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Betrieb & Gewerkschaft

Privatisierung und Tarifkürzung bei den Stuttgarter Kliniken verhindert

Von Ignaz | 01.04.2005

Dicke Backen machen und Neinsagen lohnt sich! Überraschend hat die Rathausspitze in Stuttgart am 1. März die Pläne zur Umwandlung der vier städtischen Kliniken in eine GmbH und die Forderung nach einem Absenkungstarifvertrag für die 6000 Beschäftigten vorerst aufgegeben. Das geschah zwei Tage vor einer angekündigten Gesamtpersonalversammlung mit anschließender Demonstration vors Rathaus.

 
Stuttgart ist die reichste Großstadt der BRD – sie hat mehr Geldvermögen als Schulden. Doch 2004 schrieben die Krankenhäuser 22 Mio. Euro Verlust. Deshalb forderten seit Mitte letzten Jahres Grüne und CDU von den Beschäftigten in Zukunft jährliche Einsparungen von 15 Mio. Euro durch den Verzicht auf Zulagen, Urlaub- und Weihnachtsgeld mit Hilfe eines Absenkungstarifvertrages und die Umwandlung von einem städtischen Eigenbetrieb in eine GmbH. Die SPD war nie dagegen, sondern forderte dazu nur den Konsens der MitarbeiterInnen und einen Spartentarifvertrag. Verdi Stuttgart und der Personalrat sprachen sich von Anfang an prinzipiell gegen beides aus und lehnten sogar Gespräche über Tarifangelegenheiten ab. Sie blieben bis heute bei dieser Linie, was ihnen als “Hardlinern” sehr viel Medienaufmerksamkeit bescherte.

Zweiteiliger Aktionsplan

Diese Ablehnung wurde von einem zweiteiligen Aktionsplan an den Kliniken und für Stuttgarter BürgerInnen untermauert. Letzteres im Bündnis mit dem Sozialen Netzwerk, in dem z.B. ATTAC und kirchliche Organisationen mitarbeiten. Der Aktionsplan für die Beschäftigten beinhaltete: Ab 1. Februar Unterschriftensammlung, in der Beschäftigte erklären, dass sie Beschäftigte der Stadt bleiben wollen; wöchentliche Infostände vor den Krankenhauskantinen, eine Veranstaltung mit “GmbH-Betroffenen” aus Städten wie Berlin und Kassel; 23. Februar Mittagspausenaktion der Beschäftigten vor allen Krankenhäusern, 1. März Verdi Mitgliederversammlung im Klinikum; 3. März gleichzeitige Personalversammlung aller Häuser.
Der Aktionsplan für die BürgerInnen sah vor: Schreiben an alle Bezirksbeiräte und an alle Selbsthilfegruppen, Bürgerflugblatt in 80.000 Auflage und Verteilaktion in allen Stadtteilen, Plakataktion in allen Stadtteilen, Einbeziehung der Stadtverwaltung, der Großbetriebe und der anderen Gewerkschaften, 26. Februar Infostände auf allen Märkten, 3. März Großdemo um 16 Uhr vors Rathaus. Immer wurde öffentlich angekündigt, dass Verdi Streikmaßnahmen vorbereite und diese auch umsetzen werde.

Argumente

Die inhaltliche Argumentation versuchte die gemeinsamen Interessen von Beschäftigten und Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen. Natürlich geht es um menschenwürdige Arbeitsbedingungen, um entsprechende Gehälter und um sichere Arbeitsplätze, aber zentral auch darum, dass Gesundheit keine Ware sein darf. Die Beschäftigten sind nicht für das Defizit verantwortlich sondern die Politik z.B. mit der Einführung von Fallpauschalen und für die von der Stadt angeheuerte private Krankenhausmanagementfirma SANA, die wegen ihrer Fehler inzwischen auch wieder gefeuert wurde. Eine GmbH würde dieses privatwirtschaftliche Experiment mit der Konsequenz wiederholen, dass nach einem weiteren Scheitern die Kliniken sogar Konkurs anmelden könnten, um vollständig aus dem Tarifvertrag zu fliehen. Die Versorgungsqualität muss für alle EinwohnerInnen gesichert werden und die öffentlichen Dienstleistungen müssen unter demokratischer Kontrolle der Stadt bleiben.

Schwierige Gegenwehr

Bei Umfragen stellte sich die überwiegende Mehrheit hinter diese Argumentation. Doch muss leider festgestellt werden, dass ein erheblicher Widerspruch zwischen Meinungsäußerung und Mobilisierungsbereitschaft besteht. Zu viele, auch betroffene Beschäftigte, haben dank negativer Erfahrungen und der veröffentlichen Meinung schon die Hoffnung aufgegeben, dass einmal beschlossene Politik und der “Zug der Zeit” noch aufgehalten werden kann. Das Vertrauen in Gewerkschaften ist allgemein schon sehr gering, so dass auch konsequente Strategien von Untergliederungen wie dem Verdi-Bezirk Stuttgart von einem erheblichen Teil der KollegInnen mit Skepsis ob ihrer Erfolgsmöglichkeit aufgenommen werden. Hoch einzuschätzen ist deshalb das Beibehalten der Linie und des Aktionplanes durch die AktivistInnen und die Verdiführung, die nie sicher waren, ob den vollmundigen Ankündigungen immer entsprechende Taten würden folgen können. Doch mit der Glaubwürdigkeit nahm auch die Mobilisierungsbereitschaft trotz arbeitsrechtlicher Einschüchterungsversuche zu. CDU-OB Schuster, sein marktradikaler grüner Verwaltungs- und Krankenhausbürgermeister Murawski und das Krankenhausmanagement zeigten sich von der Bewegung und besonders der Streikdrohung so beeindruckt, dass sie eine 180°-Wendung machten.

An Konflikten wird’s nicht mangeln.

Natürlich enthält die Vereinbarung zwischen Stadt, Verdi und Personalrat auch Pferdefüße, die für weitere Konflikte sorgen werden: der Eigenbetrieb Kliniken erhält eine neue Satzung mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen der Geschäftsführung am Gemeinderat vorbei und das Defizit das 2005 angeblich bei über 40 Mio. Euro liegen wird, muss um “die Größenordnung von 22,6 Mill. reduziert werden”. Beschäftigte und Personalrat verpflichten sich zur Mitwirkung. In der Gemeinderatssitzung vom 17. März wurde durch die Grünen dieses Ergebnis noch einmal zum Nachteil der Beschäftigten verändert: der Begriff “Größenordnung” wurde gestrichen, die neue Satzung muss bereits bis Mitte Mai vorliegen, die Einsparungen sollen bis zur Sommerpause benannt werden und bis zum 1. Oktober sollen die Pläne zum Erreichen einer “schwarzen Null” im Jahr 2010 formuliert werden. Da kann mensch nur sagen: “Schaun‘ wir mal.” […]

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