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Betrieb & Gewerkschaft

Opel: Ein besonderer Arbeitskampf

Von B.B. | 01.11.2004

In der bisher wichtigsten Klassenauseinandersetzung in diesem Jahr haben sich weder die ArbeiterInnen noch das Kapital durchgesetzt.

In der bisher wichtigsten Klassenauseinandersetzung in diesem Jahr haben sich weder die ArbeiterInnen noch das Kapital durchgesetzt.

Der Kampf bei Opel wirkte auf das ganze Ruhrgebiet elektrisierend. Eine solche Solidarität war seit der großen Auseinandersetzung bei Krupp-Rheinhausen nicht mehr zu spüren. Über Jahre wurden Entlassungen, Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerung ohne spürbare Gegenwehr hingenommen. Der Kampf bei Opel veränderte die politische Stimmung in der Region. Die Lohnabhängigen in den Betrieben und auf der Straße reden plötzlich wieder darüber, dass Widerstand sinnvoll und machbar ist. Die Bedeutung des Kampfes bei Opel ist auch den Herrschenden in Regierung und Kapitalverbänden bewusst. Sie wollen das Wiedererwachen von Klassenbewusstsein verhindern.

Eine Arbeitsniederlegung, aber kein Streik!

Der Arbeitskampf bei Opel wurde von der Belegschaft nicht als Streik geführt, sondern als Arbeitsniederlegung, um ihr Informationsrecht nach § 39 BetrVG wahrzunehmen. Schicht für Schicht stempelten die Malocher, gingen zum Arbeitsplatz und boten ihre Arbeitskraft an. Sie nutzten allerdings ihr Informationsrecht umfassend aus. Dazu gehört zweierlei: Die Belegschaft, die sich regelmäßig informieren wollte, und die Betriebsräte, die regelmäßig Informationen durchführten. Bei aller Kritik an der Mehrheit der Betriebsräte – ohne den Betriebsrat in seiner Gesamtheit wäre diese Kampfform „Wahrnehmung des Informationsrechtes“ nicht möglich gewesen. Das Ergebnis war das Gleiche wie beim Streik: Es wurde nicht gearbeitet. Die Bänder standen still.
Die geschickte Ausnutzung des Betriebsverfassungsgesetzes wurde in der Ruhrgebietspresse haarklein erklärt. Hiermit wurde mehr aufgeklärt, als es die Bildungsstätte Sprockhövel durch jahrelange Seminare über das BetrVG hat leisten können. Und es wird nicht lange dauern bis die Kapitalparteien vorschlagen werden, das Betriebsverfassungsgesetz an dieser Stelle zu „reformieren“.
Mit Händen und Füßen wehrten sich deshalb die ArbeiterInnen bei Opel gegen die Bezeichnung ihrer Auseinandersetzung als „Streik“. Sie wussten genau, welche politische Gratwanderung ihr Kampf gegen Kapital und Management, Politik, Medien und die Führung der IG Metall war – vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet.
Dagegen begriffen die meisten linken Organisationen, fast alle nicht im Betrieb vertreten, die Kampfform der OpelarbeiterInnen überhaupt nicht. Schließlich waren sie ja nicht zum Zuhören vor die Werkstore gekommen, sondern um den ArbeiterInnen ihre Solidarität zu versichern – und die „richtige“ politische Perspektive zu erklären. Forderungen wie „Unbefristeter Streik!“, „Ausweitung des Streiks!“ oder „Bildet Streikkomitees!“ gingen völlig ins Leere und belegen einmal mehr die Betriebsferne der sozialistischen Linken.

Kein aktiv geführter Kampf!

Zwar wurden die Werkstore besetzt, aber der Kampf nicht aktiv geführt. Weder gab es Hilferufe an andere Betriebe, noch Kontaktaufnahme nach Antwerpen oder Trollhättan. Mensch blieb im Betrieb. Die große Mehrheit der ArbeiterInnen verbrachte die Zeit an ihrem Arbeitsplatz. Sie boten dort ihre Arbeitskraft an, was für die Bezahlung noch eine Rolle spielen wird. Die ganze Betriebshierarchie (Meister; Werksschutz; Leitende) ging ungehindert ihrer Tätigkeit nach – bis hin zur Einschüchterung. Wer an den Toren stand, hatte sich vorher bei seinem Vorgesetzten abgemeldet. Ein aktiver Streik war das nicht. Das schmälert nicht den Kampf, nur die Illusionen über ihn.
Das Rückgrat der Auseinandersetzung bildeten die Vertrauensleute. Ihre Leitung war eine Art „Streikkomitee“. Ohne die jahrzehntelangen kritischen Diskussionen innerhalb des Vertrauensleutekörpers mit entsprechender Fraktionierung im Betriebsrat von Sozialpartnerschaft bis zur GOG1, wäre der Kampf bei Opel so nicht möglich gewesen. Es gab deshalb keinen Betriebsratsfürsten, der mit seiner Clique alles im Griff hatte, was den Vertrauensleuten wiederum Spielraum für Eigeninitiative öffnete.

Beispielhafte Geschlossenheit

Vor diesem Hintergrund ist auch das Ergebnis der Abstimmung zu sehen, bei dem sich 2/3 der Belegschaft für die Wiederaufnahme der Arbeit aussprachen. Natürlich war die Abstimmungsformel manipulativ: „Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?“. Die Mehrheitsfraktion im Betriebsrat wollte, dass die Produktion wieder rollt. Aber wäre das Abstimmungsergebnis bei einer anderen Formel ein anderes gewesen?
Die Linke, die die MalocherInnen einzig und allein als „betrogen“ hinstellt, vergisst, dass die ArbeiterInnen Tag und Nacht bei Opel diskutierten. Sie haben ein vergleichsweise hohes Klassenbewusstsein. Selbst wenn die Arbeitsniederlegung noch einige Tage fortgeführt worden wäre, wäre nicht nur der Druck auf das Kapital gewachsen, sondern auch der Gegendruck und die Spaltungsgefahr innerhalb der Belegschaft.
Was wäre gewesen, wenn Schicht für Schicht an die Arbeit gegangen wäre? Oder wenn das Abstimmungsergebnis mit 52% für Streik und 48% dagegen gelautet hätte? Wenn es darüber innerhalb der Belegschaft zu Konfrontation und Spaltung gekommen wäre? Die Geschlossenheit der Belegschaft gegenüber dem Kapitaleigner Opel ist ihr großer Trumpf. Sie allein verhindert Repressalien gegen „Rädelsführer“, wie sie in den bürgerlichen Medien bereits angekündigt wurden. Die ArbeiterInnen bei Opel sind nach zwei großen Kämpfen in den letzten Jahren in der Lage, die nächste Herausforderung anzunehmen. Und darauf kommt es an.

1 Klassenkämpferische Gruppierung. In den 70er Jahren als Gruppe Oppositioneller Gewerkschafter, heute Gegenwehr ohne Grenzen.

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