Noch vor der Sommerpause des Bundestags will die Bundesregierung das sog. Kohleausstiegsgesetz durch das Parlament bringen. Sein Name führt allerdings in die Irre. Tatsächlich könnte es die Kohleverstromung künstlich verlängern.
… ein Zeitplan, der an der Realität der Klimakatastrophe vollständig vorbeigeht.
Beabsichtigt ist, 2022 die Leistung der in das deutsche Netz einspeisenden Kraftwerke von 21,2 Gigawatt (GW) Braunkohle und 23,7 GW Steinkohle (Stand 2019) auf jeweils 15 GGW Stein- wie auch Braunkohle zu reduzieren und Ende des Jahrzehnts auf 9 GW Braunkohle und 9 GW Steinkohle herunterzufahren. Erst 2038 soll es mit der Kohleverstromung in Deutschland endgültig vorbei sein. Das ist ein Zeitplan, der an der Realität der Klimakatastrophe vollständig vorbeigeht.
Nicht nur ein symbolischer Tabubruch.
Die Abschaltungen werden auf zwei Stichjahre, 2022 und 2030, geschoben. Damit weicht der Gesetzentwurf von den Empfehlungen der Kohlekommission ab, die einen linear verlaufenden, schrittweisen Ausstieg über den gesamten Zeitraum empfohlen hatte. Das verursacht gegenüber dem mühsam verhandelten Kohlekompromiss erhebliche Mehremissionen.
Unverständlich ist auch, warum nicht der Ausstieg aus der Braunkohle, die deutlich klimaschädlicher ist als die Steinkohle, gegenüber letzterer zeitlich vorgezogen wird. Ein guter Teil der Braunkohlekapazitäten soll noch bis kurz vor dem Stichjahr 2038 weiterbetrieben werden. In der Lausitz soll der Betreiber für einen Ausstieg, der von seinen ursprünglichen Plänen nur unwesentlich abweicht, am Ende noch erhebliche Entschädigungen kassieren dürfen.
Unterdessen wurde – ebenfalls entgegen der Empfehlung der Kohlekommission und gegen den Willen von bald zwei Dritteln der Bevölkerung – Ende Mai Datteln IV ans Netz genommen. Das ist in Zeiten der Klimakatastrophe nicht nur ein symbolischer Tabubruch. Datteln IV wird auch ganz real mehr Emissionen bedeuten. Auf dem Papier sollen diese zwar durch die vorgezogene Abschaltung älterer und sicher auch weniger effizienter Meiler kompensiert werden. Aber genau hier liegt das Problem.
Durch die Konkurrenz von mehr und billiger werdendem Ökostrom und durch einen in den vergangenen Jahren merklich gestiegenen CO2-Preis im Zusammenhang mit der Reform des EU-Emissionshandels haben sich die Wettbewerbsbedingungen für die Kohle verschlechtert. Die Vollauslastung der älteren Kohlekraftwerke des Datteln-IV-Betreibers Uniper lag in den vergangenen Jahren bei durchschnittlich unter 35 Prozent. Die Auslastung des viel wettbewerbsfähigeren Datteln IV dürfte zukünftig deutlich höher liegen.
Ob die dadurch zu erwartenden Mehremissionen am Ende ausgeglichen werden, ist zumindest dann zweifelhaft, wenn sich der Trend der vergangenen Jahre weiter fortsetzt. Der deutet auf eine rapide sinkende Wirtschaftlichkeit der Kohleverstromung hin. Die könnten sich durch eine weitere Verteuerung des CO2-Preises im Rahmen des von der EU-Kommission angekündigten «New Deal» noch drastisch verschlechtern.
„Schadensersatzforderungen“ – ein absehbares Einfallstor!
Schließlich ist vorgesehen, die Abschaltung der Braunkohle nicht durch ordnungsrechtliche Maßnahmen, sondern über öffentlich-rechtliche Verträge mit den Betreibern zu regeln, die dem Bundestag anschließend lediglich zur Kenntnis gegeben werden. Damit ginge die Bundesregierung ohne wirksame parlamentarische Kontrolle verbindliche Vereinbarungen ein, die sich als ein juristisches Einfallstor für Schadenersatzforderungen der Konzerne herausstellen werden, sollte im Rahmen einer zukünftigen, ehrgeizigeren Klimapolitik je der Versuch unternommen werden, den Ausstieg zu beschleunigen. Dabei hat der Kohlekompromiss einen gangbaren, alternativen Weg aufgewiesen. Er sah vor, dass der Ausstieg ordnungsrechtlich geregelt werden sollte, wenn Verträge nicht zustande kommen.
Dies wäre insbesondere deshalb wichtig, weil sich ein weiterer vorgesehener Mechanismus als kontraproduktiv herausstellen könnte. Denn die für die Abschaltung der Meiler vorgesehenen erheblichen Entschädigungszahlungen dürfen nur dann ausgezahlt werden, wenn die Meiler bis zum festgelegten Enddatum auch tatsächlich weiter Strom produziert. Ansonsten würde die EU die Zahlung als unzulässige Beihilfe werten. Damit wird ein Anreiz geschaffen, auch ein unwirtschaftlich gewordenes Kraftwerk weiter in Betrieb zu halten.
Es geht anders.
Anstatt in dieser Weise Politik für die großen Energiekonzerne zu machen, sollten noch 2020 die 20 ältesten Meiler abgeschaltet und der Kohleausstieg bis spätestens 2030 abgeschlossen werden. Für das Rheinische Revier würde das bedeuten, dass nur wenige Blöcke mit optimierter Anlagentechnik über das Jahresende hinaus in Betrieb blieben, der Hambi wäre endgültig gerettet, alle Dörfer könnten bleiben, und wir wären der Rettung des Weltklimas einen kleinen Schritt näher.
Hanno Raußendorf ist Sprecher für Klima und Umwelt im Landesvorstand der Partei DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen.
Dieser Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe der SoZ.
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