TEILEN
Innenpolitik

Müntes Mindestlohn und die Angst vor der Straße!

Von Oskar Kuhn | 15.09.2004

Im mittlerweile sechsten Jahr ist die Regierung Schröder eifrig bemüht, über ihre Wirtschafts-, Sozial und Steuerpolitik dem Kapital die Profitrate zu sanieren und die Lebensqualität der ArbeiterInnenklasse in den Keller zu treten.

Im mittlerweile sechsten Jahr ist die Regierung Schröder eifrig bemüht, über ihre Wirtschafts-, Sozial und Steuerpolitik dem Kapital die Profitrate zu sanieren und die Lebensqualität der ArbeiterInnenklasse in den Keller zu treten.

Auf einmal schalt es aus der SPD-Zentrale: “Wir können nicht zusehen, wie die Löhne an vielen Stellen dramatisch weg brechen”. So blähte sich Ende August SPD-Chef Franz Müntefering auf und forderte plötzlich gesetzlichen Mindestlohn. Und weiter: Die Gewerkschaften stünden dem zunehmenden Lohndumping machtlos gegenüber, daher müsse der Staat eingreifen!
Die Mehrheit der 32 Millionen Noch-Beschäftigten und 7 Millionen Arbeitslosen wird sich ob dieser Feststellung die Augen gerieben zu haben. Ja sind denn Schröder, Clement, Müntefering & Co. bisher beiseite gestanden? Ist die Systemwende der Agenda 2010 samt Hartz IV doch von der unsichtbaren Hand oder Heinzelmännchen erdacht und nicht des Kanzlers bewusste und alternativlos verkündete “Reformpolitik”?

Worum geht es der SPD bei der Mindestlohndebatte?

Unmittelbarer Auslöser sind selbstverständlich die nun seit Wochen anhaltenden landesweiten Montagsdemos gegen Hartz IV. Die Menschen auf der Straße haben in der SPD-Zentrale heftige Unruhe verbreitet. Nachdem Clements Beschimpfungen nichts brachten, bemüht sich Müntefering um Schadenbegrenzung, indem er soziale Sicherheit durch einen Mindestlohnstandard suggeriert. Dies kann er bedenkenlos tun, da ein Mindestlohn an und für sich neutral ist. In der Hand der Herrschenden kann er selbst unter dem heutigen definierten Existenzminimum platziert werden. Das ist letztlich Definitionssache; die 1-Euro Jobs werden momentan als Entgeltsegnungen bis zu 1000,- Euro schön geredet. Umgekehrt kann in der Hand der sozialen Widerstandsbewegung ein Mindestlohn eine effektive und mobilisierende Forderung sein, die allerdings in ein umfassendes Übergangsprogramm eingebettet sein muss. Die Forderung Agenda 3010 – 30 Stundenwoche bei vollem Lohn und Personalausgleich plus 10 Euro Mindeststundenlohn – liegt in dieser Logik.

Unterschiedliche Reaktionen, unterschiedliche Motive

Während Münteferings Vorstoß bewusst unverbindlich vorgetragen wurde, waren die Reaktionen deutlicher. BDI-Präsident Michael Rogowski verkündete, mit der Festsetzung eines solchen Mindestlohns würde der “ohnehin überregulierte Arbeitsmarkt” weiter gefesselt. Für das Kapital bleibt in Marxens Worten das physische Minimum die untere Grenze der Lohnskala. Bert Rürup – ehedem Vorsitzender der krankmachenden Kommission zur “Gesundheitsreform” – betonte, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde die Hartz-Reform in Teilen aushebeln, weil dadurch die vorgesehenen Anreize für Beschäftigungslose zur Arbeitsaufnahme stark gedämpft würden. Soziale Not ist und bleibt für diese Experten der Reformmotor Nr.1!
Und die Gewerkschaftsbürokratie? Die Reaktionen von Peters, Wiesehügel und Schmoldt waren nicht von der Sorge getragen, den Mindestlohn als Flankierung einer tarifpolitischen Gegenoffensive mit dem zentralen Bestandteil allgemeiner Arbeitszeitverkürzung aufzugreifen. Nein den Herren geht es bei ihrer Ablehnung eines Mindestlohns um die tarifpolitische Gestaltungsmacht. Hört sich gut an, soll aber sagen: Lohnsenkung und Sozialabbau tragen wir mit, solange wir mit den Kapitalverbänden die Oberhoheit über die Tariflandschaft behalten und am gedeckten Tisch sitzen bleiben können.

Revolutionäre SozialistInnen und der Mindestlohn

Im 1997 veröffentlichten Programm des RSB heißt es unter anderem zum Thema Mindestlohn:
“Wir fordern: Ein Mindesteinkommen von heute 2200,- DM netto, gekoppelt an die Steigerung der Lebenshaltungskosten. Deswegen: Preisgleitklauseln in alle Tarifverträge, um eine regelmäßige (z.B. vierteljährliche) Anhebung der Löhne gemäß der Steigerung der Lebenshaltungskosten zu garantieren. Alle anderen Einkommen, außer denen der Reichen, müssen auf die gleiche Weise vor der Teuerung der Lebenshaltungskosten geschützt werden.”
Bei dieser Forderung ist die damals genannte Summe die Variable, die sich an dem damals von den Gewerkschaften errechneten monatlichen Bedarf orientierte und heute entsprechend zu aktualisieren ist. Ansonsten ist dies für die revolutionären SozialistInnen der gültige Umgang mit dem Mindestlohn. Nur durch die Einbettung in Preisgleitklauseln und gekoppelt an die tarifliche Lohnentwicklung ist der Mindestlohn ein geeignetes Instrument in der Hand der ArbeiterInnenklasse.
Müntefering hat den Versuch unternommen, die Menschen von der Straße zu bekommen. Wir sollten sein Stichwort ruhig aufgreifen und mehr Menschen bei den Montagsdemos und Protestkundgebungen in die Diskussion für ein Übergangsprogramm der Lohnabhängigen einbeziehen.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite