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Länder

Neue Konturen der US-amerikanischen Politik

Von ISO | 01.12.2008

Den nachfolgenden Artikel vom 7. November 2008 entnehmen wir der Zeitschrift Socialist Worker (www.socialistworker.org), Wochenzeitung der  International Socialist Organization (ISO) in den USA, die seit etwa zwei Jahren vermehrte politische Diskussionen mit der IV. Internationale führt.

Den nachfolgenden Artikel vom 7. November 2008 entnehmen wir der Zeitschrift Socialist Worker (www.socialistworker.org), Wochenzeitung der  International Socialist Organization (ISO) in den USA, die seit etwa zwei Jahren vermehrte politische Diskussionen mit der IV. Internationale führt.

Die Frage ist jetzt, wie Obama und die Demokraten ihre Macht nutzen werden. Der rauschende Sieg von Barak Obama bei den Präsidentschaftswahlen ist in der US-Politik ein umwerfendes Ereignis, da nun ein Afro-Amerikaner das höchste Amt in einem Land einnimmt, das auf Sklaverei aufgebaut wurde. Jetzt kommen die schwierigen Fragen – Herausforderungen, die größer sind als die jedes anderen Präsidenten seit dem 2. Weltkrieg. Welche Wirtschaftspolitik wird Obama angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930ern machen, die die Welt in eine tiefe Rezession getrieben hat? Wird der Mann, der sich als Gegner des Irakkrieges dargestellt hat, sein Versprechen einlösen, US-amerikanische Truppen abzuziehen? Wird es den fundamentalen Wandel geben, den seine Unterstützer so deutlich fordern?
Zu Recht feiern Obamas Fans erst einmal. Geboren 1961 – zu einer Zeit, als Rassentrennung das Gesetz des Südens war, Bürgerrechtskämpfer gelyncht wurden und Polizeihunde und Feuerwehrschläuche gegen die Kinder Schwarzer eingesetzt wurden – ist Obamas Aufstieg Symbol für den starken Wandel der USA, ein Land, das immer noch von schlimmem Rassismus entstellt ist und mehr Schwarze ins Gefängnis als aufs College schickt.

Jeder Antirassist war gerührt angesichts der Wahlnacht-Kundgebung im Grant Park in Chicago, wo eine multikulturelle Masse von 250 000 Menschen fröhlich zusammenstand und die Aussicht auf einen Wandel feierte. Ganze Familien zogen dorthin, um Obamas Siegesansprache zu hören; GewerkschafterInnen trugen pro-Obama Transparente; auch viele Immigranten ohne Stimmrecht gehörten zur Menschenmenge.
Der Geist des Abends wurde von Gruppen schwarzer und weißer Jugendlicher  geprägt – viele noch nicht alt genug, um wählen zu können – die im Chor ‚O-ba-ma! O-ba-ma!‘ sangen und über die Michigan Avenue zogen, die Hauptstraße einer der am tiefsten gespaltenen Städte der USA.
„Was bedeutet es für mich, einen gewählten afro-amerikanischen Präsidenten zu haben? Ich kann es überhaupt nicht in Worte fassen“, sagte Darrel Washington, ein schwarzer Lehrer einer Chikagoer Grundschule.
Obamas Sieg
Obamas Sieg hatte seine Wurzeln nicht nur in der sehr weit verbreiteten Abscheu vor George W. Bush, sondern auch im Sinne seiner Basis bei den Demokraten, dass Schluss mit der alten Art von Politik sein muss. Während seines Vorwahlkampfes begeisterte Obama junge Aktivisten mit seinem Hinweis auf soziale Bewegungen in der Vergangenheit – von den Sitzstreikenden der 1930er bis hin zu den Bürgerrechtskämpfern der 1960er – und erklärte seine eigene Kampagne zu einer solchen Bewegung.

