flüchtlingsströmen und weiteren versteckten Tötungen. Über ihre Beteiligung beim Flugzeugabschuss und den Gräueltaten der RPF während und nach dem Genozid wird nicht gesprochen, sie gelten auch heute noch in Stellungnahmen als Retter. Innerhalb weniger Tage starben in Ruanda schätzungsweise zwischen 800 000 und 1 Million Menschen. Die Weltöffentlichkeit schaute zu, dabei hätte mit wenigen Mitteln das Schlimmste verhindert werden können. Anzeichen gab es vorab genügend. Doch wen interessiert ein „Stammeskrieg“ in einem kleinen, weit entfernten afrikanischen Land, wirtschaftlich unrentabel und arm an Bodenschätzen?
Mich! Uns! Ich habe lange dort gelebt, kenne es nicht nur durch die Berichte über den Völkermord. Ich habe das Land vor eineinhalb Jahren erneut besucht. Die Freunde haben uns herzlich begrüßt, Es ist ein Land, einzigartig und schön, mit freundlichen und fröhlichen Menschen, aber
auch ein Land mit traurigen und grausamen Seiten: die Angst vor den Nachbarn, die einen unbegründet denunzieren könnten; die Angst vor willkürlichen Festnahmen seitens der Polizei und dem Militär; das Unvergessliche, das Unverarbeitete; die vielen Gräber und Gedenkstätten; die vielen Fotographien, die an die Verstorbenen erinnern; die Witwen und Waisen; die Verleugnung der eigenen Kultur; der Hass auf die eigene Hautfarbe; die alte Diskriminierung nur umgekehrt; der Hunger; Morddrohungen; Menschen, die verschwinden … Diese Entwicklungen verhindern jeden nachhaltigen Frieden.

 

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