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Länder

Nach dem Sieg der Bewegung gegen den CPE

Von Pierre Vandevoorde (LCR) | 29.04.2006

Am 28. März überfluten 3 Millionen DemonstrantInnen das Land. Das hatten wir noch nie. Chirac kündigt trotzdem die Beibehaltung des CPE1  an. Die breite Front gegen den CPE besteht weiterhin auf der Annullierung des Gesetzes und ruft für eine Woche später zur nächsten Demonstration auf. Gleichzeitig werden jeden Tag unzählige Blockaden organisiert: Oberschulen, Universitäten, aber auch Straßenkreuzungen, Bahnhöfe, Busdepots, Flughafenterminals; es finden viele Besuche an den Fabriktoren statt…

Am 28. März überfluten 3 Millionen DemonstrantInnen das Land. Das hatten wir noch nie. Chirac kündigt trotzdem die Beibehaltung des CPE1  an. Die breite Front gegen den CPE besteht weiterhin auf der Annullierung des Gesetzes und ruft für eine Woche später zur nächsten Demonstration auf. Gleichzeitig werden jeden Tag unzählige Blockaden organisiert: Oberschulen, Universitäten, aber auch Straßenkreuzungen, Bahnhöfe, Busdepots, Flughafenterminals; es finden viele Besuche an den Fabriktoren statt

…und am 4. April sind wir wieder 3 Millionen: dieses Mal weniger Streikende im Öffentlichen Dienst, dafür mehr Streikende im Privatsektor. Dies steigert die Entschlossenheit derart, dass Chirac und Villepin sich am 10. April gezwungen sehen, den CPE zu „ersetzen“, d. h, ihn zurückzuziehen. Dies ist ein großer Sieg, der erste, der seit dem Winter 1995 auf der Straße errungen wurde.
Eine neue Generation macht die Erfahrung des Sieges
Gegen diese Bewegung hat die Regierung alles versucht: Die Spaltung, indem sie die StudentInnen gegen die jungen Menschen aus den Vorstädten aufhetzte; die frontale und gewaltsame Polizeirepression mit Hunderten von Verhaftungen, um damit vor allem an den Oberschulen und den Vorstädten zu entmutigen und einzuschüchtern. Vergeblich. In 90 Tagen erlebten die SchülerInnen und StudentInnen die längste und am tiefsten gehende Mobilisierung seit dem Mai 68. Man hatte diese Jugend als passiv und nur am Konsum orientiert dargestellt, aber sie hat sich sehr schnell politisiert, auf einem hohen Niveau der Radikalität, der Autonomie und der demokratischen Organisierung.

Im Laufe der Bewegung hat die nationale Koordination der Delegierten der im Streik befindlichen Fakultäten zunehmend ihre Legitimität durchgesetzt und die Führung der [Studentengewerkschaft] UNEF dazu gebracht, die Legitimität des gewählten nationalen Büros wie auch deren SprecherInnen zu akzeptieren. Diese unterlagen auf den Versammlungen (jedes Wochenende in einer anderen Stadt) der Kontrolle der sie Wählenden und konnten jederzeit abberufen werden. Die Plattform wurde ausgedehnt auf die Forderung nach Abschaffung des CNE2 , der ungeschützten Beschäftigungsverhältnisse und des gegen die MigrantInnen gerichteten Projektes CESDA (Green Cards für MigrantInnen, die jederzeit wieder abzuschieben sind), bis hin zur Forderung nach dem Rücktritt der Regierung.

Manch eineN hat es überrascht, dass die gewerkschaftliche Aktionseinheit bis zum Schluss hielt. Für bestimmte Gewerkschaften, im Besonderen für die CFDT, war dies die Gelegenheit, ihr ramponiertes Ansehen aufzupolieren. Das Hauptanliegen der nationalen Apparate von CGT, CFDT, FO, FSU und UNSA war es, die Bewegung gegen den CPE zu nutzen, um darüber wieder Verhandlungsspielräume mit der Regierung und dem Kapital zu erlangen. So sind sie z. B. bereit (ähnlich wie dies morgen auch die PS tun kann), mit Sarkozy in die von ihm gewünschten Gespräche zur Flexibilisierung nach dänischem Vorbild einzutreten3

