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Linke

Mit Rätedemokratie gegen Parteibürokratie

Von B. Behrends | 01.11.2006

Am 3. Oktober traf sich das Netzwerk Linke Opposition der WASG in Felsberg bei Kassel. Im Kampf gegen die Parteibürokratie der Wahlalternative beruft sich die Linke Opposition zunehmend auf rätedemokratische Grundsätze.

Am 3. Oktober traf sich das Netzwerk Linke Opposition der WASG in Felsberg bei Kassel. Im Kampf gegen die Parteibürokratie der Wahlalternative beruft sich die Linke Opposition zunehmend auf rätedemokratische Grundsätze.

Die Linke der Linken innerhalb der WASG geht getrennte Wege. Diskutierten beim ersten Treffen des Netzwerkes Linke Opposition in Kassel noch 280 Menschen miteinander, so erschienen beim zweiten Treffen am 3. Oktober nur noch 100 Interessierte. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen fanden hauptsächlich zwischen SAV [Sozialistische Alternative]  und isl einerseits und den InitiatorInnen der Linken Zeitung und des Netzwerkes Linke Opposition andererseits statt.
Übernahmeversuch gescheitert
Der Block SAV-isl tritt mehr oder weniger offen für die Weiterarbeit in der vereinigten Linkspartei ein. Entsprechend wollten SAV-isl in Kassel die Mindestbedingungen („rote Linien”) an die Parteiführung der WASG für das Zusammengehen mit der Linkspartei.PDS bzw. für die eigene Mitarbeit in WASG/Linkspartei entschärfen.

So stellen beide die hohle Formel von einer „Regierungsbeteiligung nur im Interesse der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen, gegen die Interessen der Kapitalbesitzer und Vermögenden” auf. Einen Hinweis darauf, mit welchen Koa­litionspartnern die WASG/Linkspartei eine solche Regierungsbeteiligung anstreben soll, liefern SAV-isl gleich mit, wenn sie fordern: „Keine Beteiligung an Koalitionsregierungen mit neoliberalen Parteien”. Eine Regierungsbündnis mit sozialliberalen bürgerlichen Parteien wird also nicht ausgeschlossen. Das Ganze macht nur mit der Wunschvorstellung von einer Abwendung der SPD und der Grünen vom Neoliberalismus einen Sinn. Wie allerdings selbst ein solch illusionäres sozialliberales Regierungsbündnis unter den Bedingungen kapitalistischer Normalität irgendeine fortschrittliche Dynamik auslösen könnte, bleibt das Geheimnis der SAV- und isl-Leitungen.

Blassorange scheint auch die „rote Linie” „für eine Partei, die betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe und außerparlamentarische Bewegungen als ihren Schwerpunkt betrachtet”. Statt solcher „Betrachtungen”, die der gemäßigtste Reformist unterschreibt, entscheidet die politische Schwerpunktsetzung in der Praxis!
Der Block SAV-isl wollte in Felsberg eine Mehrheit erhalten, das Netzwerk Linke Opposition und die Linke Zeitung übernehmen und deren Positionen entschärfen. Dieser Übernahmeversuch ist zum Glück gescheitert.
Mit Rätedemokratie gegen die WASG-Spitze
Die Erfahrungen der Linken Opposition mit dem eigentlich recht kleinen Parteiapparat der Wahlalternative sind niederschmetternd. Die kurze Zeit der Existenz der WASG zeigt, wie schnell sich der Parteiapparat verfestigt, eine Bürokratie etabliert, sich die Partei unterwirft und sie beherrscht. Hatte Oskar Lafontaine schon als Vorsitzender des Tankers SPD den sozialdemokratischen Parteiapparat voll im Griff, so münzte er in kürzester Zeit sein Charisma mit Hilfe seiner „spindoctors” a la Maurer in Kontrolle des leichten Dampfers WASG um. Er stützte sich dabei auf die Schicht gewerkschaftlicher Hauptamtlicher, die von Anfang an zielstrebig fast alle Schaltstellen der Wahlalternative besetzten. Als linke BürokratInnen haben sie in den Gewerkschaften gelernt, was „wichtiger” ist: die Mittel als die Ziele, die Form als die Inhalte, der Organisationsaufbau als die Gewerkschaftspolitik und die Finanzkraft als die Kampfkraft. Als ideologische Ratgeber wirkten erst der Kreis um Joachim Bischof und nach dessen Abgang die Sozialistische Linke, die ihren Stamokap-Entrismus in der SPD beendete, um ihn in der Wahlalternative nahtlos fortzusetzen. Lafontaine-Maurer, die gewerkschaftlichen OrganisatorInnen und die Lieferanten der alten KP-Strategie verbindet die gemeinsame frühere Mitgliedschaft in der SPD. Ihre Illusionen in die sozialdemokratische Partei haben sie verloren. Aber ihre sozialdemokratischen Vorurteile haben sie behalten, um sie unter dem frischen Stempel „Neue Linke” der Wahlalternative aufzudrücken. Der Prozess der Verbürokratisierung der WASG von oben nach unten findet Unterstützung bei einem großen Teil der aus der SPD kommenden Mitgliedschaft, der sich nur in einem solchen top-down-Parteimodell aufgehoben fühlt.