Obamas Basisorganisatoren begründeten seinen Sieg in den Vorwahlen in Iowa und überwältigten schließlich die gut geschmierte Maschine von Hillary Clinton, die die Vorwahlen als schlichte Formalität ansah. Obama setzte sich sogar durch, als eine verzweifelte Hillary Clinton sich zu einer rassistischen Äußerung hinreißen ließ, als sie erklärte, sie sei die Kandidatin des „schwer arbeitenden Amerikaners, des weißen Amerikaners.“

Sogar nach der Sicherung von Obamas Nominierung puschten die Mainstream-Medien diese Idee: der weiße Arbeiter – der kleine Mann oder Otto Normalverbraucher, ganz gleich – seien zu rassistisch, um einen Afroamerikaner zu unterstützen.
Dann zog John McCain aus der Saat, die Clinton säte, Vorteile. Indem er Ängste mit Obamas unterstellten muslimischen Hintergrund, seinem „elitären Denken“ und seinen unterstellten Verbindungen zu ehemaligen Radikalen schürte, versuchten die Republikaner die Taktik, die sie 1968 zum ersten Mal versuchten – nämlich einen rechten Flügel der weißen Reaktion zu etablieren, mit dessen Hilfe sie mehr als 4 Jahrzehnte lang Washington beherrschten.

Aber der Wahltag zeigte ein ganz anderes Bild. Der Wahlausgang zeigte, dass eine Mehrheit der Wähler – sowohl schwarze als auch weiße – McCains Schmierenkampagne gegen die Republikaner wendeten.
Wie weiter?
Die Frage ist jetzt, wie Obama und die Demokraten ihre Macht in Washington nutzen werden, besonders bei den für die Wähler wichtigsten Problemen – die Wirtschaft und auch die US-Okkupationen im Irak und in Afghanistan.

Ein genauerer Blick auf Obamas geäußerte politische Positionen – seiner erhabenen Rhetorik gegenübergestellt – zeigt eine große Diskrepanz zwischen den Hoffnungen und Erwartungen von Obamas Wählern und dem vorsichtigen, moderaten Programm, das er aufzeigte.
Schließlich ist Obama ein Mainstream-Politiker. Bei all seiner Fähigkeit, die ArbeiterInnen und die Jugend für seine Wahl wachzurütteln, finanzierte er seinen Wahlkampf mit riesigen Firmenspenden, die auf $650 Mio. geschätzt werden, und damit den weitaus größten in der US-Geschichte. Um solche Fonds anzuzapfen, verließ Obama das öffentliche Finanzierungssystem, das installiert worden war, um dem großen Geld in der Politik entgegenzutreten.

Mit der Hilfe durch große Firmen wurden Obamas Positionen immer moderater, besonders seit er im Vorwahlkampf deutlich vor Hillary Clinton lag. Gelegentlich gab er progressive Positionen von sich – z.B. Anheben des Mindestlohns mit automatischer Bindung an die Inflationsrate – aber er ist weit von einem ‚Sozialisten‘ entfernt, wie ihn McCains Agenten bezeichneten.

Statt einer größeren Umverteilung des Reichtums nach unten will er nur Bushs Steuerreduzierungen beenden und die Steuer für die Höchsteinkommen von 35 auf 39,6 % anheben. Aber wie Chuck Collins vom Institut für politische Studien deutlich macht, ist Obamas Vorschlag an die Reichen freundlicher als jener des republikanischen Präsidenten Dwight Eisenhower: 1955 z.B. hatten US-Amerikas 400 mit dem höchstem Einkommen versehene Steuerzahler ein Einkommen von durchschnittlich $ 12 Mio., auf heutige Verhältnisse umgerechnet. Sie zahlten darauf, nach Abzügen, 51,2% an Steuern.

Betrachten wir diese Zahlen aus heutiger Perspektive. 2005 hatten unsere 400 reichsten Steuerzahler durchschnittlich $ 214 Mio. und zahlten für diese fürstliche Summe, nach exorbitanten Abzugsmöglichkeiten, kaum 18,5% Steuer. Würde Ike (Eisenhower) heute leben, so würde er McCains Raserei über die Ziele der Umverteilung schelten, und Senator Barak Obama dafür, dass e
r in seiner Haltung zur Reichenbesteuerung zu schüchtern sei.

Und noch dringlicher als die Steuerfrage ist der Rettungsplan für das Finanzsystem, den Bushs Finanzminister Henry Paulsen aufgelegt hat, um den Banken und Finanzinstituten $ 700 Mrd. zu übergeben, bevor Obama seine Präsidentschaft am 20. Januar antritt. In der Tat ist diese ‚Rettung‘ der größte Einzeltransfer an Reichtum von den Arbeitern an die Reichen in der US-Geschichte.