Im Gegensatz zu 1995, als die EisenbahnerInnen streikten, und zu 2003 bei den LehrerInnen gab es dieses Mal keinen unbefristeten Streik eines ganzen Sektors. Entsprechende Kämpfe blieben isoliert, aber sie wurden von sehr vielen KollegInnen mit viel Sympathie als ein Streik „für alle“ betrachtet. Hier wirken noch die Niederlagen der letzten Jahre, das Gewicht der hohen Arbeitslosigkeit, die fortgeschrittene Deregulierung und die Zunahme ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse, der Rückgang gewerkschaftlicher Organisierung…
aus diesem Grund wurde mehr auf Massendemonstrationen als auf Streiks gesetzt. Deswegen auch die vielen Blockaden, bei denen die StudentInnen eine breite Unterstützung unter den Arbeiter­Innen erfuhren, oft sogar eine aktive Beteiligung einer Minderheit unter ihnen.
Das Scheitern des Villepin-Projekts und (erste) Folgerungen
Die Bewegung gegen den CPE hat das von der Rechten ausgearbeitete Projekt zunichte gemacht, mit dem sie auf das Nein zur EU-Verfassung vom 29. Mai 2005 reagieren wollte. Die zwei rivalisierenden Clans der Regierungspartei UMP hatten einen Burgfrieden geschlossen, um gemeinsam und so heftig wie möglich draufzuhauen und so den ArbeiterInnen eine derart herbe Niederlage beizufügen, dass sie noch vor 2007 [den Präsidentschaftswahlen] demoralisiert würden. Dies sollte auch alle Sektoren des Kapitals und der Reaktion zusammenzuschweißen. Sie rechneten dabei mit der Passivität und der Komplizenschaft der Gewerkschaftsführungen und der Linksparteien.

Dieser Plan funktionierte… von Juni 2005 bis zum Februar 2006. Die Reaktion der Gewerkschaften und der Parteien auf die heftigen Schläge vom letzten Sommer (darunter das CNE) war nur symbolischer Natur. Nach der Provokation der Privatisierung der Fährgesellschaft SNCM haben die Gewerkschaftsbürokratien einen exemplarischen Kampf isoliert und abgewürgt. Sodann haben sie den langen Streik im öffentlichen Nahverkehr von Marseille (RTM) ausbluten lassen. Im November hatte die durch Sarkozys Provokationen ausgelöste Revolte in den Vorstädten ein unvorhergesehenes Element der Destabilisierung hervorgebracht, aber die Regierung hatte von deren Blindheit und Verzweiflung profitiert und startete eine neue Offensive repressiver Maßnahmen. Der CPE war dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Die linken Parteien und die Bewegung
Die reformistische Linke hat sich an der gemeinsamen Front beteiligt und den Kampf unterstützt, war aber bestrebt, die Konfrontation zu vermeiden. Die Sozialistische Partei stand voll hinter der Bewegung, hat aber versucht, die Weiterentwicklung des außerparlamentarischen Rahmens zu verhindern. Die zentrale Losung des Parteivorsitzenden Hollande lautete: „Die Wähler werden sich 2007 daran erinnern“. Nach einer Umfrage vom 5. April wünschten aber 45% der Befragten den Rücktritt Villepins, obwohl keine einzige politische Kraft diesen Rücktritt forderte…mit Ausnahme der LCR. Zur gleichen Zeit erklärte Hollande dagegen, dass die PS die Institutionen respektiere und er forderte „den Rücktritt von niemandem, nur das Zurückziehen des CPE“. Die Vorsitzender der KPF, Marie Georges Buffet, erklärte, dass sie „keine Notwendigkeit“ sehe, dass Villepin zurücktrete und bekräftigte, dies sei „nicht das, was die jungen Leute heute fordern“…unmittelbar bevor die StudentInnenkoordination das genaue Gegenteil erklärte. In dieser Koordination war die KPF übrigens mangels Mitglieder unter den Studieren
den kaum vertreten. Ihre Vorschläge: „ein mehrjähriger Plan zum Abbau ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse“, statt der Umwandlung dieser prekären Beschäftigungsverhältnisse in reguläre, unbefristete Verträge; „Kampf gegen den Missbrauch von befristeten Arbeitsverträgen“, statt des Verbots dieser prekären Beschäftigungen, „Senkung der Kreditzinsen für Unternehmen statt Senkung der Arbeitskosten“, also das Verharren in der Logik der Geschenke an die UnternehmerInnen!