Um die Debatte gegen den bürokratischen Apparat von einer festen Grundlage aus führen zu können, greift das Netzwerk Linke Opposition auf die direkte Demokratie als umfassendstem demokratischen Modell, das von der ArbeiterInnenbewegung entwickelt wurde, zurück. Es beinhaltet u.a. das imperative Mandat, die jederzeitige Rechenschaftspflicht und die Abrufbarkeit von gewählten Delegierten. Damit ist die Mehrheit des Netzwerkes Linke Opposition die einzige politische Strömung innerhalb der Wahlalternative, die offen an der revolutionären, rätedemokratischen Tradition der ArbeiterInnenbewegung anknüpft. Dass der Kampf für eine WASG, die die Interessen der Lohnabhängigen konsequent vertritt, eine in Ansätzen revolutionäre Strömung hervorbringt, mag überraschen. Schließlich passen sich ja dort die meisten TrotzkistInnen im Eiltempo dem vorherrschenden Reformismus und Sozialliberalismus an. Es ist die Parteibürokratie, von der rätedemokratische Opposition zur Weißglut gebracht, die mit ihrer antitrotzkistischen Hetze a la Trost/Aydin die Linke Opposition immer weiter nach links treibt. Je stärker sich die Linke Opposition dabei auf die Rätedemokratie beruft, um so schneller führt ihr Weg aus der WASG hinaus.
Räte als Organisationsform?
Allerdings verdienen die Räte als interne Organisation, d.h. als Parteiform, Kritik. Die Räte sind in der Geschichte nicht als innerorganisatorisches Modell einer Partei aufgetaucht, sondern z.B. in der russischen Revolution von 1905  in St. Petersburg und Moskau zunächst als Kontrollorgane, um sich zu Einheitsfront- und schließlich zu Aufstandsorganen der großen Mehrheit der ArbeiterInnenklasse auszuweiten. Auch in der Pariser Kommune waren die Räte kein Modell, nach dem die „Parteien” der I. Internationalen, der Blanquisten, Proudhonisten usw. funktionierten, sondern eines, mit dem die breiteste Arbeitereinheitsfront gegen die Versailler Reaktion hergestellt wurde.
Räte und Partei sind unterschiedliche Organisationsformen. Räte als Gegenmacht müssten die ganze heterogene ArbeiterInnenklasse (in der BRD fast 90% der Erwerbstätigen), die Merheit über ein System von Delegierten umfassen. In ihnen wirkten dann die unterschiedlichsten Parteien. Bekanntlich stellte in der russischen Revolution von 1905 auch die Kadettenpartei als Hauptpartei der Bourgeoisie Delegierte in den Räten. Von ihnen blieben als Einzige die zaristischen Pogrombanden der Schwarzhundert ausgeschlossen.

Eine revolutionär-marxistische Partei ist die Organisation der bewussten, entschiedensten Elemente und damit einer relativen Minderheit. Als Organisation von AktivistInnen ü
bt sie revolutionär-marxistische Kritik an den bestehenden Verhältnissen und legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den außerparlamentarischen Kampf. Nach außen muss sie gemeinsam Handeln, nach innen kann die Diskussion mittels Tendenzen und Fraktionen kontrovers geführt werden. Mensch könnte ein solches Organisationsmodell als „leninistisch” und „demokratisch-zentralistisch” bezeichnen, wenn nicht der Begriff des “Leninismus” auf Sinowjew/Stalin zurückgehen würde und der des „demokratischen Zentralismus” hierzulande nicht von der berüchtigten, rein zentralistischen SED-Version geprägt wäre, obwohl er von dem Menschewisten Julius Martow stammt. Ein unverbindliches und heterogenes Netzwerk, selbst wenn intern rätedemokratisch verfasst, kann nur ungenügend die notwendigen Aktivitäten gegen das Kapital und seinen Staat bündeln, die Erfahrungen der AktivistInnen zusammenfassen und vor dem Hintergrund eines gemeinsamen programmatischen Rahmens auswerten. Die Zentralisation der Aktivitäten und Erfahrungen als „Partei” ist aber zum Sturz des Kapitalismus ebenso notwendig wie das Entstehen sich zentralisierender Räte der Klasse der Lohnabhängigen in einer vorrevolutionären Situation.

