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Länder

Mangel belebt das Geschäft

Von Thadeus Pato | 01.06.2008

Als der Autor in den neunziger Jahren für eine Hilfsorganisation an der kenianisch-sudanesischen Grenze mit der medizinischen Versorgung der Kriegsopfer aus dem Sudan beschäftigt war, hatte er die Gelegenheit, inoffiziell mit den Herkules-Transportmaschinen des World Food Program (WFP) mitzufliegen. Die Flugzeuge warfen palettenweise Säcke mit Getreide über den Hungergebieten des vom Krieg verwüsteten Südsudan ab.

Als der Autor in den neunziger Jahren für eine Hilfsorganisation an der kenianisch-sudanesischen Grenze mit der medizinischen Versorgung der Kriegsopfer aus dem Sudan beschäftigt war, hatte er die Gelegenheit, inoffiziell mit den Herkules-Transportmaschinen des World Food Program (WFP) mitzufliegen.

Die Flugzeuge warfen palettenweise Säcke mit Getreide über den Hungergebieten des vom Krieg verwüsteten Südsudan ab. Bei den Gesprächen mit den Piloten kam etwas Interessantes zutage: Für die Nahrungsmittelnothilfe des WFP ist es dringend nötig, rechtzeitig Daten über zu erwartende Missernten zu bekommen. Die USA unternehmen systematisch Aufklärungsflüge über entsprechenden Gebieten, in diesem Fall dem Sudan, und verfügen demnach über entsprechende Informationen. Aber sie hielten sie unter Verschluss und benutzten sie zu anderen Zwecken: Mittels dieser Informationen konnten die amerikanischen Farmer abschätzen, wie im Folgejahr die Preisentwicklung an den Getreidebörsen sein würde und entsprechend disponieren. Dieses Beispiel zeigt, wo eine der Ursachen des weltweiten Hungers liegt.
Spekulation…
Denn es sind zwar in den letzten Jahren die weltweiten Vorräte bedrohlich geschrumpft, aber momentan reicht die Weltproduktion immer noch aus, um den Bedarf zu decken. Die Preise allerdings haben sich teilweise mehr als verdoppelt. Grund: Die boomende Spekulation.

Entsprechend nimmt das Problem des weltweiten Hungers wieder zu: Während zwischen 1970 und 1977 weltweit die Zahl der Hungernden von 959 auf 791 Millionen gesunken war, begann sie in der zweiten Hälfte der 90er Jahre stark anzusteigen und lag 2003 bereits wieder bei 854 Millionen.

Und an dieser Situation sind die Länder, die angeblich uneigennützig das WFP alimentieren, mitschuldig. Während sämtliche ExpertInnen seit langem dafür plädieren, die vom WFP verteilten Nahrungsmittel, wo immer möglich, aus lokaler und regionaler Produktion zu generieren und damit Anreize zur lokalen Nahrungsmittelversorgung zu schaffen, benützte eine Reihe von imperialistischen Staaten die Nahrungsmittelhilfe dazu, ihre Überschüsse loszuwerden.

Insbesondere die USA bestehen auf einer so genannten Lieferbindung, das heißt, dass die von ihr gewährte Hilfe aus amerikanischer Produktion zu stammen hat. De facto handelt es sich um eine verdeckte Subventionierung ihrer eigenen Agrarindustrie – mit den entsprechenden Folgen für den weltweiten Getreidemarkt. Erst jetzt, wo es nach Aussagen des Vizedirektors des WFP, John F. Powell, kaum noch Überschüsse gibt, will die Bush-Administration dem Kongress vorschlagen, die Lieferbindung zu lockern – weil sie schlicht überflüssig geworden ist.
Marktmechanismen…
Polemisch zugespitzt, könnte man also sagen, dass das WFP, offiziell als humanitäres Instrument der UNO präsentiert, in den letzten Jahrzehnten als Puffer gedient hat, mittels dessen die weltweiten Agrarüberschüsse, die hauptsächlich in den Ländern des Nordens erzielt wurden, vermarktet werden konnten, um einen allzu großen Preisverfall zu verhindern. Immerhin verteilte das WFP im Jahr durchschnittlich etwa 4 Millionen Tonnen der weltweiten Getreideproduktion (einschließlich Reis) und hatte 2006 ein Budget von 2,9 Milliarden US-Dollar.