Wird Obama diese kolossale Abzockerei aufhalten und ein Wirtschaftsprogramm gestalten, das die Interessen der arbeitenden Menschen ins Zentrum stellt? Wird eine Obama-Administration das Regierungseigentum an Fannie Mae und Freddie Mac und Aktien an großen Banken nutzen, um Zwangsvollstreckungen zu verhindern? Wird es ein wirtschaftliches Wachstumsprogramm geben, das sichere und langfristige Jobs schafft?

Obamas Wirtschaftsteam zeigt keine Neigung zu einem solchen Wechsel. Obwohl es einige liberale arbeitnehmerorientierte Ökonomen wie Jared Bernstein unter seinen Wirtschaftsberatern gibt, vertraut Obama viel mehr Figuren des Establishment wie dem früheren Finanzminister Robert Rubin und dem ehemaligen Chef des US-Bundesbank Paul Volcker – beide begünstigen erwiesenermaßen das Big Business auf Kosten der ArbeiterInnen.

Der gleiche „Realismus“ herrscht in Obamas außenpolitischem Team. Von Hillary Clinton und McCain wegen seiner außenpolitischen Unerfahrenheit angegriffen umgab sich Obama mit früheren Staatsministern, ex-CIA-Beamten, Generälen und Akademikern, die sich einer imperialistischen US-Außenpolitik verpflichtet sehen. Der Stil wird sich ändern – ein kultivierterer Umgang mit den Alliierten und mehr internationale Absprachen – aber der Inhalt nicht.

Obama beabsichtigt, zehntausende Soldaten im Irak zu lassen, um dort einer pro-US-amerkanischen Regierung das Überleben zu sichern. Und wie er im Wahlkampf wiederholt betonte, will er den grausamen Krieg in Afghanistan eskalieren, wo die Jagd nach Osama Bin Laden die wirkliche Absicht der Besetzung einer strategisch wichtigen Schnittstelle in Asien verbirgt. Auch hat Obama aggressive Äußerungen zu Venezuela von sich gegeben und war sogar mit der Bush Administration auf einer Seite, als er Israel seine Unterstützung zusagte.

Das soll nun nicht heißen, dass ein Wechsel unmöglich sei. Millionen von Menschen wollen eine neue Richtung. Die Frage ist, ob sie für einen solchen Kampf organisiert werden können. Nehmen wir z.B. das vorgeschlagene Employee Free Choice Act (EFCA, Gesetz zur freien Wahl der Beschäftigten), das viel vom arbeitgeberfreundlichen Arbeitsgesetz nimmt und den ArbeiterInnen den Zugang zu einer Gewerkschaft erleichtert. Obama versprach, ein solches Recht zu unterzeichnen, sollte es auf seinem Schreibtisch liegen, aber Republikaner und konservative Demokraten wurden schon mit Geld der Unternehmenslobbyisten überschüttet, um dieses Gesetz zu kippen – so wie 1994, als ein Gesetz zur  Verhinderung des dauerhaften Einsatzes von Streikbrechern im von den Demokraten beherrschten Kongress vereitelt wurde.

Heute jedoch sind die Chancen, das EFCA angesichts der Wechselstimmung, des Ausmaßes der Wirtschaftskrise und des Verlustes an Glaubwürdigkeit seitens des Big Business durchzubekommen, größer. Die gleiche Dynamik besteht bezüglich der Kriege im Irak und Afghanistan. Jene, die Obama hinsichtlich der Truppenreduzierung Vertrauen schenkten, werden enttäuscht sein, wenn es hier keinen Fortschritt gibt – und viele von denen, die den Afghanistankrieg als notwendiges Übel ansahen, werden ihn zunehmend hinterfragen, vor allem wenn sein Charakter als imperialistische Eroberung deutlicher wird. In diesem Zusammenhang  wird es möglich sein, die Antikriegsbewegung wieder auf eine breitere Basis zu stellen.

Hinsichtlich der vielfältigen Krisen, mit denen die USA zu tun haben, wird es zu einem Wechsel kommen – aber in welcher Weise und in wessen Interesse, hängt davon ab, ob und wie die arbeitende Bevölkerung sich organisiert, um dafür zu kämpfen.
Übersetzung: Walter Wiese

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