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Länder

Neues Referendum in Bolivien: Befreiungschlag oder Vabanquespiel?

Von Thadeus Pato | 01.07.2008

Nachdem der Indigene Evo Morales im Dezember 2005 mit absoluter Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden war, Maßnahmen zur Verstaatlichung der Bodenschätze Boliviens ergriff und eine (moderate) Umverteilung des Reichtums in Angriff nahm, versucht jetzt die Oberschicht der Departements des sogenannten „Halbmonds“1 mit dem Mittel der Durchführung von ungesetzlichen Autonomiereferenden ihren Einfluss zu sichern und droht damit unverhohlen mit der Spaltung des Landes. Was sind die Hintergründe für die derzeitigen Auseinandersetzungen?

Nachdem der Indigene Evo Morales im Dezember 2005 mit absoluter Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden war, Maßnahmen zur Verstaatlichung der Bodenschätze Boliviens ergriff und eine (moderate) Umverteilung des Reichtums in Angriff nahm, versucht jetzt die Oberschicht der Departements des sogenannten „Halbmonds“1 mit dem Mittel der Durchführung von ungesetzlichen Autonomiereferenden ihren Einfluss zu sichern und droht damit unverhohlen mit der Spaltung des Landes. Was sind die Hintergründe für die derzeitigen Auseinandersetzungen?

Bolivien war und ist eines der an Bodenschätzen reichsten Länder Lateinamerikas. Dabei lagen ehemals die wohlhabenden Regionen im Hochland (in den Departamentos Chuqisaka, Cochabamba, Oruro, La Paz und Potosi), dort befindet sich auch die offizielle Hauptstadt Sucre und der reale Regierungssitz La Paz. Der Reichtum bestand ursprünglich in Bodenschätzen wie Silber und Zinn, deren Abbau bis Mitte des 20. Jahrhunderts die bolivianische Wirtschaft bestimmte. Silber wurde bereits zur Zeit der Inkas abgebaut, und wahrscheinlich ist dies auch einer der Gründe, warum in Bolivien nicht wie in vielen anderen Ländern des Halbkontinents die indigene Bevölkerung ausgerottet wurde.2 Die Indigenen waren nämlich die Einzigen, die in den andinen Höhen von mehreren Tausend Metern für die Eroberer den Bergbau betreiben konnten. Demgemäß war die Andenregion traditionell dicht besiedelt und ursprünglich der bestimmende Teil des Landes. Die Tiefebene und das Amazonasgebiet waren demgegenüber schwach besiedelt und ursprünglich arm.
Die Umkehrung der Verhältnisse
Diese Ausgangssituation hat sich völlig umgekehrt: In den ehemaligen Bergbaugebieten sind die Bodenschätze zum größten Teil erschöpft bzw. nicht mehr wirtschaftlich zu fördern. Im Tiefland wiederum wurden die größten Gasvorräte Südamerikas und auch einige Ölvorkommen entdeckt. Dazu kommt, dass die im Wesentlichen aus Einwanderern bestehende dünne Oberschicht in den letzten Jahrzehnten dort eine auf Export basierende moderne und großflächig betriebene Landwirtschaft entwickelte, während im Hochland traditionell auf Subsistenzbasis angebaut wird. Entsprechend kam es auch zur Abwanderung eines Teils der Bevölkerung aus dem verarmten Hochland in die Landwirtschaftsgebiete. Trotzdem lebt nach wie vor der Großteil der, vor allem indigenen, Bevölkerung im verarmten Altiplano.

