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Länder

Rote Roben, weiße Hemden

Von Harry Tuttle | 01.11.2007

Mönche und DemokratieaktivistInnen haben das Militärregime Myanmars (früher Burma) herausgefordert. Doch die Revolte wurde nicht zur Revolution. Von Kompromissen halten die Generäle nicht viel: „Wir werden voranschreiten. Es gibt keinen Grund, den Kurs zu ändern“, war Mitte Oktober in der staatlichen Tageszeitung New Light of Myanmar zu lesen. Das von General Than Shwe geführte Militärregime behauptet sogar: „Niemand in Myanmar ist aus politischen Gründen im Gefängnis.“

Mönche und DemokratieaktivistInnen haben das Militärregime Myanmars (früher Burma) herausgefordert. Doch die Revolte wurde nicht zur Revolution.

Von Kompromissen halten die Generäle nicht viel: „Wir werden voranschreiten. Es gibt keinen Grund, den Kurs zu ändern“, war Mitte Oktober in der staatlichen Tageszeitung New Light of Myanmar zu lesen. Das von General Than Shwe geführte Militärregime behauptet sogar: „Niemand in Myanmar ist aus politischen Gründen im Gefängnis.“
Vorläufiger Machterhalt
Die Zahl der politischen Gefangenen in Myanmar wird nach der Niederschlagung der Proteste Ende September auf mehrere Tausend geschätzt. Genaue Informationen aus dem weitgehend abgeriegelten Land gibt es kaum. Sicher ist jedoch, dass es dem seit 1962 herrschenden Militär vorläufig gelungen ist, seine Macht zu erhalten. Wie nach dem Aufstand im Jahr 1988 wurde die Opposition in den Untergrund gedrängt.

Die Generäle hatten ursprünglich einen „birmanischen Weg zum Sozialismus“ propagiert, Banken, Handel und Industrie wurden verstaatlicht. Das System war jedoch eher staatskapitalistisch als stalinistisch, in den 80er Jahren geriet die Wirtschaft in eine tiefe Krise. 1987 privatisierte der damalige Militärdiktator Ne Win den Nahrungsmittelhandel. Um die Inflation zu bremsen, erklärte er kurzerhand fast alle im Umlauf befindlichen Geldscheine für ungültig. Das führte zu monatelangen Protesten, die auch nach Ne Wins Rücktritt im Juli 1988 weitergingen. Am 18. September erhielt das Militär Schießbefehl, Soldaten feuerten mit automatischen Waffen in die Menge. Etwa 3 000 Menschen wurden getötet. Die in dieser Zeit entstandene Demokratiebewegung wurde nicht vollständig zerschlagen. Sie war jedoch kaum handlungsfähig, Aung San Suu Kyi, die bedeutendste Oppositionspolitikerin, steht unter Hausarrest.
Privatisierung und Zwangsarbeit
In den neunziger Jahren wurde die Privatisierungspolitik fortgesetzt, Myanmar öffnete sich für ausländische Investitionen. Das Militär bestand jedoch darauf, die Kontrolle zu wahren. Than Shwe, der das Regime seit 1992 führt, galt anfangs als gemäßigt, wurde jedoch zum Repräsentanten jener Offiziere, die an der Alleinherrschaft des Militärs festhalten wollen. Unfähigkeit, Misswirtschaft und Korruption der Generäle haben die soziale Krise verschärft. Für Infrastrukturprojekte wurden in großem Maßstab Zwangsarbeiter eingesetzt, einige um ihr Image besorgte westliche Investoren zogen sich daraufhin zurück. Seit das Regime die Hauptstadt von Yangon nach Naypyidaw verlegt hat, ist die Führung von der Bevölkerung vollständig isoliert. Dieses teure Projekt belastet das ohnehin knappe Budget, ebenso wie die Berufsarmee mit 400 000 Soldaten und die Rüstungsimporte. Allein aus China kauften die Generäle Waffen im Wert von mindestens 500 Millionen Dollar. Das Militär verschlingt etwa 40 % des Haushalts.

