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Betrieb & Gewerkschaft

Mindestlohn: Auskömmliches Einkommen kann nur erkämpft werden

Von D. Berger | 01.05.2005

Im Wesentlichen aus Wahlkampfgründen haben die Volksparteien CDU/CSU und SPD die Frage der so genannten Dumpinglöhne aufgegriffen. Eine für die ArbeiterInnenklasse akzeptable Lösung ist aus dieser Initiative nicht zu erwarten, auch und gerade weil die Gewerkschaften auf dem falschen Dampfer.

 
Dass es diesen Parteien einschließlich der Grünen nicht um ein menschwürdiges Einkommen geht, sondern vor allem um die Verhinderung von „Schmutzkonkurrenz“, die deutsche Unternehmen unter Druck setzt, zeigt schon der Begriff „Dumpinglöhne“. Mit „Dumping“ wird seit eh und je ein Verfahren bezeichnet, das dazu geeignet ist, andere Unternehmen zu unterbieten und darüber als Konkurrenten auszuschalten. Schröder drückte das bei seinem Wahlkampfauftritt in Siegen so aus: „Wir können nicht zulassen, dass es Leute gibt, die Arbeiter aus dem europäischen Ausland holen, sie für ein paar Kröten arbeiten lassen und damit gesunde deutsche Betriebe kaputt machen.“
Besonders eklig dabei ist die kaum noch verdeckte Ausländerfeindlichkeit, die von den herrschenden Politikern damit neu angefacht wird. Fast in jeder Erklärung taucht dabei die Begrifflichkeit der „illegalen Beschäftigung“ auf. Mitgedacht werden soll dabei: illegale Ausländer, kriminelle Ausländer usw. im Gegensatz zu den rechtschaffenen deutschen Arbeitnehmern. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg: „die öffentliche Diskussion verenge sich derzeit zu sehr auf das Entsendegesetz. Der gesamte Bereich der illegalen Beschäftigung könne damit aber nicht erfasst werden. Zoll, Polizei und Justiz seien gefordert, wenn es darum gehe, Maßnahmen gegen die Schwarzarbeit umzusetzen.“ (Netzzeitung)
Zwei Motive sind mit den aktuellen Vorstößen verbunden: Zum einen wollen sich diese Parteien in der Frage des Jobverlusts als handlungswillig darstellen. Zum anderen geht es ihnen um die Existenz deutscher Betriebe, an keiner Stelle aber um die Verhinderung von Erwerbslosigkeit, und erst recht nicht um die Sicherstellung eines menschenwürdigen Einkommens.

Welche Differenzen?

Nachdem Stoiber als Initiator der neuen Debatte einen volksnäheren Eindruck zu vermitteln suchte, legt die SPD jetzt den Schwerpunkt darauf, dass das Prinzip des Entsendegesetzes aus der Bauindustrie auf möglichst alle Branchen ausgedehnt wird. Die CDU sieht in allgemeinen Regelungen zu viel Abkehr vom Liberalismus und möchte nur dort regeln, wo die „Schmutzkonkurrenz“ am stärksten im Gespräch ist. Seit letztem Sommer hatte die SPD vor allem darauf gedrungen, dass die Gewerkschaften mitziehen und dem Konzept der SPD ihren Segen geben. Dies hätte den unschätzbaren Vorteil, dass man nicht nur als handlungswillig erscheinen kann, sondern bei Kritik auf die Gewerkschaften verweisen kann.
Das Grundprinzip ist dabei ganz einfach: Man überlässt es den Tarifvertragsparteien, weiterhin Tarife mit Billiglöhnen abzuschließen und erklärt sie dann – wenn die davon erfasste Beschäftigtenzahl groß genug ist – für allgemeinverbindlich für die jeweilige Branche. Dass FDP und Kapitalverbände selbst das für zu weitgehend erachten ist kein Beleg für die Richtigkeit der aktuellen Vorhaben. Wenn Kannegießer, Präsident von Gesamtmetall, äußert: „Wer jetzt einen Mindestlohn fordert oder Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ausweiten will, setzt vor allem auch die Chancen von Hartz IV für den Arbeitsmarkt aufs Spiel.“, dann läge er in der Tat richtig, wenn die Gewerkschaften tatsächlich den Kampf für einen allgemeinen, für alle gleichen und menschenwürdigen Mindestlohn aufnehmen würden.

Gewerkschaften neoliberal

Das Traurige an der gegenwärtigen Situation ist die Tatsache, dass sich von den gewerkschaftlichen Spitzen weiterhin nur die NGG für einen solchen Mindestlohn einsetzt. Daneben tritt nur Mönig-Raane (verdi-Vorstand) öffentlich für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ein, aber im Gegensatz zum NGG-Vorsitzenden Möllenberg, der sich klar für 1500 Euro Mindestlohn ausspricht, lässt sie die Höhe unbestimmt.
Es gibt eine ganze Reihe von Resolutionen in gewerkschaftlichen Gremien, die einen akzeptablen Mindestlohn fordern, und die sich offen gegen die neoliberal geprägte Einstellung der überwältigenden Mehrheit der Gewerkschaftsvorstände wenden, die mit einer generellen Anhebung der Löhne die „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“ in Gefahr sehen.
Wichtig ist es jetzt eine gewerkschaftsübergreifende Bewegung für einen Mindestlohn aufzubauen. Denn Tariflöhne sind nicht die geringste Gewähr dafür, das Existenzminimum zu erreichen. Zahllose Tarife legen eine untere Lohnhöhe von 6 Euro oder darunter fest. Auf das Existenzminimum kommt mensch aber nur wer etwa 1500 Euro brutto verdient. Hierfür muss eine Vollzeitstelle genügen. Engagierte GewerkschafterInnen sollten deshalb am Aufbau einer breiten Bewegung arbeiten:
Für einen Mindeststundenlohn von 10 Euro für alle Branchen;
Kampf der Scheinselbständigkeit (z. B. in der Form der Ich-AG), denn viele Billiglöhne werden an formal nicht abhängig Beschäftige gezahlt;
Würde dies durchgesetzt, würde sich nach unsren Berechnungen das Einkommen von mindestens 8 Mio. Menschen um 50 bis 100% (stellenweise noch mehr) steigern.
Und: Hartz IV hinge dann tatsächlich politisch völlig in der Luft. Die Bewegung gegen Hartz IV bekäme gewaltigen Auftrieb. Der Kampf für einen akzeptablen Mindestlohn wird nicht allein mit dem Mittel der Resolutionen und Appelle an die Gewerkschaftsvorstände loszutreten sein. Auf den Aufbau einer eigenständigen Bewegung von unten kommt es an.

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