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Betrieb & Gewerkschaft

Maulkorb für unbequeme Metaller

Von D. Berger | 29.10.2005

Seit Jahren ist die Betriebsratsminderheit bei DaimlerChrysler Untertürkheim der Betriebsratsspitze um Helmut Lense ein Dorn im Auge. Jetzt sollen die Metaller um die Betriebszeitung alternativ mundtot gemacht werden, eine Vorstufe zum Rausdrängen aus der IG Metall.

Seit Jahren ist die Betriebsratsminderheit bei DaimlerChrysler Untertürkheim der Betriebsratsspitze um Helmut Lense ein Dorn im Auge. Jetzt sollen die Metaller um die Betriebszeitung alternativ mundtot gemacht werden, eine Vorstufe zum Rausdrängen aus der IG Metall.

Selten wurde der Gegensatz  zwischen der Kungelei der BR-Spitze mit der Geschäftsleitung und der kämpferischen Politik der kritischen Metaller im BR so deutlich wie im Juni letzten Jahres als diese Aktivisten gegen den Willen der BR-Fürsten die Belegschaft im Werksteil Mettingen zu einer Straßendemo mobilisierten: Die KollegInnen zogen in einem eindrucksvollen Demonstrationszug auf der B 10 eine Stunde lang bis zum Kundgebungsplatz in Cannstatt, um sich gegen die Erpressungspolitik der Konzernspitze zu wehren. Trotz der guten Beteiligung an jener Kundgebung auch von anderen Werksteilen hat die Spitze des Gesamtbetriebsrats um Klemm danach einem Paket zugestimmt, das im Gegenzug zu einem „Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen“ eine Personalkosteneinsparung von 500 Mio. Euro vorsieht.

Seit einigen Wochen wissen wir, was diese “Zukunftssicherung 2012” wert ist. Von den heute 151 000 DC-Beschäftigten in Deutschland (1991 waren es noch 184 061) sollen weitere 8500 Stellen abgebaut werden. Selbst wenn dies über Aufhebungsverträge gelingen sollte (was mehr als unwahrscheinlich ist) so sind die Arbeitsplätze dann doch weg und die Zahl der Erwerbslosen steigt.
Vor allem gegen den in dem Sparpaket enthaltenen “Dienstleistungstarifvertrag”, der z. B. für das Küchenpersonal eine Lohnsenkung um 20% vorsieht, wendet sich die Gruppe alternativ. Sie fordert Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich statt Stellenstreichung. Ihre Rechnung: Würden alle Beschäftigten bei DC zwei Stunden weniger arbeiten entspräche dies genau 8500 Stellen.

Unbequeme BR-Minderheit
Aber auch aus anderen Gründen ist die Gruppe alternativ um die BR-Kollegen Adler. Butschler, Clauss und Messing der BR-Mehrheit unangenehm. So forderte alternativ anlässlich des Skandals um den BR-Fürsten Volkert von VW, dass alle Betriebsratsmitglieder ihre Bezüge und geldwerten Vorteile offen legen sollen. Auch hiergegen widersetzte sich die BR-Spitze um Lense. Kein Wunder bei so vielen angenehmen Reisen rund um den Globus (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 15.10.05), weshalb z. B. KBR-Chef Klemm der “Sonnenkönig von Sindelfingen” genannt wird (in seinem “Reich” geht die Sonne nicht unter; Monatsgehalt ca. 9000 Euro, Lense 8570 Euro, + Dienstwagen und Chauffeur).

Zwar ist im Anschluss an die Ablehnung im BR der BR-Vorsitzende von Untertürkheim (Lense) in die Offensive gegangen und hat sein eigenes Gehalt bekannt gemacht, aber das ist nur ein Teil der notwendigen Auskünfte, um klarzustellen, welche Interessen er mit der Verteidigung seines Postens verbindet.
Maulkorb
Seit langem schon wird die IG Metall-Minderheit im Betriebsrat von wichtigen Sitzungen des Betriebsrats oder des Vertrauenskörpers (meist als “informelle Beratungen” deklariert) ferngehalten. Dort, wo die Weichen gestellt werden, sind ihre Argumente und Einwände unerwünscht. Wenn sie ihren Überzeugungen abschwören und sich einpassen in den Kurs der BR-Mehrheit könnten sie auch auf der IG Metall-Liste entsprechend berücksichtigt werden. Dazu aber sollen sie in der Belegschaft nur die Meinung der BR-Mehrheit vertreten dürfen und sie müssten jegliche eigene Publikationen einstellen.

Die BR-Mehrheit um Lense, Reif und Nietze hat versucht, sich für das Verfahren der Kandidatenauswahl ein demokratisches Mäntelchen umzuhängen. In geschlossenen Veranstaltungen wurde die Mehrheit der Vertrauensleute auf diesen Kurs eingeschworen.
Bei der Urwahl der aufzustellenden KandidatInnen unter den Gewerkschaftsmitgliedern (Motto “Wir wollen nur die Besten”) standen die Namen der kritischen Metaller nicht auf der Liste, weil sie nicht bereit waren, eine entsprechende Verpflichtungserklärung zu unterschreiben. Als dann Anfang Oktober die Wahlkommission in den Abteilungen rum ging und die KollegInnen erleben mussten, dass die kritischen Metaller nicht gewählt werden konnten, haben viele ganz empört reagiert: „Wenn die nicht auf der Liste stehen, könnt ihr gleich wieder gehen.“ Das dann erschienene alternativ extra wurde den Verteilern vor dem Tor regelrecht aus den Händen gerissen. Im Werksteil Mettingen sind die kritischen Metaller wirklich gut verankert.

Das Ende dieses Streits ist noch längst nicht abzusehen. Zu befürchten ist, dass die Kritischen gezwungen sein werden, eine eigene Liste einzureichen, was wiederum Anlass wäre, sie mit dem Organisationsausschluss zu bedrohen.
So weit darf es nicht kommen, denn es wäre nicht nur eine Absonderung und Gefährdung der kämpferischen Kräfte (schon bei der Demo auf der B 10 und der dann erfolgten Anzeige wollte die IG Metall zunächst keinen Rechtsschutz gewähren). Es wäre auch eine Schwächung der IG Metall und der Gewerkschaften insgesamt. Im Kampf um eine grundlegende Änderung der Gewerkschaftspolitik wäre es ein herber Rückschlag. Deshalb sind Protestschreiben gewerkschaftlicher Gremien an die BR-Spitze von DC und an die Verwaltungsstelle Stuttgart angesagt.

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