Für die Bevölkerung bleibt da wenig. Als die Regierung Mitte August Subventionen kürzte, stieg der Benzinpreis um 100, der Preis für das zum Kochen verwendete Gas sogar um 500 %. Erste Proteste der Demokratiebewegung wurden schnell niedergeschlagen, das Regime ließ 150 Aktivisten verhaften. Dann traten die Mönche auf den Plan.
„Schlechtes Gewissen“ der Herrschenden
Ihre Zahl wird auf 400 000 geschätzt. Nicht für alle ist der Eintritt in ein Kloster eine Entscheidung für das ganze Leben. Es ist üblich, dass jeder junge Mann für einige Wochen oder Monate Mönch wird. So gibt es einen ständigen Austausch zwischen Bevölkerung und Geistlichkeit. Die Klöster sind auch Auffangbecken für Marginalisierte, sie bieten jenen, die anderswo kein Auskommen finden, einen sozial abgesicherten und gesellschaftlich anerkannten Platz, an dem sie zudem Lesen und Schreiben lernen können.

Der Buddhismus war, ähnlich wie das Christentum, ursprüglich eine Protestreligion, die sich später mit den herrschenden Mächten verbündete und den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit predigte. Auch die Generäle Myanmars haben sich der Religion bedient, die regimetreuen Medien berichten ausführlich über Offiziere, die für die Klöster spenden und eifrig beten. Vor allem hohe Geistliche gehören zu den Klienten der Diktatur. Andererseits sind die Mönche traditionell das „schlechte Gewissen“ der Herrschenden, sie vermitteln bei Konflikten mit staatlichen Stellen. Und die Klöster Myanmars haben eine kämpferische Tradition. Bei vielen Aufständen gegen den britischen Kolonialismus spielten Mönche eine führende Rolle.
Auch Mönche haben Hunger
Auf die Straße trieben sie zunächst wohl schlicht der Hunger und die Vorstellung, durch moralischen Protest das Regime beeinflussen zu können. Mönche sind zwar zu einem asketischen Leben verpflichtet, doch essen müssen auch sie. Dafür sind sie auf die Spenden der Bevölkerung angewiesen, die jedoch selbst wachsende Probleme hat, sich zu ernähren. Einem Bericht der WHO vom vergangenen Jahr zufolge sind 35 % der Kinder in Myanmar mangelernährt.

Anfang September griffen Soldaten eine Demonstration von Mönchen an. Zunächst forderten die Mönche nur eine Entschuldigung, doch die Bewegung radikalisierte sich schnell. Mitte September schlossen sich andere DemonstrantInnen den Protesten an, häufig AktivistInnen der Demokratiebewegung in weißen Hemden, aber auch viele PassantInnen. Nun suchten die Mönche den Kontakt zur Demokratiebewegung. Es kam zu einem symbolischen Treffen mit Suu Kyi. Am 24. September, auf dem Höhepunkt der Proteste, waren in Yangon 100 000 Menschen auf der Straße, in mehr als 20 anderen Städten wurde ebenfalls demonstriert. Zwei Tage später erteilten die Generäle Schießbefehl. Die Zahl der Opfer scheint deutlich geringer zu sein als 1988. Die offiziell angegebene Zahl von elf Toten ist aber sicherlich untertrieben.
Die Mönche in ihren roten Roben waren das sichtbare Symbol des Protests und wohl auch die treibende Kraft.
Ersatzmittelschicht
Bei religiösen Protesten ist grundsätzlich Misstrauen geboten, auch beim vermeintlich liberalen Buddhismus. Wie alle Weltreligionen kann er sehr unterschiedlich interpretiert werden: pietistisch, also auf Abstand zur weltlichen Macht bedacht, liberal, links, aber auch reaktionär-fundamentalistisch. In Sri Lanka etwa gibt es M
önche, die sich mit Streikenden solidarisieren, aber auch solche, die im Namen der „buddhistischen Kultur“ jeden Kompromiss mit der tamilischen Minderheit ablehnen.
In Myanmar agierten die Mönche als Ersatzmittelschicht, sie vertraten ihre eigenen sozialen Interessen, als Gebildete aber auch die der armen Bevölkerungsschichten. Einen Herrschaftsanspruch haben sie nicht gestellt, vielmehr suchten sie umgehend ein Bündnis mit der Demokratiebewegung. Bemerkenswerter noch: Es gab, soweit ersichtlich, keine hierarchische Führung. Das mag zum Teil der notwendigen Konspiration geschuldet sein. Dennoch ist auffallend, dass keine charismatischen Führungsfiguren hervortraten. Offenbar handelte es sich um eine spontane Bewegung der religiösen Basis, die sich während des Konflikts radikalisierte.

