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Betrieb & Gewerkschaft

„Résistance – unsere Chance!” – Die längste Betriebsversammlung der Republik!

Von H.N. | 01.06.2005

Die Belegschaft von ALSTOM Power in Mannheim-Käfertal befindet sich in einem erbitterten Abwehrkampf gegen die Abbaupläne der Konzernleitung. Ende April erreichte der Widerstand einen ersten Höhepunkt.

 

Arbeitsplatzvernichtung ist Alltag im Kapitalismus. Meist geschieht sie geräuschlos und wird durch Sozialpläne finanziell abgefedert. Die meist fehlende Gegenwehr ermöglicht Rekordgewinne bei gleichzeitiger Rekordarbeitslosigkeit. Bekämpfung der Arbeitslosen durch die herrschende Politik, statt Bekämpfung der Ursachen der Erwerbslosigkeit sowie eine wachsende Ungleichheit zwischen arm und reich sind weitere Kennzeichen der Lage. Dennoch ist keine Bereitschaft der Gewerkschaftsführungen zum Widerstand zu erkennen. Umso größere Bedeutung haben betriebliche Konflikte, wie der Kampf bei ALSTOM Power.

Grund der Auseinandersetzung

In Mannheim-Käfertal werden vor allem Turbinen und Generatoren für nichtnukleare Kraftwerke geplant und produziert. Die Konzernleitung von ALSTOM will rund 900 Arbeitsplätze abbauen. Offenbar soll das der vorletzte Schlag vor dem endgültigen Aus des traditionsreichen und profitablen Werks sein, in dem derzeit rund 2.000 Menschen arbeiten. Deshalb ist der Widerstand der Belegschaft nicht nur gerechtfertigt. Er ist die einzige Möglichkeit, die Vernichtung zu verhindern. Offensichtlich will die Konzernspitze mehr als die Nettogewinne wie angekündigt von 4 auf 6 % zu erhöhen. Nur so ist zu erklären, dass das Management trotz einer bis zum 30. Juni 2007 geltenden Arbeitsplatzgarantie schon jetzt versucht, erneut Stellen zu vernichten. Offenbar geht es um die Fusion oder Kooperation mit anderen Großkonzernen und um eine Wiedergeburt der Atomenergie. Kurz, um noch mehr Profite.

Behauptungen der Bosse

Die Konzernleitung behauptet, dass sich der Kraftwerksmarkt nach Asien verlagern werde und deshalb auch Planung und Produktion vor allem nach China und Indien aber auch nach Mexiko verlagert werden müsse. Dies ist in dieser Form nachweislich falsch.
Fachkreise erwarten bis 2020 eine Steigerung des Strombedarfs in der EU der 25 um 38 Prozent. Oder anders gesagt: Um diese Versorgungslücke zu schließen, müssen fast 450 konventionelle Kraftwerke mit einer durchschnittlichen Leistung von je 600 Megawatt (MW) gebaut werden. Ein gigantisches Volumen, da ein Kraftwerk dieser Größenordnung mehr als eine halbe Milliarde Euro kostet. Auch der deutsche Binnenmarkt für Kraftwerke zieht spürbar an. Ebenfalls bis 2020 müssen Altanlagen mit einer Leistung von etwa 40 000 MW durch neue konventionelle Großkraftwerke ersetzt werden. Es geht allein dabei um ein Geschäftsvolumen von rund 40 Milliarden Euro.
Dennoch versucht die Konzernleitung, das Werk in Mannheim kaputt zu rechnen. Ganze Bereiche in Konstruktion und Fertigung sollen geschlossen werden, obwohl sie maßgeblich zu den Gewinnen beigetragen haben und mit ihren Kompetenzen im gesamten Konzern einmalig sind. Andere Abteilungen sollen derart dezimiert werden, dass ihre weitere Existenz in Frage gestellt ist.
Außerdem unternimmt das Management alles, um Kraftwerksaufträge vertragswidrig am Standort Mannheim vorbei zu schieben. Damit soll die Belegschaft mürbe gemacht und das Werk ausgehungert werden.

