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Innenpolitik

Linkspartei und Klassenrealität

Von Walter W. | 29.10.2005

Das respektable Wahlergebnis der Linkspartei darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ein zweistelliges Resultat als Illusion entpuppte. Ein historischer Durchbruch fand nicht statt. Die Euphorie der letzten Wochen ist verschwunden und die Frage nach der politischen Realität und Perspektive steht auf der Tagesordnung.

Das respektable Wahlergebnis der Linkspartei darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ein zweistelliges Resultat als Illusion entpuppte. Ein historischer Durchbruch fand nicht statt. Die Euphorie der letzten Wochen ist verschwunden und die Frage nach der politischen Realität und Perspektive steht auf der Tagesordnung.

Programmatisch verkündete die Linkspartei.PDS in bester Gutmenschenart den Einsatz für eine bessere Gesellschaft und …verließ damit, wie befürchtet (s. Avanti  119) den berühmt-berüchtigten Klassenstandpunkt. Über den Weg der direkten Demokratie soll u.a. die Gleichberechtigung aller Menschen, die Verweigerung des internationalen Kriegsdienstes, der  Schutz der Bürgerrechte durch den Staat (großer Lauschangriff, Durchsuchung der Cicero-Redaktion und bei Labournet!) u.v.a mehr erreicht werden. Löbliche Forderungen wie Ganztagsangebote und -schule, Gebührenfreiheit für Schule und Lehre und keine Studiengebühren ergänzen den Forderungskatalog.
Der diskrete Charme des Sozialliberalismus
Sozialpolitisch  rundet eine Grundsicherung, ein Mindestlohn von 1400 Euro, eine Grundrente von 800 Euro und die Erhöhung des ALG II auf 420 Euro die Wunschliste ab. Außenpolitisch verkündet mensch das soziale Europa und eine AG für Konversion und Abrüstung. Positiv ist sicher die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus durch breite Bündnisse zu notieren.
Passagenweise finden sich eher die Positionen der WASG als die der PDS wieder. Lafontaines  Handschrift ist unverkennbar und die Bekenntnisse der PDS-Führung zum Sozialismus sind als rhetorisches Kalkül an ihre Klientel zu werten. Willy Brandt könnte gut der ghoost writer des gesamten Textes sein.
Programm und soziale Realität
In unsere aktuellen Broschüre “Praktische Aktionseinheit und solidarische Kritik” haben wir unseren Standpunkt umfassend dargestellt. An wenigen Beispielen scheint es aber notwendig zu sein, den “Realismus” unserer linksparteilichen RealpolitikerInnen zu überprüfen. Klassenpolitik ist im wesentlichen eine Frage von Kräfteverhältnissen und ob und wie mensch sich mit den herrschenden Mächten und Kräften auseinandersetzt. Wenn alle 90 Sekunden in der BRD ein Mensch seine Arbeitsstelle verliert, ca.3,3 Millionen Haushalte überschuldet sind, die prekären Arbeitsverhältnisse sich flächendeckend ausbreiten und monatlich 50.000 KollegInnen den DGB verlassen, ist alles über die Kräfteverhältnisse ausgesagt.
Im Parlament sitzen zu 92% Neoliberale. Einerseits der neoliberale Terminator “Container-Guido” Westerwelle, andererseits die Große Koalition, die einen Sozialabbau light proklamiert. In diesem Umfeld sonnt sich die Linkspartei als Anwalt der Mühseligen und Beladenen. Begeistert jubiliert sie – wörtlich – über die positiven Erfahrungen der  “rot-roten” Landesregierung in Schwerin. Der Paria unter den Bundesländern wird zum Vorzeigeobjekt linksparteilicher Regierungspolitik hochstilisiert.

Hochnotpeinlich wird es aber in Berlin wo 14.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen wurden und der Ex-Linke Harald Wolf 40 Millionen Euro im Jugendbereich gestrichen hat. Und das bei einer registrierten Arbeitslosigkeit von rund 300.000 Stellen. Nicht verwunderlich ist das Fehlen einer breiten Mobilisierung gegen Hartz IV während des Wahlkampfs. Die Nadelstreifensozialisten fordern nur noch 85 Euro mehr für die ALG II-EmpfängerInnen, die bekanntlich das tägliche Bad  in Champagner und das Kaviarfrühstück von goldenen Tellern garantieren! Einem französischen Moralisten zufolge ist die Heuchelei der Tribut des Lasters an die Tugend. Zeitbedingt konnte der gute Mann das Programm der Linkspartei und ihre Praxis nicht im Auge gehabt haben.
Außerparlamentarischer Kampf – der Ort der Veränderung
Trotz einer gewissen Polemik unsererseits, die leidvollen Erfahrungen mit der Parlamentarisierung der Grünen und der Realpolitik der PDS entspringt, ist unser Standpunkt kritisch als auch zutiefst solidarisch, denn wir, wie auch andere außerparlamentarische Linke, werden sicher mit den GenossenInnen der Linkspartei in antifaschistischen/antirassistischen Bündnissen, in der Friedensbewegung, in Anti-HartzIV-Initiativen etc. in Zukunft weiter zusammenarbeiten. Ein Anfang wäre die Unterstützung des “APO-Kongresses” im November in Frankfurt und die Vorbereitung eines sozialen Massenprotestes im Frühjahr 2006. Der Aufbau einer klassenkämpferischen Tendenz in den Gewerkschaften und deren Unabhängigkeit vom bürgerlichen Staat sowie das offene, gleichberechtigte Zusammengehen in den sozialen Bewegungen sind das Gebot der Stunde.
Der Übergang von der Kritik am Neoliberalismus zu Kapitalismuskritik  kann  eine Brücke auf dem Weg zu einer anderen möglichen Gesellschaft sein, die wir mit einer gewissen Hartnäckigkeit anstreben.

Doppelte Mitgliedschaft
Der Bundesvorstand der WASG hat am 7./8. Oktober beschlossen, dass er beim nächsten Bundesparteitag die Verlängerung der bisherigen Regelung zur Doppelmitgliedschaft um zwei Jahre beantragen wird.
Lothar Bisky gab bekannt, dass die PDS auf ihrem Bundesparteitag im Dezember die “beitragsfreie Doppelmitgliedschaft für Mitglieder der WASG” beschließen wolle. Die Fusion zwischen Linkspartei.PDS und WASG solle bis zum Sommer 2007 abgeschlossen sein. In seiner Partei gäbe es aber ein “spürbares Drängen”, den ins Auge gefassten Zeitraum für die Fusion bis Mitte 2007 nicht auszuschöpfen.
Während die WASG-Mitglieder mit den Füßen abstimmen sollen, setzt die vereinigte Parteibürokratie ihren Integrationskurs gegenüber den kommunistischen, sozialistischen und revolutionären Linken fort. Warum wohl?
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