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„Musharrafs Tage sind gezählt“

Von Interview: Daniel Berger | 01.06.2008

Im Februar und im Mai diesen Jahres hielt sich Farooq Tariq, führendes Mitglieder Labour Party Pakistan (LPP), für einige Tage in Europa auf und trat auf verschiedenen Veranstaltungen in den Niederlanden und in Großbritannien auf. Daniel Berger sprach für Avanti mit ihm.

Im Februar und im Mai diesen Jahres hielt sich Farooq Tariq, führendes Mitglieder Labour Party Pakistan (LPP), für einige Tage in Europa auf und trat auf verschiedenen Veranstaltungen in den Niederlanden und in Großbritannien auf. Daniel Berger sprach für Avanti mit ihm.

Avanti: Musharraf hat bei den Wahlen [vom 18. Februar] eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Wie kam es dazu?

Farooq: Der allgemeine politische Hintergrund ist die in den letzten Jahren gewachsene Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung, vor allem, weil viele Bauern verarmen, die Preise unaufhörlich steigen und die brutale Repression viele Menschen trifft. In der Nordwestprovinz herrscht seit Jahren Krieg (fast jeden Tag gibt es dort 40 bis 50 Tote) und jetzt ist die Armee auch in Belutschistan aktiv.

Der aktuelle Grund aber ist die große demokratische Bewegung, die die Anwälte im letzten Jahr entwickelt haben. Anlass war die Absetzung des obersten Richters Iftikar Mohammad Chaudhry, der sich gegen die willkürlichen Verhaftungen (und das Verschwindenlassen) nach dem 11. September wandte und Aufklärung forderte. Er stellte sich gegen die Privatisierungspolitik Musharrafs (etwa des größten pakistanischen Industriebetriebs, Pakistan Steel Mill Karachi) und er kämpfte gegen die Menschrechtsverletzungen (v.a. gegen den Frauenhandel).

Daraufhin entwickelte sich eine breite Anwaltsbewegung. 75 000 der insgesamt 80 000 pakistanischen Anwälte sind in dieser Bewegung aktiv geworden und haben die Diktatur herausgefordert, eine einmalige demokratische Bewegung. Ihre zentralen Forderung: Unabhängigkeit der Justiz. Das ging so weit, dass auch die Richter sich mehrheitlich gegen den General stellten. In den 61 Jahren pakistanischer Geschichte hatten wir 32 Jahre lang eine Militärdiktatur. Immer war die Justiz auf der Seite der Herrschenden. Dieses Mal war es anders. Selbst das oberste Gericht entschied mit zwei Dritteln für die Wiedereinsetzung von Chaudhry. Musharraf hat diese Bewegung vollkommen unterschätzt. Sie hat andere Teile der Bevölkerung ermutigt und das war auch der Grund für seine Wahlniederlage.

 

Ihr habt euch aber nicht an der Wahl beteiligt.

 

Farooq: Nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern wegen der Ausrufung des Ausnahmezustands und der undemokratischen Wahlvorbereitungen. Wir waren ursprünglich auf eine Wahlbeteiligung eingestellt, die Kampagne lief gut an, aber die Bedingungen haben sich im Herbst dramatisch verändert. Am 3. November war die Verfassung aufgehoben worden, 60 oberste Richter wurden verhaftet usw. Im letzten Jahr sind 25 000 politische AktivstInnen verhaftet worden, darunter auch viele Mitglieder unserer Partei [darunter auch Farooq; einer zweiten Verhaftung entging er durch sein Abtauchen über mehrere Monate; D. B.] Die Anwaltsbewegung hat deswegen zum Wahlboykott aufgerufen, ebenso wie alle anderen AktivistInnen der Menschenrechtsbewegung und der sozialen Bewegungen. Wir wollten auf jeden Fall auf der Seite der AktivistInnen bleiben und wir hätten bei einer Wahlbeteiligung nicht so überzeugend gegen die Diktatur antreten können. Wir konnten auch die Anwaltsbewegung nicht im Stich lassen.

Unser Wahlboykott und unsere weitere Aktivität haben den Ruf der LPP als einer kämpfenden Partei erhöht. Wir sind inzwischen in drei der vier Provinzen (außer in Belutschistan) präsent und sind heute mit inzwischen 3000 Mitgliedern als landesweite Organisation bekannt. Im Nordwesten sind wir die stärkste linke Organisation.

Die Pakistan Peoples Party (PPP) [von Benazir Bhutto] zögerte am Anfang noch, hat sich dann aber doch zur Wahlbeteiligung entschlossen. Bei einem Boykott durch die PPP wären wir vielleicht schon im Januar oder Februar Musharraf losgeworden.
Die breite Bewegung für einen Boykott, wie auch das anschließende schlechte Wahlergebnis für die Kräfte um Musharraf, haben seinem Regime jegliche Legitimität geraubt. [Die PPP erhielt 36 %, gefolgt von der Pakistan Muslim League des ehemaligen Präsidenten Nawaz Sharif, Musharrafs Partei folgte weit abgeschlagen, ebenso die Fundamentalisten, die 2002 noch 13 % der Stimmen erhielten, jetzt aber nur 3 %. D. B.]

In welchen Bereichen seid ihr hauptsächlich aktiv?

Farooq: Wir sind in der Demokratischen Allparteien-Bewegung (APDM) aktiv, an der 23 Organisationen mitwirken und die sich vor allem in Menschenrechtsfragen engagiert. In den 10 Tagen vor der Wahl hat die APDM 18 große Boykott-Veranstaltungen durchgeführt. Im Schnitt waren jeweils 5000 Menschen anwesend. Jede Organisation konnte einen Redner stellen. Wir waren immer vertreten, meistens mit einem prominenten Redner.

Wichtig für uns ist die Verteidigung von Frauenrechten. Die Frauenbewegung ist in einem richtigen Aufschwung. Bei vielen Demonstrationen der letzten Jahre sind unsere Genossinnen in der vordersten Reihe, manchmal stellen Frauen auch die Mehrheit der DemonstrantInnen.

Aber aufgrund der Fundamentalisten (die vor allem im Nordwesten und in Belutschistan stark sind) ist die Arbeit für Frauenrechte nicht ungefährlich. Wenn wir eine Frauenversammlung organisieren, durchsucht unser Ordnerdienst jede Person und sichert die Veranstaltung ab. Nur ein Beispiel für die Macht der Fundamentalisten: In fundamentalistisch beherrschten Gebieten wird jeder Friseurladen von den Fundamentalisten geschlossen, wenn der Friseur jemandem den Bart abrasiert. Wer in diesen Regionen nicht fünfmal am Tag betet, wird verfolgt usw.

Ein weiterer Schwerpunkt der LPP ist die Organisierung von Arbeiterinnen und Arbeitern in Gewerkschaften und in der Entwicklung von Kampagnen gegen Entlassungen, Privatisierungen und steigende Preise.

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