Widerstand der KollegInnen

Nachdem die Pläne der Pariser Konzernleitung Ende März bekannt geworden waren, forderte der Betriebsrat umgehend in einer Betriebsversammlung das örtliche Management auf, dazu Stellung zu beziehen. Da keine Antworten kamen, wurde die Betriebsversammlung unterbrochen und Ende April fortgesetzt. Eine Woche lang hat die Belegschaft in Dutzenden von Redebeiträgen und Aktionen alle „Argumente” der Konzernleitung widerlegt. In einer enthusiastischen Atmosphäre hat sie eine bisher nicht erreichte Geschlossenheit und Kampfbereitschaft gezeigt. Fünf Tage lang haben die Kolleg-Innen weitgehend das Geschehen im Betrieb demokratisch kontrolliert. Am Ende jedes Tages demonstrierten jeweils etwa 1 500 Beschäftigte lautstark mit Sprechchören für den Erhalt aller Arbeitsplätze vom Werk aus in die Stadt. Ein weiterer Höhepunkt war sicherlich der Protestmarsch von 3 000 Menschen am Freitag, an der sich ALSTOM-Kolleg-Innen und ihre Familienangehörigen beteiligten. Einen besonderen Eindruck hinterließ die große Zahl von Kindern, die im Zug mitliefen. Zum sechsten Mal in sieben Tagen gingen große Teile der Belegschaft und ihre Familien am Sonntag auf die Straße. Etwa 2.000 ALSTOM-Beschäftigte und ihre Familien haben die Mannheimer 1. Mai-Demonstration und Kundgebung entscheidend geprägt.
Bereits am Montag dieser kämpferischen Woche gab es Solidaritätsaktionen an den anderen deutschen ALSTOM Power-Standorten. Am Dienstag organisierten die ALSTOM-KollegInnen im spanischen Staat und am Mittwoch in Italien Arbeitsunterbrechungen. Der Widerstand hatte damit eine weit über die Grenzen Mannheims hinausreichende Dynamik gewonnen. Spätestens jetzt musste der Konzernleitung klar geworden sein, dass das Mannheimer Motto „Résistance – unsere Chance!” ernst zu nehmen ist.

Repressionsversuche des Managements

Am vierten Tag der Betriebsversammlung verließen die örtlichen Vorstände, Personalleiter und Geschäftsführer begleitet von Buhrufen und Pfiffen der Belegschaft gemeinsam die Betriebsversammlung. Angeblich wegen wichtiger Termine. In Wirklichkeit, um die Legitimität der Betriebsversammlung infrage zu stellen.
Mittlerweile hat ein von ALSTOM beauftragtes Anwaltsbüro gegen den Betriebsrat Klage beim Arbeitsgericht Mannheim erhoben. Mit fadenscheinigen Begründungen sollen die Rechte des Betriebsrats und der Belegschaft ausgehebelt und die Fortführung der Betriebsversammlung für illegal erklärt werden.
Nachdem schon seit einigen Wochen die örtliche Geschäftsleitung versucht, einzelne Betriebsräte einzuschüchtern, will jetzt das Management zudem ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Betriebsrat als Gremium anstreben. Groteskerweise stützt sich die Argumentation der ALSTOM-Anwälte unter anderem auf die Internetseite der mao-stalinistischen Sekte MLPD. Dort wurde von einem „wilden Streik” im Mannheimer Werk geredet.
Die unfreiwillige Komik dieser Geschichte liegt in der fanatischen China-Begeisterung führender ALSTOM Power-Manager. Sie rühmen in den höchsten Tönen die Vorzüge der so genannten Volksrepublik. Mit ähnlich großer Verbissenheit ist das Loblied auf China von den FunktionärInnen dieser sehr deutschen Erben Maos lange Jahre – wenn auch in anderer Tonart – gesungen worden.

Perspektiven gegen Abbau

Am 17. Mai fand die bislang letzte öffentlichkeitswirksame Protestaktion der ALSTOM-Belegschaft statt. Trotz Kurzarbeit und Urlaubszeit machten spontan rund 700 KollegInnen von ihrem Informationsrecht Gebrauch. Sie versammelten sich am historischen Tor 1. Eine Delegation besuchte die gleichzeitig stattfindende Aufsichtsratssitzung der ALSTOM Power-Holding und forderte eine Stellungnahme vor der Belegschaft. Jedoch waren von Guy Chardon, dem für die Kahlschlagspläne verantwortlichen Boss, keine Argumente, sondern nur P
hrasen und Allgemeinplätze zu hören.
Betriebsrat und Belegschaft haben hingegen genügend Argumente für ihren Widerstand. Die Verteidigung aller Arbeitsplätze und Fähigkeiten des Mannheimer Betriebs hat eine gesellschafts-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Bedeutung weit über die Rhein-Neckar-Region hinaus. Es geht natürlich um die Frage des Widerstandes gegen Arbeitsplatzvernichtung, aber es geht auch um die Frage der Kontrolle von wirtschaftlicher Macht und um Grundsatzentscheidungen für die Energieerzeugung der Zukunft. Der Auftakt für einen lange andauernden Abwehrkampf bei ALSTOM Power ist hervorragend gelungen. Jetzt gilt es, verstärkt bundesweite und internationale Solidarität innerhalb und außerhalb der Betriebe und Gewerkschaften zu organisieren.

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