Wenn diese Zeilen erscheinen, wird die PDS ihren Chemnitzer Parteitag beendet haben und aller Voraussicht nach mit einem neuen Programm in die politischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre gehen. Sie wird damit auch den Prozess der innerparteilichen Auseinandersetzungen abschließen, welche die Partei nach den Wahlverlusten bei der Bundestagswahl über ein Jahr in ihrer Außenwirkung lähmte.
Vor fast genau einem Jahr bilanzierte die PDS in Gera ihre Stimmenverluste und ihren praktischen Rauswurf aus dem Bundestag. Die Mehrheit der Delegierten und auch die Stimmung an der Basis machten die Schuldigen im Kreise der "Reformer" aus. Dieser Unmut mündete schließlich in der Abwahl des vom "Reformer"-Flügel dominierten Parteivorstandes. Der neue Vorstand um Gabi Zimmer war in seiner Zusammensetzung allerdings so heterogen, dass er es nicht verstand, die Wahlschlappe gründlich zu analysieren und die innerparteiliche Diskussion dazu, – vor allem auch um das neue Parteiprogramm –, in konstruktive Bahnen zu lenken. Die Auseinandersetzungen führten schließlich zu einem Sonderparteitag Ende Juni, auf dem ein fast komplett neuer Vorstand gewählt wurde, in dem sich die "Reformer" mit großer Mehrheit wiederfinden. Bemerkenswert ist dabei, dass es dieselben Delegierten waren, die in Gera den Kurs der "Reformer" in Richtung Annäherung an die SPD kippten.
Minderheiten der Mitgliedschaft
Erklärbar ist das aus der Tatsache heraus, dass sowohl der Apparateflügel, der die "Reformer" im Wesentlichen trägt, wie auch die marxistische Linke nur Minderheiten der Mitgliedschaft repräsentieren. Dazwischen befindet sich eine breite Basis, welche sich hauptsächlich um die praktische Parteiarbeit vor Ort kümmert und in ihrer politiktheoretischen Grundlage zwischen den beiden sich programmatisch exponierenden Flügeln schwankt. Diese Gruppe war es nun, die angesichts der parteiinternen Streitereien und des drohenden weiteren Bedeutungsverlusts in der ostdeutschen Bevölkerung, die "Notbremse" zog und in der Wahl Biskys eine Art Rettungsanker sah.
Überarbeiteter Programmentwurf
Der neue Vorstand um Bisky, forcierte nun die Entscheidungsfindung zum neuen Parteiprogramm mit der Vorlage eines überarbeiteten Entwurfs (s. Avanti Nr. 101 v. September 03). Zwar wurde der neue Entwurf noch in einigen Passagen verändert, er entspricht aber in seiner Tendenz dem ersten Entwurf der "Reformer". In einigen Punkten wurde er so umformuliert, dass sich jede/er etwas Passendes heraussuchen kann. Er ist von einer allgemeinen Unverbindlichkeit geprägt. Ziel der Mehrheit der Programmkommission war es dabei, eine größtmögliche Zustimmung insbesondere bei schwankenden Basisdelegierten zu erreichen. Dieses Konzept scheint auch aufzugehen. Bezeichnend ist es, dass Bisky in einem Interview im Neuen Deutschland eine Mitgliederbefragung dazu ablehnte. Zwar könnte mensch sich auch da einer Mehrheit sicher sein, doch würden mehr als ein Drittel an Gegenstimmen oder eine große Anzahl von Enthaltungen die Gräben in der PDS wieder vertiefen.
Insgesamt bringt der Entwurf den Kurs der PDS in Richtung klassischer, sozialdemokratischer Positionen zum Ausdruck. Die Exponenten des Programms wollen damit die Lücke füllen, welche die SPD mit ihrem neoliberalen Kurs immer weiter aufgibt. Dazu müsste mensch sich in den Schichten der SPD-Stammwählerschaft in den alten Bundesländern verankern, die bei den letzten Landtagswahlen in das Lager der Wahlenthaltung abgewandert sind. Das Erscheinungsbild der PDS im Westen ist aber zu sehr von der alten "Szenelinken" geprägt und die SED-Vergangenheit hängt ihr als negatives Stigma immer noch bei einer übergroßen Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung an.
Reduzierung der Mitgliedschaft
Auch von den 30.000 in diesem Jahr ausgetretenen SPD-Mitgliedern ist kaum jemand zur PDS übergetreten. Gerade auf dem Gebiet der Beitrag zahlenden und aktiven Parteimitglieder drohen der PDS die Felle wegzuschwimmen. Die Überalterung schwächt die Partei immer mehr. Von inzwischen noch knapp 70.000 Mitgliedern sind 80 Prozent über 60 Jahre alt. Der Mitgliederverlust durch Sterbefälle mit 90 % schwächt die Partei wesentlich mehr als der durch Austritte. Eine parteiinterne Studie rechnet in den nächsten 10 Jahren mit einer weiteren Reduzierung der Mitgliedschaft um die Hälfte. Das würde nicht nur gravierende Folgen für die Parteifinanzen haben, sondern auch einen Verlust an Verankerung vor Ort bedeuten. Um diesen Tendenzen zu begegnen hat der Bundesvorstand nun eine Kommission zur Parteistrukturreform und zur Mitgliederwerbung berufen.
Ob es gelingt, mit dem neuen Programm, der kürzlich vorgestellten Sozialagenda und der anstehenden inneren Parteireform das Ruder herumzureißen, werden die ostdeutschen Landtagswahlen und die Europawahl 2004 zeigen. Weniger das Grundsatzprogramm als die praktische Politik werden dabei den Ausschlag geben. Sie entscheidet darüber, ob bei der letzten Bundestagswahl an die SPD verlorene Wählerinnen und Wähler bzw. von der PDS wie von der SPD enttäuschte Wähler aus dem Bereich der NichtwählerInnen gewonnen werden können. Angesichts der Politik in den Regierungskoalitionen in Mecklenburg-Vorpommern aber vor allem in Berlin bleibt das zu bezweifeln. Dennoch wird die PDS in Ostdeutschland die politische Linke über einige Jahre weiter dominieren. Der sozialistische Linke in der PDS sollte ihre Zersplitterung überwinden und dringend gemeinsam ihre Perspektive in der Partei aber vor allem die von sozialistischer Politik in diesem Land diskutieren. Das durch die neoliberale Orientierung und asoziale Kahlschlagpolitik der Schröder-Regierung entstandene politische Vakuum auf der Linken könnte durch einen Neuformierungsprozess gefüllt werden.
nhang. Anfang der 70er Jahre verstanden viele Lohnabhängige unter Reformen grundlegende Verbesserungen ihres Lebensstandards. Ein Gutteil der KapitaleignerInnen sah damals in Reformen eine Methode des Klassenkampfes. Heute ist der Begriff Reform vom Kapital und seiner Regierung besetzt. Viele Lohnabhängige greifen zuerst in die Tasche, um zu sehen, ob ihr Geld noch da ist, wenn sie das Wort Reformen hören. Warum sollen die RevolutionärInnen die Letzten sein, die öffentlich zwischen wirklichen Reformen und so genannten „Reformen“ unterscheiden? Was in der Theorie weiterhin seine Berechtigung hat, sollte mensch in der Praxis ruhig den ReformistInnen der PDS überlassen. In Zukunft bitte Reformen ohne Anführungsstriche.