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Länder

Mexiko – oder was aus einem G8-Musterschüler wird

Von Thadeus Pato | 01.04.2007

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„El respeto al derecho ajeno es la paz“ – „Respekt vor dem Recht anderer bedeutet Frieden“ -, so soll es Benito Juarez, der legendäre mexikanische Präsident, der 1866 mit Unterstützung der USA die Franzosen aus dem Land warf, gesagt haben. Diese friedliche Grundhaltung hinderte ihn allerdings nicht daran, den österreichischen Marionettenkaiser Maximilian I. standrechtlich erschießen zu lassen.

„El respeto al derecho ajeno es la paz“ – „Respekt vor dem Recht anderer bedeutet Frieden“ -, so soll es Benito Juarez, der legendäre mexikanische Präsident, der 1866 mit Unterstützung der USA die Franzosen aus dem Land warf, gesagt haben.

Diese friedliche Grundhaltung hinderte ihn allerdings nicht daran, den österreichischen Marionettenkaiser Maximilian I. standrechtlich erschießen zu lassen.
Oaxaca..
Ob er allerdings so mit seinen Mitbürgern umgegangen wäre, wie es die mexikanische Regierung und ihre Polizei im letzten und in diesem Jahr in Oaxaca taten und noch tun, darf aus gutem Grund bezweifelt werden. Was sich in Oaxaca abspielte, war ein klassischer Volksaufstand, zunächst gegen den korrupten Provinzgouverneur, der nach einem Wahlbetrug 2004 an die Macht gekommen war, und dann in einem sich laufend selbst verstärkenden Prozess für die Übernahme der öffentlichen Gewalt durch die Selbstorganisation der Einwohner, deren Zusammenschluss im Laufe dieses Prozesses die APPO (Asamblea popular de los pueblos de Oaxaca – Volksversammlung der Völker Oaxacas, ein Zusammenschluss aus mehr als 350 Gruppen, aus Gewerkschaften, Bau­ern-,  StudentInnen- und Indigenaorganisationen) hervorbrachte. Zeitweise kontrollierte die APPO die Hauptstadt und Teile der Provinz, Fernsehen und Rundfunk – der Gouverneur flüchtete nach Mexiko-Stadt. Geantwortet wurde von der neuen Calderon-Regierung ebenso wie von ihrem Vorgängerin: Keinerlei Zugeständnisse, gnadenlose Härte bei den Demonstrationen, Einsatz von Spitzeln und Zivilpolizisten und militärischer Einmarsch. Bisher wurden mindestens 9 Menschen von der Staatsmacht getötet. Allein bei einem Protestcamp der streikenden Lehrergewerkschaft im Juni 2006, das von der Polizei angegriffen wurde, starben 2 Lehrerinnen, ein Lehrer und ein Kind an Schussverletzungen, 190 Menschen wurden verwundet. Daneben gab es immer wieder Verhaftungen und Entführungen von bekannten AktivistInnen, Folterungen, Vergewaltigungen und andere Verbrechen der Ordnungskräfte.

Der Aufstand scheiterte zunächst, zum einen deswegen, weil er regional isoliert blieb, zum anderen aber auch, weil eine weitergehende politische Perspektive fehlte. Aber er illustrierte, was es mit dem mexikanischen „Wirtschaftswunder“ auf sich hat.
… und die Ursachen
Geht man nach der „Papierform“, dann dürften die MexikanerInnen eigentlich keinen Grund haben, zu rebellieren – weder in Oaxaca, noch im benachbarten Chiapas. Mit einem BIP von 750 Mrd. US-Dollar verzeichnete Mexiko 2005 die größte Wirtschaftsleistung Lateinamerikas. Ungefähr 4,5% Wirtschaftswachstum waren 2006 zu notieren, es gibt beträchtliche ausländische Direktinvestitionen (17,5 Mrd. US-Dollar 2005), der mexikanische Aktienindex ist 2005 um 38 % gestiegen.
Seit Anfang der neunziger Jahre entwickelte sich Mexiko zum Musterschüler von Weltbank und internationalem Währungsfonds: Im Gegensatz zu früher öffnete es seine Grenzen für den Freihandel. Heute ist Mexiko über insgesamt 12 Freihandelsabkommen mit 42 Staaten mit der Weltwirtschaft verbunden, der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA trat es 1994 bei, ein Abkommen mit der EU wurde 2000 geschlossen, mit Japan 2005. Dabei ist der große Bruder im Norden beim zwischenstaatlichen Handel führend: 70% seiner Geschäfte wickelt Mexiko mit den USA ab, bei den Ausfuhren sind es sogar 88%. Gleichzeitig wurde Mexikos Wirtschaft in den letzten Jahren stark dereguliert und privatisiert – und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die staatliche Energiewirtschaft und die Telekommunikation sind als nächste dran. Die Inflationsrate liegt offiziell bei 4%.

