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Philippinen: Mindanao – der wilde Süden

Von Thadeus Pato | 01.09.2004

In den europäischen Zeitungen wurden die philippinischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen recht wohlwollend behandelt, vergleicht mensch sie zum Beispiel mit dem Referendum gegen Hugo Chavez in Venezuela. Dort liefen die WahlbeobachterInnen, an der Spitze Jimmy Carter, in Bataillonsstärke auf, bei den philippinischen Wahlen war davon nichts zu sehen.

In den europäischen Zeitungen wurden die philippinischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen recht wohlwollend behandelt, vergleicht mensch sie zum Beispiel mit dem Referendum gegen Hugo Chavez in Venezuela. Dort liefen die WahlbeobachterInnen, an der Spitze Jimmy Carter, in Bataillonsstärke auf, bei den philippinischen Wahlen war davon nichts zu sehen.

Dabei weiß dort jedes Kind, dass Gloria Arroyo, die alte und neue Präsidentin, die Wahlen eigentlich verloren hat und ihr Sieg ausschließlich dem allgemein üblichen systematischen Wahlbetrug auf allen Ebenen des Wahlprozesses zu verdanken ist. Auf Mindanao, der südlichsten Insel der Philippinen, war das besonders deutlich: In einem Wahlkreis beispielsweise hatte der Gegenkandidat Fernando Poe knapp 100 000 Stimmen bekommen, Arroyo 39 000. Als in Manila zusammengezählt wurde, hatten sich diese Zahlen wie von Zauberhand unterwegs ins Gegenteil verkehrt. So war es kein Wunder, dass am Tage der Antrittsrede von Arroyo vor dem neuen Parlament, dem 26. Juli, in Mindanao trotz eines martialischen Militär- und Polizeiaufgebotes allüberall Gegendemonstrationen stattfanden. AMIN (Anak Mindanao, auf deutsch Kinder Mindanaos), eine Wahlliste, die Vertreter aller drei Volksgruppen der Insel – Moros (islamische Stämme), Lumad (Sammelbezeichnung für die 18 Stämme der UreinwohnerInnen) und christliche EinwandererInnen – vereinigt, hatte dazu aufgerufen. Diese Liste hat es wieder geschafft, einen Vertreter ins Parlament zu bekommen, ein zweiter Sitz schien nach der lokalen Auszählung sicher, aber auch hier verschwand ein Teil der Stimmen unterwegs auf wundersame Weise.
Schatzkammer der Philippinen
Mindanao ist die Schatzkammer der Philippinen. Fast 70% des Reichtums des Landes werden hier erwirtschaftet, an Bodenschätzen gibt es vom Gold bis zum Bauxit fast alles. Internationale Konzerne wie Dole und Del Monte betreiben Plantagen, Holzfirmen beuten die Urwälder aus. Die einzige deutsche Firma, die jeder Lumad kennt, ist logischerweise der Motorsägenhersteller Stihl. Allerdings fließt nur wenig von dem Reichtum zurück – knapp 30%. Das 1997 verabschiedete Gesetz, das angeblich die Rechte der Ureinwohner garantieren soll, hat nichts geändert. Die Behörde, die in Manila für die Umsetzung sorgen sollte, erklärte auf Anfrage, dass die Mittel gerade ausreichten, um ihre Gehälter zu bezahlen und unternahm demzufolge bisher schlicht gar nichts. Die Lumad haben keine Landtitel und sind den Machenschaften der lokalen Behörden, die bedenkenlos gegen Bares Abholzungslizenzen erteilen, ausgeliefert.

Bewaffneter Widerstand

Und das ist auch der Hintergrund dafür, dass es in Mindanao seit Jahrzehnten bewaffneten Widerstand gegen die innere Kolonisierung aus Manila gibt. Es sind hauptsächlich drei Gruppen, die dabei eine Rolle spielen: Zum einen die Moro Islamic Liberation Front (MILF), deren früherer Führer Nur Misuari nach Abkehr vom Guerillakampf erst Gouverneur der in Verhandlungen mit der Regierung durchgesetzten autonomen Moro-Provinz im Süden wurde und inzwischen wegen Korruption im Gefängnis sitzt. Zum zweiten die New People’s Army (NPA), der militärische Arm der maoistischen Communist Party of the Philippines (CPP), die unter einigen Stämmen der UreinwohnerInnen Einfluss hat. Sie vertritt eine klassisch maoistische Landguerillastrategie und lehnt jegliche Zusammenarbeit mit anderen linken Organisationen nicht nur ab, sondern bekämpft diese auch – bis hin zum Mord. Zum dritten die bewaffneten Kräfte der Lumad, die mit der Revolutionary Workers Party of Mindanao (RWP) verbunden sind, die allerdings keine Guerillastrategie mehr verfolgen, sondern Territorialverteidigung praktizieren. Mit allen Gruppen laufen derzeit Friedensverhandlungen, die allerdings immer wieder von der Regierung verschleppt werden. Daneben gibt es noch bewaffnete Banden, sogenannte „lost commands“, die von Überfällen leben und Gruppen wie die Abu Sayyaf, die politische Ziele vorgeben, aber de facto professionelle Kidnapperorganisationen darstellen.