Als lebendiges Beispiel einer kämpferischen Organisation sehen wir die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) an, unsere Schwesternorganisation in Frankreich, die in vielen Arbeitskämpfen und auf der Straße wie im Kampf gegen die neoliberale Reform CPE, beim Aufbau eines kämpferischen Flügels in den Gewerkschaften und in den sozialen Bewegungen eine vorwärtstreibende Rolle spielt, ohne jemals in der Nationalversammlung vertreten gewesen zu sein.
Räte, Wahlfixiertheit und Parlamentarismus
Die Berufung auf die Rätedemokratie kann nicht nur den Kampf der Linken Opposition gegen die Parteibürokratie der WASG anregen. Sie könnte vor allem die Wahlfixiertheit und den Parlamentarismus der bald vereinigten Linkspartei einer grundlegenden Kritik unterziehen.
Allein schon der Name Wahlalternative verweist auf Elektoralismus und Parlamentarismus. Wahlen können nur für Menschen eine „Alternative” sein, für die der revolutionäre Sturz der kapitalistischen Verhältnisse, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen, unvorstellbar ist. Wahl- und Parlamentsfetischismus gründet auf der angeblich immerwährenden Stabilität des Kapitalismus und baut darauf seine Politik. Im kapitalistischen Alltag zeigen Wahlen im besten Fall den Stand des Klassenbewusstseins der Lohnabhängigen an.

In „linken” Parteien beherrschen meist die eigenen Parlamentsfraktionen das interne Leben. Ist der Anpassungsdruck für linke GewerkschafterInnen in sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten von Großbetrieben schon nicht gering, so ist er für linke Abgeordnete in Kommunal-, Landes- und Bundesparlamenten um das zigfache höher. In einer Klassengesellschaft stehen die VertreterInnen der Arbeiterschaft nicht nur unter dem Druck der eigenen Basis, sondern unterliegen, aufgerückt in hervorgehobene Positionen, schnell dem Druck des Gegenübers: der herrschenden Klasse, der Kaste der bürgerlichen BerufspolitikerInnen, der veröffentlichten Meinung …
In der langen Geschichte der Konkurrenz zwischen revolutionären und reformistischen Strömungen der ArbeiterInnenbewegung gewannen die RevolutionärInnen eher in Kämpfen,   Streiks und Bewegungen an Einfluss. Die ReformistInnen bewiesen ihre Stärke besonders bei Wahlen, in Parlamenten und in der Kontrolle der Gewerkschaften. Viele sozialistische Linke in der WASG haben ein kritisches Verhältnis zu Regierungsbeteiligungen, aber vor Elektoralismus und Parlamentarismus macht die Kritik halt. Die Durchsetzung von Wahlbeteiligungen der WASG in NRW und Berlin hat die Linke als ihre Siege gefeiert, ohne zu begreifen, dass diese „Erfolge”, erfochten auf dem Terrain der WASG-Bürokratie, ungewollt deren Wahl- und Parlamentsorientierung begünstigen. Vor allem wurden sie um den Preis des Rückzugs aus der sozialen Bewegung und der Gewerkschaftslinken errungen, da die eigene beschränkte Energie auf die Wahlkämpfe konzentriert wurde.

Sicherlich kann selbst eine kleine linkssozialistische Partei über Beteiligung an Wahlen ihre politischen Ziele einer breiten  Öffentlichkeit bekanntmachen, Mitglieder gewinnen, usw.  Aber der praktische Schwerpunkt der Linken muss zu 99% nicht auf Wahlen und Parlamentsarbeit liegen, sondern in der Verbreiterung der außerparlamentarischen Opposition, in Unterstützung von Arbeitskämpfen und im Aufbau einer Gewerkschaftslinken, die die sozialpartnerschaftliche Gewerkschaftsbürokratie wirklich herausfordern kann. 

TiPP!
Die IV. Internationale hat eine umfassende Einschätzung der „Rätedemokratie und Arbeiterselbstverwaltung” vorgelegt, die 1979 unter dem etwas veralterten Titel „Sozialistische Demokratie und Diktatur des Proletariats” erschien. Neu aufgelegt in der Internationalen Theorie Nr. 30, Mannheim 2006.

 

 

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