Aber der mexikanische Wirtschaftsboom hat sich auf den Lebensstandard der Masse der MexikanerInnen nicht positiv ausgewirkt. Die Industrie konzen­triert sich auf einige städtische Zentren (knapp 40% des Bruttoinlandsproduktes werden im Zentrum des Landes in und um die Hauptstadt Mexiko-Stadt erzielt) und die Einkommensverteilung ist extrem ungerecht. 10% der MexikanerInnen lebten nach Weltbankangaben im Jahr 2005 von weniger als ei­nem Dollar täglich – also gemäß den Kriterien der UNO in absoluter Armut. Rund 26% der Bevölkerung müssen mit weniger als zwei Dollar täglich auskommen und leben damit ebenfalls unterhalb der statistischen Armutsgrenze. Bei der indigenen Bevölkerung wird der Armutsanteil sogar auf rund 80 % geschätzt. Das liegt nicht daran, dass Mexiko so arm wäre, sondern schlicht an der Einkommensverteilung: Die unteren 40% der Bevölkerung erhalten nur 11% des Volkseinkommens. Anstalten, mit einer eine Umverteilung begünstigenden Steuerpolitik daran etwas zu ändern, sind nicht ersichtlich: Mexiko hat mit ca. 10% des BIP die niedrigste Steuerquote der OECD- Länder (Durchschnitt 27%).

So hat dem Land die von den internationalen Finanzinstitutionen verordnete Deregulierung vor allem eines gebracht: Die Reichen wurden immer reicher, die Armen immer ärmer. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt angeblich bei 4%, aber das liegt daran, dass 68% des mexikanischen Sozialprodukts im Dienstleistungsbereich erwirtschaftet werden, also der informelle Sektor einen hohen Anteil ausmacht. Auf der Website des deutschen Außenministeriums wird geschätzt, dass um die 50% der arbeitenden Bevölkerung in letzterem arbeiten. Hinzukommt, dass die (legale und illegale) Auswanderung gigantische Ausmasse hat. 2005 waren es ca. 400 000 MexikanerInnen, die in die USA gingen, hinzu kommen die WanderarbeiterInnen.
GewinnerIn und VerliererIn
GewinnerInnen des mexikanischen Wirtschaftsaufschwung sind eine kleine Gruppe von Superreichen im Lande, die korrupten (Mexiko erschien im Corruption Perceptions Index von Transparency International im Jahr 2005 auf Rang 65) Politiker und Ordnungshüter, und vor allem die ausländischen Konzerne, die unter anderem mit den sogenannten Maquiladoras, den in Billiglohnländern etablierten verlängerten Werkbänken, hohe Extraprofite erzielen.

Die Verlierer sind zum einen die, die dort zu lächerlichen Löhnen schuften müssen. Am härtesten trifft die Öffnung der Märkte allerdings die Landbevölkerung. Gegenüber der Agrarindustrie Nordamerikas ist die Landwirtschaft Mexikos in keiner Weise konkurrenzfähig. Da die indigene Bevölkerung hauptsächlich von letzterer lebt, ist sie auch besonders betroffen – was sich in der oben erwähnten Armutsquote von 80% niederschlägt. Und deshalb ist es auch nicht zufällig, dass sich der radikalste Widerstand gegen die wirtschaftliche Deregulierung, gegen korrupte Provinzfürsten und gegen die Verschlechterung der Lebens
bedingungen in Regionen wie Oaxaca oder Chiapas abspielt, wo es einen hohen indigenen Bevölkerungsanteil gibt (in Chiapas sind es 25% der EinwohnerInnen).
Und die G8?
Die G8 haben Mexiko neben einer Reihe anderer Länder als sogenanntes „Schwellenland“ beim Ministertreffen mit an den (Katzen)tisch gebeten. (s. Avanti 3/07). Dabei war es kein Hinderungsgrund, dass der amtierende mexikanische Präsident Felipe Calderon sein Amt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einem Wahlbetrug verdankt, dass er in Oaxaca die Bevölkerung mit Waffengewalt unterdrückt, dass die Masse der mexikanischen Bevölkerung an den Profiten, die im Land von in- und ausländischen Konzernen gemacht werden, keinen Anteil hat – geschweige denn an den Einnahmen des Hauptexportprodukts Mexikos, des Öls (im Gegensatz zu Bolivien oder Venezuela ist Mexiko nämlich nach einem vergeblichen Anlauf des früheren Präsidenten Fox erneut dabei, die staatlichen Wirtschaftssektoren zu privatisieren) – im Gegenteil. Gerade deshalb wurde der mexikanische Minister auch eingeladen. Er gilt als gelehriger Schüler. Die für die Konzerne höchst profitable und erfolgreiche Öffnung Mexikos für den Weltmarkt ist die Latte, an der er gemessen wird – und jene hat stattgefunden, zu welchen Kosten für wen auch immer. Die durch die Folgen dieser von den G8 hoch gelobten Wirtschaftspolitik ausgelösten Aufstände wie in Chiapas oder Oaxaca sind kein Thema. Damit wird eine gute Polizei schon fertig.

Es gab auch schon weniger willfährige Regierungen in Mexiko, wie den obengenannten Präsidenten Benito Juarez. Der Auslöser für den Einmarsch der Franzosen im Jahr 1861 war nämlich nicht die Tatsache, dass Juarez die Trennung von Kirche und Staat durchsetzte und eine Agrarreform durchführte, sondern schlicht, dass er die Schuldenzahlungen Mexikos an das Ausland für zwei Jahre aussetzte. Das war schon damals eine Todsünde für den Verein der internationalen Geldsäcke.
Am anderen Ende Mexikos, an der Grenze zu den USA, liegt übrigens eine nach Juarez benannte gleichnamige Stadt. Aber das war nicht die Heimatstadt von Benito Juarez. Er war ein Rebell – er war ein Zapoteke aus Oaxaca.

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