Die immens gestiegenen Preise in Verbindung mit den fehlenden Überschüssen führen nun dazu, dass schlicht weniger zu verteilen da ist: Der Markt bestimmt den Preis, und den muss auch das WFP bezahlen.
 … die Folgen des Klimawandels
John F. Powell nennt auch noch zwei weitere Hauptfaktoren für die wachsenden Hungersnöte. Zum einen stellt er fest: „Zweitens stehen wir an einer historischen Schwelle in der Landwirtschaft: vom Nahrungsanbau hin zum Anbau von Rohstoffen für Biotreibstoff. Der Wettbewerb zwischen beiden wird noch zunehmen.“ Trotz aller Beschwichtigungen von Lobbyisten wie dem deutschen Umweltminister Gabriel ist heute schon die Umwidmung von Flächen zugunsten der Treibstoffproduktion besorgniserregend, sieht man sich die Schere zwischen steigendem Nahrungsmittelbedarf und stagnierender Produktion an.
Ein konkretes Beispiel: Bei einem Gespräch des Autors mit einem bayerischen Biobauern stellte sich heraus, dass letzterer zum Betrieb seiner Fahrzeuge bereits ein Drittel seiner Fläche für die Rapsölproduktion benutzt. Ein anderer hat eine Biogasanlage gebaut und verwertet darin nicht nur, was ja durchaus sinnvoll ist, Gülle und Restbiomasse, sondern baut gezielt auf zwei Drittel seiner 85 Hektar ausschließlich für den Betrieb der Anlage an.

Powell nennt auch noch den dritten Grund: „Drittens zeichnet sich bereits ab, dass Klimawandel und zunehmende Naturkatastrophen den Anbau von Nahrungsmitteln künftig erschweren werden. Kurz: Es gibt keine Überschüsse mehr.“ Nicht nur die Vernichtung kompletter Jahresernten, wie derzeit zum Beispiel in Birma zu befürchten, durch die klimawandelassoziierte Zunahme extremer Wetterereignisse, sondern auch die durch die globale Erwärmung hervorgerufene Unfruchtbarkeit ganzer bisher ertragreicher Landstriche werden die Situation weiter verschärfen.
Wie weiter?
Die Marktideologen wie Gabriel und andere gehen davon aus, dass sich das Problem über den Markt regeln wird. Der Wettbewerb zwischen Nahrungsmittel- und Agrospritproduktion wird zu höheren Preisen für beides führen und damit zu verstärktem Anreiz zur Ausweitung der Produktion. Das ist die klassisch kapitalistische Lösung. Aber damit ist auch gleichzeitig nachgewiesen, dass sie nicht nur nicht funktionieren wird, sondern das Problem des Hungers auch noch verschärfen. Die steigenden Preise haben schon allerorten zu Hungerrevolten geführt, denn die Menschen können diese Preise schlicht nicht bezahlen. Und die Ausweitung der Anbauflächen, um beides in ausreichendem Maße gleichzeitig tun zu können, nämlich Sprit und Nahrungsmittel zu erzeugen, wird über die Versteppung, die Abholzung der Regenwälder und die Monokulturen der Agrarindustrie den Klimawandel weiter beschleunigen.

Für die gesamte Agrarindustrie ist das, was jetzt geschieht, ein Bombengeschäft. Für den größten Teil der Weltbevölkerung ist es eine Katastrophe. Brauchte es noch eines Beweises, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht in der Lage ist, das Hungerproblem zu lösen, so ist er damit erbracht. Die Klasse der Besitzenden ist problemlos in der Lage, auch noch aus der drohenden Nahrungsmittelverknappung, dem Hunger und dem Klimawandel gigantische Extraprofite zu generieren. Bezahlen sollen letztere wieder einmal die, den
en 150 Jahre wachstums- und profitorientierter kapitalistischer Produktionsweise mit ihrem ungebremsten Raubbau an der natürlichen Umwelt,  mit weltweiter Ungleichheit und Unterdrückung ihr heutiges Elend beschert haben. Fragt sich nur, ob sie sich das wirklich gefallen lassen werden. In unser aller Interesse ist zu hoffen, dass nicht. 

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