Insgesamt hat sich also in Bolivien die Reichtumsverteilung innerhalb des Landes zwar insofern nicht geändert, als bisher die dünne Oberschicht im Verein mit den ausländischen Konzernen den Reichtum des Landes, das traditionell, was den Lebensstandard der Bevölkerung betrifft, zu den ärmsten Staaten Südamerikas gehörte, abschöpfte, allerdings tragen inzwischen geografisch nicht mehr das Hochland, sondern die Departamentos des sogenannten Halbmonds zum größten Teil des Bruttosozialprodukts bei.
Der erste indigene Präsident
Die von den Konquistadoren abstammende Oberschicht kann sich bis heute nicht mit der Tatsache abfinden, dass zum ersten Mal in der bolivianischen Geschichte ein indigener Präsident gewählt wurde. Und noch viel weniger kann sie sich damit abfinden, dass dieser nicht nur mit absoluter Mehrheit gewählt, sondern dabei ist, zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens den Reichtum des Landes unmittelbar der Bevölkerung zugutekommen zu lassen. In den letzten Jahrzehnten war die Wirtschaft Boliviens konsequent wirtschaftsliberal ausgerichtet, die internationalen Gas- und Ölkonzerne ebenso wie die Agrarkonzerne strichen den größten Teil der Gewinne ein. Dem versucht Evo Morales nun mit der Verstaatlichung der Bodenschätze, entsprechenden verfassungsrechtlichen Regelungen und einer gleichzeitigen Umverteilungspolitik einen Riegel vorzuschieben.
Die Autonomiereferenden
Dies ist der politisch-ökonomische Hintergrund für das, was sich in den letzten Monaten in Bolivien abspielte. Die Präfekten der Regionen des Halbmondes beschlossen, gestützt auf die Oligarchie, in ihren Regionen Referenden über eine erweiterte Autonomie der Departements abzuhalten. Mittels dieser erweiterten Autonomie sollte dann durchgesetzt werden, dass die Maßnahmen der Zentralregierung gegen die wirtschaftsliberale Ordnung und gegen die Verflechtung der Gas- und Erdölindustrie ebenso wie der Agrarindustrie mit dem internationalen Kapital rückgängig gemacht werden und dadurch eine Umverteilung des in diesen Provinzen generierten Mehrprodukts zugunsten der verarmten Bevölkerung im Hochland unterbunden wird, indem die Regionen selbst über „ihre“ Bodenschätze bestimmen.

Inzwischen wurden denn auch in insgesamt drei Regionen (Santa Cruz, Pando und Beni) diese Referenden durchgeführt. Da der Versuch einer Verhinderung praktisch den Einsatz des Militärs bedeutet hätte, schlug Evo Morales einen anderen Weg ein: Er rief öffentlich zum Wahlboykott auf. Diese Taktik hatte insofern Erfolg, als in keinem der Departamentos das Autonomiestatut eine wirkliche Mehrheit bekam. Zwar wurde von den Departements-Präfekten öffentlich der Wahlsieg bejubelt, da die Mehrheit der Abstimmenden mit Ja abstimmte, jedoch unterschlugen sie dabei, dass sich, wenn man die hohe Wahlenthaltung mit den Neinstimmen zusammenzählt, eine Ablehnung des Autonomiestatuts von etwa 56% ergibt.3 Das korreliert auffällig damit, dass Evo Morales bei der letzten Präsidentenwahl insgesamt 54% der Stimmen erhielt und damit das erste Mal seit Ende der Diktatur 1982 ein Präsidentschaftskandidat eine absolute Mehrheit erreichte.

Nicht gesprochen wurde auch darüber, dass ein Teil der WählerInnen, nämlich die auf den Farmen der Großgrundbesitzer für Minimallöhne schuftenden LandarbeiterInnen, unter erheblichen Druck gesetzt wurden, „richtig“ abzustimmen und es auch klare Hinweise auf Wahlfälschungen gibt. In mehreren Städten kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Referendumsbefürwortern und -gegnern, die Tote forderten.
Wie geht es weiter?
Es drohte die Spaltung des Landes. In derartigen Situationen ist in Lateinamerika sehr häufig das politische Mittel der Wahl schlicht der Militärputsch. Evo Morales schlug einen anderen Weg ein, und zwar einen, den niemand erwartet hatte: Er kündigte an, am 10. August eine Volksabstimmung abhalten zu lassen, in der sowohl der Präsident, also er selbst, der Vizepräsident, sowie die Präfekten der neuen Gebietsverwaltungen entweder im Amt bestätigt oder abberufen w
erden sollen. Morales kommentierte diesen Schritt folgendermaßen: „Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens überhaupt hat das bolivianische Volk die Gelegenheit, seine Vertreter nicht nur zu wählen, sondern sie auch ihrer Funktionen zu entheben, wenn sie nichts taugen oder sich nicht in den Dienst des Volkes stellen“.