Privatarmeen der Großgrundbesitzer

Mindanao gilt nicht zu Unrecht als die Gegend der Welt mit der größten Zahl an illegalen Waffen. Aber auch legale gibt es genug. Offiziell dürfen nur Polizei, Armee und Milizen über Waffen verfügen. Aber die lokalen Großgrundbesitzer unterhalten Privatarmeen, die sie einfach gegen einen Obolus bei den Behörden als offizielle Miliz registrieren lassen und für ihre Zwecke einsetzen. Sie spielen nicht nur beim Wahlbetrug eine Rolle, indem sie zum Beispiel ganze Dörfer, die bekanntermaßen oppositionell sind, am Gang zur Wahl hindern, sondern sie werden auch manchmal an die Holzfirmen vermietet, um die Holzfäller gegen die Einheiten der Lumad zu schützen, die ihre Lebensgrundlagen verteidigen. Vor einigen Wochen erteilte beispielsweise ausgerechnet die regionale Umweltschutzbehörde gegen die übliche Bestechungsgebühr eine Einschlaggenehmigung. Die Lumad der dortigen Region verwarnten sie darauf und kündigten an, gegen die Verantwortlichen einen Arrest zu verhängen. Als nichts geschah, verschwand der stellvertretende Leiter der Behörde und wurde erst nach einer Woche nach Rücknahme der Genehmigung wieder freigelassen.

Das Hindernis der Spaltung

Ein Hinderungsgrund für den gemeinsamen Widerstand der Bevölkerung der Insel gegen Korruption, Ausverkauf an die internationalen Konzerne und den inneren Kolonialismus ist die Spaltung in die drei genannten Gruppen. Seit Jahrzehnten betreibt die Regierung in Manila eine systematische Einwanderungspolitik, indem sie den Bevölkerungsüberschuss aus dem dicht besiedelten Zentralluzon nach Mindanao umsiedelt. Das hat zu zunehmenden Spannungen zwischen Moros und Lumad sowie den EinwandererInnen geführt, die sich hauptsächlich in den von der Regierung kontrollierten Küstenregionen und entlang der langsam ins Innere vorgetriebenen Straßen ansiedeln und damit den Lebensraum der UreinwohnerInnen immer weiter einengen. Aber letztendlich sind die EinwandererInnen von der Politik der Regierung genau so betroffen. Die Arbeitslosigkeit liegt real zwischen 40 und 50%, ein Entwicklungsplan für die Region fehlt und öffentliche Leistungen wie Gesundheitsversorgung sind entweder nicht erhältlich oder nicht erschwinglich. Von 100 000 Pesos beispielsweise, die in Manila für diesen Bereich veranschlagt werden, kommen wegen der Korruption nur 30 000 auf Gemeindeebene an und wieviel davon dann tatsächlich zweckgebunden verwendet wird, weiß niemand. Tatsache ist, dass, wenn jemand operiert werden muss, er oder sie die Medikamente und das Material dafür in der Apotheke selbst kaufen muss…..

Gemeinsame Interessen im Mittelpunkt

Die Wahlliste AMIN ist angesichts dieser Situation als großer Fortschritt zu bewerten. Sie versucht, die Spaltung der drei Bevölkerungsgruppen Mindanaos zu überwinden, die gemeinsamen Inte
ressen gegenüber der Zentralregierung in den Mittelpunkt zu stellen und hat mit diesem Ansatz bei den letzten Wahlen einen großen Erfolg gehabt. Die CPP dagegen verliert mit ihrem Alleinvertretungsanspruch und ihrer rein militärischen Strategie zunehmend an Boden und der politische Arm der MILF gerät durch die Korruptionsaffären und die Einbindung in das politische Establishment zunehmend unter Druck. AMIN dagegen setzt auf konsequente Interessenvertretung aller BewohnerInnen Mindanaos und hat damit, wie die Demonstrationen vom 26. Juli zeigten, auch zunehmende Unterstützung.

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