Bis Ende März konzentrierten sich KPF, SP und Grüne darauf, von Chirac zu verlangen, dass er Villepin zurückpfeift, damit „keine politische Krise ausbricht“, und achteten streng darauf, dass sie den institutionellen Rahmen einhielten.
Die Rolle der LCR
Die LCR [franz. Sektion der IV. Internationale] hat eine intensive Aktivität entwickelt und beispielsweise das sonst monatlich erscheinende Organ („Red“) ihrer Jugendorganisation JCR wöchentlich her­ausgebracht. Ihre jungen Mitglieder haben unter den AktivistInnen der Bewegung, einschließlich ihrer Führung, eine bedeutende Rolle gespielt.
Hunderttausende junger Menschen wollen eine politische Alternative, die mit den prekären Beschäftigungsverhältnissen und der Erwerbslosigkeit aufräumt. Gebraucht wird eine Perspek­tive, die der Kraft und der Radikalität dieser Bewegung gerecht wird. Dafür braucht es eine Linke, die mit dem Herumeiern dieser staatsfixierten Linken bricht, die nur den Kapitalismus verwalten will. Die LCR wendet sich an alle AktivistInnen, die gemeinsam eine solche Linke aufbauen wollen. Die neue Generation, die jetzt in den antikapitalistischen Kampf eingetreten ist, wird dafür ein Bindemittel sein.


Übersetzung: D. B.

1    Contrat première embauche, („Ersteinstellungsvertrag“, der für unter 26-jährige für die ersten 2 Jahre den Kündigungsschutz abschaffen sollte)
2    Contrat nouvelle embauche („Neueinstellungsvertrag“, der im letzten Sommer für alle in Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten eingeführt wurde und ebenfalls den Kündigungsschutz abschaffte).
3    Das in Frankreich viel diskutierte Modell „flexi-sécurité“ (mehr Flexibilität bei Entlassungen, dafür mehr soziale Absicherung) soll Entlassungen erleichtern und höheres Arbeitslosengeld einführen, verbunden mit dem Zwang, jede angebotene Arbeit anzunehmen. Anm.d.Übers.]

 

Vom Anti-CPE zum Anti-EPR!
Am Samstag, den 15. April, kamen bei der europäischen Demonstration gegen den Bau des Europäischer Druckwasserreaktors EPR in Cherbourg 30 000 Menschen zusammen. 10 000 waren erwartet worden, mit der Befürchtung, dass nach so vielen Demonstrationen gegen den CPE eine gewisse Demobilisierung eintrete. Ganz im Gegenteil: Trotz schlechten Wetters und der großen Entfernung hat eine dynamische Menge das Wiedererstarken der Anti-AKW-Bewegung ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Mit großer Verwunderung haben alle Medien festgehalten, dass unser Sprecher Olivier Besancenot erst am Nachmittag eintraf, nachdem er am Vormittag als Briefträger in einem Pariser Vorort die Post ausgetragen hatte. Die LCR hat dafür einen Genossen sprechen lassen, der in einem Atomkraftwerk arbeitet. Dieser erklärte, dass die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Sicherheitsstandards seit der Privatisierung des Stromversorgers EDF, Bedingungen schafft, die ein Zusammengehen der dort Beschäftigten und der Anti-AKW-Bewegung erleichtern. Diese soll beispielsweise die Forderung unterstützen, dass in diesen Kraftwerken Löschkommandos eingerichtet werden, die es bisher dort nicht gibt! Wie hieß es auf unserm Flugblatt: „Unser Leben ist mehr wert als ihre Profite. Unser Leben ist mehr wert als ihre Kernkraftwerke.“    P.V.

 

 

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