Letztendlich ist diese Abstimmung eine Abstimmung zwischen dem wirtschaftsliberalen Modell der traditionellen Oberschicht einerseits und der Verstaatlichungs- und Umverteilungspolitik der neuen Regierung andererseits, die z. B. kontinuierlich mit den sozialen Bewegungen zusammenarbeitet, mit denen fast täglich Treffen stattfinden, und die als erste bolivianische Regierung für alte Menschen über 60 eine garantierte Mindestpension eingeführt hat.

Dieses Referendum ist nicht ungefährlich, denn Morales mit seinem MAS (Movimiento al Socialismo – Bewegung zum Sozialismus) wird sich nicht nur der geballten Gegnerschaft des bolivianischen Establishments und dessen Medienmacht gegenübersehen, sondern es sind auch entsprechende Counterinsurgency-Maßnahmen ausländischer Mächte, insbesondere der USA, zu erwarten.

Unter den politischen Gegnern von Morales hat es allerdings aufgrund der überraschenden Ankündigung einige Verwirrung gegeben. Die Ultrakonservativen aus den Halbmondregionen, insbesondere aus den Departements, die noch keine Autonomiereferenden durchgeführt haben und dies im Juli noch tun wollten, reagierten panisch und kritisierten die im Parlament vertretene Partei „Podemos“, die eigentlich die politische Vertretung der Oligarchie darstellt, sie habe Verrat begangen, da sie das Referendumsgesetz befürwortet habe. Hintergrund hierfür ist nach Ansicht einiger Insider wiederum ein interner Machtkampf innerhalb der Rechten, da einigen der plötzliche Aufstieg von Leuten wie Ruben Costas, dem Präfekten von Santa Cruz, zu gefährlich wird.

Entscheidend wird sein, ob Evo Morales für das Referendum im August ausreichend mobilisieren kann und ob es gelingt, die zu erwartende Verleumdungs-  und Propagandakampagne der Rechten zu kontern. Man mag zu der Regierung Morales stehen wie man will: eine Niederlage von Evo Morales, der bereits erklärt hat, dass er dann zurücktreten werde, wäre ein schwerer Rückschlag für die gesamte Linke in Bolivien.

1     „Halbmond“ werden die östlichen Departements Boliviens, nämlich Beni, Pando, Santa Cruz und Tarija, genannt, weil sie insgesamt auf der Landkarte einem solchen ähneln.

2     Bolivien ist eines von nur drei Ländern Lateinamerikas, in denen die indigene Bevölkerung in der Mehrheit ist: 72% der bolivianischen Bevölkerung sind Indigenas.

3     Das Referendum war weder vom Obersten Wahlgericht noch von der Organisation der Amerikanischen Staaten anerkannt worden. Es sprachen sich 82 % der Wähler für eine größere Autonomie aus. Die Wahlbeteiligung betrug allerdings lediglich 61 %. Nach den Plänen der Autonomiebewegung, deren prominentester Fürsprecher der Präfekt des Departamentos Santa Cruz, Ruben Costas, ist, soll an der Spitze der Exekutive ein Gouverneur stehen, dem eine Legislative und Exekutive unterstellt wird. Außerdem sollen die Provinzen eine eigene Polizei erhalten.

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