Die hohen Geistlichen haben sich aus den Auseinandersetzungen herausgehalten. Trotz der engen Bindungen an das Regime hat sich kein bedeutender Kleriker öffentlich gegen die Bewegung ausgesprochen, offenbar aufgrund der Befürchtung, sich damit von der Bevölkerung zu isolieren.

Der Bewegung fehlten jedoch ein politisches Konzept und auch eine ausreichende Basis für den Umsturz. Die Bauern, 70 % der Bevölkerung, nahmen an den Protesten nicht teil, und auch zu Streiks ist es nicht gekommen. Viele DemokratieaktivistInnen hoffen zudem noch immer auf einen von gemäßigten Offizieren angestoßenen Reformprozess. Than Shwe hat auch nach Ansicht vieler Offiziers­kollegen zuviel Macht und Geld für sich und seine engsten Freunde beansprucht. Noch aber gibt es keine Anzeichen dafür, dass er seine Macht bald verlieren könnte.
Die Generäle bleiben im Geschäft
Von der „internationalen Gemeinschaft“ hat das Regime wenig zu befürchten, auch wenn die Demokratiebewegung nun mit Solidaritätsadressen überhäuft wird. „Total wird sich nicht zurückziehen“, verkündete Christophe de Margerie, der Präsident des französischen Energiekonzerns, kategorisch. Dass die Pipeline für den Konzern von Zwangsarbeitern gebaut wurde, musste Total zwar eingestehen. Im November 2005 zahlte man sogar Entschädigungen an acht Kläger aus Myanmar. Doch das Geschäft soll weitergehen. Der deutsche Chemiekonzern Bayer testet in Myanmar derzeit genmanipulierten Reis.
Die Rolle Chinas

Ein Investitionshindernis sind nicht die Menschenrechtsverletzungen, die Brutalität im Umgang mit Oppositionellen ist in China eher größer. Doch die chinesische KP bewies weit größeres Geschick beim Management der Privatwirtschaft, das Land bietet gute Anlagemöglichkeiten und mittlerweile können immerhin ein Drittel der Bevölkerung an der Konsumgesellschaft teilhaben. Myanmar dagegen ist kein relevanter Markt, die Infrastruktur ist archaisch, die Generäle gelten als unberechenbar und extrem korrupt.

Dass die US-Regierung relativ harte Sanktionen verhängt hat, dürfte vor allem strategische Gründe haben. In Washington gilt Myanmar als Klientelstaat Chinas und gänzlich falsch ist diese Wahrnehmung nicht. China investiert in Myanmar, wie in einigen afrikanischen Staaten, auch politisch. Chinesische Firmen kaufen sich in die Infrastruktur ein und erwerben Immobilien. Besonders eng sind die militärischen Beziehungen.

Die chinesische Regierung hat daher kein Interesse an einem Wandel in Myanmar. Die Demokratiebewegung würde sich vermutlich eher am Westen orientieren und jeder Regimewechsel im Ausland würde chinesische Oppositionelle ermutigen. Selbst mit buddhistischen Protesten in Tibet konfrontiert, hat die chinesische Regierung keinen Grund, den Mönchen Myanmars zu helfen.

Die chinesische KP zeigt keinerlei Bereitschaft, der Macht zu entsagen. In Bangladesh und Thailand haben de facto Militärs die Macht übernommen, nicht als Diktatoren, aber als „Lenker der Demokratie“, die politische Prozesse regulieren wollen. Während Propagandisten des Kapitalismus seit den neunziger Jahren unermüdlich prophezeien, dass die Demokratisierung unaufhaltsam ist, entwickelt sich die Realität in eine andere Richtung.

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