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Nordkoreas Atombombentest

Von Harry Tuttle | 01.11.2006

Die Weigerung der Atommächte, auf ihre Bomben zu verzichten, und der Militarismus ehrgeiziger Diktatoren führen zu einem neuen Rüstungswettlauf. Als er den ersten Atompilz über der Wüste von New Mexico aufsteigen sah, dachte Robert Oppenheimer an eine Zeile aus dem hinduistischen Epos Bhagavadgita: „Ich wurde der Tod, Zerstörer der Welten.“ Der Physiker Kenneth Bainbridge hatte weniger Sinn für Poesie. „Jetzt sind wir alle Hurensöhne“, kommentierte er den ersten Atombombentest am 16. Juli 1945.

Die Weigerung der Atommächte, auf ihre Bomben zu verzichten, und der Militarismus ehrgeiziger Diktatoren führen zu einem neuen Rüstungswettlauf.

Als er den ersten Atompilz über der Wüste von New Mexico aufsteigen sah, dachte Robert Oppenheimer an eine Zeile aus dem hinduistischen Epos Bhagavadgita: „Ich wurde der Tod, Zerstörer der Welten.“ Der Physiker Kenneth Bainbridge hatte weniger Sinn für Poesie. „Jetzt sind wir alle Hurensöhne“, kommentierte er den ersten Atombombentest am 16. Juli 1945. Viele Wissenschaftler hatten sich nur deswegen an der Entwicklung der Bombe beteiligt, weil sie befürchteten, Hitlers Atom­ingenieure könnten ihnen zuvorkommen.
In gutem Glauben
Doch nach dem Sieg über Deutschland und Japan dachte die US-Regierung nicht daran, sich der neuen Waffe zu entledigen. Die Atombombe galt als willkommenes Mittel, um den Einfluss der Sowjetunion zurückzudrängen. Die ideologische Rechtfertigung für die nukleare Rüstung, die angebliche Bedrohung durch die Sowjetunion, entfiel eigentlich endgültig mit deren Zusammenbruch. Die US-Regierung bestand aber auf dem Erhalt und der weiteren Modernisierung des Arsenals. Auch die anderen Nuklearmächte China, Frankreich, Großbritannien und Russland wollten auf die Bomben nicht verzichten, obwohl sie sich mit der Unterzeichnung des 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrages (ASV) dazu verpflichtet hatten, „in gutem Glauben“ Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung zu führen.
Diese Zusage war die Voraussetzung für den Verzicht aller anderen Unterzeichnerstaaten auf eigene Atomrüstungsprogramme. In den 60er Jahren arbeiteten dennoch zahlreiche Länder, überwiegend prowestliche Diktaturen, am Bau von Nuklearwaffen. Im Zuge der Demokratisierung wurden diese Programme in den 70er und 80er Jahren beendet. Nur Israel, Pakistan und Indien, die den ASV nicht unterzeichnet haben, wurden zu Atommächten.
Derzeit aber droht ein neuer nuklearer Rüstungswettlauf. An Atomwaffen basteln, soweit bekannt, vor allem der Iran und Nordkorea. Wenn sie zu Atommächten werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Staaten in ihrer Umgebung ebenfalls nukleare Rüstungsprogramme beginnen.

Die Motive, sich Atombomben zu verschaffen, sind unterschiedlich. Das Nukleararsenal gilt sowohl für den Iran als auch für Nordkorea, nicht zu unrecht, als Schutz vor einem möglichen Angriff der USA. Der Iran verfolgt darüber hinaus aggressive regionalpolitische Ziele und strebt nach einer Dominanz in der Golfregion. Dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-il dagegen geht es vor allem um das Überleben seines Regimes. Er sieht die Atombombe als Druckmittel bei den Verhandlungen um Wirtschaftshilfe.
Militär statt Arbeiterklasse
Der von der nordkoreanischen Propaganda als „geliebter Führer“ bezeichnete Staatschef gebietet über ein extrem nationalistisches Regime, das jedoch ohne ausländische Hilfe nicht überleben kann. Die Hungersnot in den 90er Jahren forderte eine Million Todesopfer, es wären weit mehr, wenn Hilfsorganisationen nicht etwa ein Drittel der Bevölkerung versorgt hätten. Die Lage hat sich etwas verbessert, doch 2004, im letzten Jahr, aus dem Daten vorliegen, waren 37% der Kinder chronisch unterernährt.

Zu dieser Notlage haben das nukleare Rüstungsprogramm und die so genannte Songun-Politik maßgeblich beigetragen. Kim Jong-il verfügte, dass „die Armee vor die Arbeiterklasse gestellt“ werden müsse und nunmehr „Säule und wichtigster Akteur der Revolution“ sei. Damit wurde nicht nur die letzte theoretische Verbindung zum Marxismus gekappt, das Militär verschlingt Schätzungen zufolge mindestens ein Viertel des Bruttosozialprodukts. Die zivile Wirtschaft dagegen verfällt, und ohne die Energielieferungen aus China käme die Ökonomie wohl zum Stillstand. Zudem leitete das Regime 2002 marktwirtschaftliche Reformen ein, die die Kaufkraft der Bevölkerung weiter minderten.
Drohung mit der Bombe
Die Gefahr, dass sein Regime bei einem Zusammenbruch, sei es durch innere Schwäche oder einen Angriff, durch den Einsatz seiner Atombomben die Region mit in den Abgrund reißen kann, soll die „internationale Gemeinschaft“ zu größerer Kompromissbereitschaft bei Verhandlungen über Wirtschaftshilfe bewegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kim Jong-il mit dieser Strategie Erfolg hat, ist relativ groß. Denn ungeachtet der zuweilen martialischen Rhetorik vor allem US-amerikanischer und japanischer Politiker dürften sich die Regierungen über die verheerenden ökonomischen Folgen eines Krieges klar sein, und Nordkorea, das über keine bedeutenden Ressourcen verfügt und keine außenpolitischen Ambitionen hat, ist eher ein Ärgernis als eine Gefahr für die westliche Interessen. Vor allem Japan, dessen konservative Regierung die Militarisierung der Außenpolitik weiter vorantreiben will, könnte das nordkoreanische Beispiel jedoch als Anlass für den Bau eigener Atombomben nehmen.
Die nukleare Abrüstung kann nicht durch Sanktionen erreicht werden, wie sie nun der UN-Sicherheitsrat gegen Nordkorea verhängte. Erforderlich wäre einerseits die Abrüstung der Atommächte, andererseits der Ausstieg aus der von ihren Befürwortern gerne als „friedlich“ bezeichneten Nutzung der Atomenergie. Denn die Trennung ist fiktiv, die für den Betrieb von Atomkraftwerken und den Bau von Atombomben erforderlichen Technologien sind die gleichen. Eine Welt ohne Atombomben kann nur von einer globalen Friedens- und Umweltbewegung erkämpft werden. 

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