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Innenpolitik

Rente mit 67: Will you still need me, will you still feed me, when I’m 64?

Von Thadeus Pato | 29.04.2006

Im Gleichschritt marschiert die Europäische Union wahrlich nicht immer. Un­übersehbar ist allerdings, dass sie es immer dann tut, wenn es darum geht, soziale Errungenschaften aus der Welt zu schaffen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der aktuelle Angriff auf die Altersrenten kein ausschließlich deutsches Phänomen ist.

Im Gleichschritt marschiert die Europäische Union wahrlich nicht immer. Un­übersehbar ist allerdings, dass sie es immer dann tut, wenn es darum geht, soziale Errungenschaften aus der Welt zu schaffen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der aktuelle Angriff auf die Altersrenten kein ausschließlich deutsches Phänomen ist.

Zur Attacke auf die Alterssicherung haben unisono EU-Kommission, OECD und Weltbank schon vor einigen Jahren geblasen, als sie generell auf eine Reduktion der öffentlichen Ausgaben für die soziale Sicherung drängten. In Deutschland war neben einem Einfrieren des Rentenniveaus in den letzten Jahren (was einer Rentenkürzung entspricht), die so genannte Riester-Rente ein Ergebnis dieser Politik. Was hierzulande ziemlich geräuschlos über die Bühne ging, stieß allerdings in anderen europäischen Ländern auf massiven Widerstand: 2003 erlebte ausgerechnet Österreich, sonst nicht gerade als Speerspitze des Klassenkampfes bekannt, die größte Demonstration seit dem 2. Weltkrieg – gegen die Rentenpläne der Rechtsregierung. In Frankreich gab es im gleichen Jahr insgesamt vier große Mobilisierungen gegen Kürzungspläne der Regierung Raffarin, die neben einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit Einkommenskürzungen von bis zu 30% für die RentnerInnen vorsahen.
Die zweite Runde
Derzeit läuft in einer Reihe von EU-Ländern (und nicht nur da) die zweite Angriffswelle. Die Antwort ließ nicht auf sich warten. In England streikten am 28. März diesen Jahres eine Million Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes gegen die Rentenkürzungspläne der Regierung Blair, der daraufhin eilig den Gewerkschaften „Gespräche“ anbot. Der Ausgang der Auseinandersetzung ist derzeit offen.

In Deutschland zog Vizekanzler Müntefering kurz nach Bildung der großen Koalition seine Rentenpläne aus der Tasche. Es handelt sich dabei um eine besonders hinterhältige Variante, weil es sich dabei angeblich nicht um eine Rentenkürzung handelt, sondern um eine „Verlängerung der Lebensarbeitszeit“. Die rechtslastige Illustrierte Focus allerdings machte nach dem entsprechenden Kabinettsbeschluss eine klare Rechnung auf: Bei der Rente mit 67 drohten höhere Einbußen, als viele sich vorstellen könnten. Für jeden Monat, den Beschäftigte früher in Rente gingen, würden 0,3% Abschlag fällig. Zugleich fielen aber auch die heutigen Zuschläge für den späteren Renteneintritt nach 65 Jahren (0,4% je Monat) weg. „Das entspricht einer effektiven Rentenkürzung von knapp zehn%“, sagte der gerichtlich zugelassene Rentenberater Rudolf Schneider zu Focus-Money. Nur wer 45 Jahre eingezahlt hat, soll weiter abschlagsfrei mit 65 aufhören dürfen.
Man merkt die Absicht…
Die Folgen der Neuregelung sind eindeutig. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei Männern lag 2004 bei 63 Jahren, bei Frauen bei 63,1. Keiner der ExpertInnen geht denn auch davon aus, dass plötzlich die Menschen bis 67 arbeiten werden – schon gar nicht angesichts der Tatsache, dass Menschen über fünfzig kaum noch einen Job bekommen. Es handelt sich also bei dem ganzen Unternehmen um nichts anderes als eine notdürftig kaschierte Rentenkürzung. Damit sollen die aufgrund der Steuergeschenke für das Kapital Not leidenden Staatsfinanzen saniert werden. Aber längerfristig ist noch etwas ganz anderes geplant, und das hat schon (s.o.) mit der Riester-Rente angefangen: Schrittweise soll auf diese Weise der Druck erhöht werden, sich zusätzlich privat abzusichern. Bereits kurz nach dem Bekanntwerden der neuen Rentenpläne vermeldete die Versicherungswirtschaft hocherfreut, dass eine deutliche Belebung des Geschäftes der privaten Rentenversicherer zu verzeichnen sei. Und das wird so weitergehen. Parallelen zur Salamitaktik im Gesundheitswesen sind unübersehbar. In beiden Fällen werden schrittweise Solidarprinzip und –systeme unterhöhlt, ausgehungert und dann der Privatwirtschaft zum Fraß vorgeworfen. Übrig bleibt bestenfalls eine Minimalabsicherung auf Armutsniveau.
…und sollte sich wehren
Die Rentenpläne der großen Koalition sind lediglich ein Teil der umfassenden, von den internationalen Finanzinstitutionen und ihren Helfershelfern propagierten und weltweit angewandten Strategie zur Deregulierung öffentlicher Sicherungs- und Versorgungssysteme, sei es in Arbeitslosenversicherung, Gesundheitswesen, Alterssicherung oder Bildungswesen. Deshalb ist es dringend geboten, sich gegen diese Strategie ebenso umfassend zur Wehr zu setzen. Was wir brauchen ist eine breite Kampagne gegen die Zerstörung der öffentlichen Daseinsvorsorge auf allen Ebenen. Die Demonstration am 3. Juni in Berlin könnte den Auftakt dazu bilden.

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