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Betrieb & Gewerkschaft

Linkspartei, SPD und Gewerkschaften: Mit den Gewerkschaftsvorständen Englisch sprechen?

Von B.B. | 29.09.2005

Über 1600 GewerkschafterInnen hatten vor der Bundestagswahl einen Wahlaufruf für die Linkspartei unterschrieben. Entsteht eine anti-neoliberale Strömung, die ähnlich wie in England die kämpferische Richtung in den Gewerkschaften verstärkt?

Über 1600 GewerkschafterInnen hatten vor der Bundestagswahl einen Wahlaufruf für die Linkspartei unterschrieben. Entsteht eine anti-neoliberale Strömung, die ähnlich wie in England die kämpferische Richtung in den Gewerkschaften verstärkt?

Die über 1600 UnterzeichnerInnen sind meist Vertrauensleute, Betriebsräte und z.T. hauptamtliche GewerkschafterInnen. Der Aufruf bewegt sich im Rahmen der allgemeinen Politik der Linkspartei.PDS. Ohne unsere Kritik zu wiederholen, fällt auf, dass die Forderungen zum Mindestlohn und zur Arbeitszeitverkürzung nicht konkretisiert werden. So liegt die Bedeutung des Aufrufes nicht in den erhobenen Forderungen, sondern im Bekenntnis zur anti-neoliberalen Kritik und zu einer Partei links von der SPD.
Zum ersten Mal seit der Nachkriegsperiode entsteht eine Situation in der eine Partei links von der SPD in Betrieben und Gewerkschaften Fuß fassen kann. Manche Gewerkschaftsmitglieder sehen in der Linkspartei.PDS eine politische Alternative; Hauptamtliche steigen als Parteifunktionäre ein. Eine breite Debatte um die Bewertung der Politik der SPD-Regierung, die Diskussion unterschiedlicher Linien – hier Neoliberalismus, dort Anti-Neoliberalismus und manchmal auch Antikapitalismus – ist in vielen Belegschaften, unter Vertrauensleuten, Betriebsräten und gewerkschaftlichen Hauptamtlichen losgetreten worden.

Missverständnisse über die Einheitsgewerkschaft

Seit dem Niedergang der KPD Anfang der 1950er Jahre durch staatliche Verfolgung und stalinistische Selbstisolation wirkte die SPD als einzige Partei in den Gewerkschaften. Als Feigenblatt für den Pluralismus der Einheitsgewerkschaft mussten einige CDA-Funktionäre herhalten. Tatsächlich handelt(e) es sich um sozialdemokratische Richtungsgewerkschaften, deren Vorstände mit der SPD engstens verflochten waren. Voraussetzung für eine hauptamtliche Karriere war das SPD-Parteibuch. Je unangefochtener die Stellung der SPD in den Gewerkschaften wurde, desto weniger offen musste sie dort als Partei auftreten.
Anfang der 70er Jahre neigten einige GewerkschafterInnen zu einem militanten Syndikalismus, der bei Abwesenheit einer starken Partei links von der SPD, die Gewerkschaften in eine Art linke Ersatzpartei verwandeln wollte. Die meisten GewerkschaftsaktivistInnen sahen die Einheitsgewerkschaften nicht als Vereinigung der Mitglieder und AnhängerInnen verschiedener Parteien an, sondern verstanden unter Einheitsgewerkschaft die Abwesenheit von Parteien überhaupt. Dieses Missverständnis, das tatsächlich die Position der SPD unangefochten lässt, ist bis heute in der Mitgliedschaft der Gewerkschaften weit verbreitet. Es wird von deren Bürokratie gehegt und gepflegt.

Neoliberalismus und Tolerierungspolitik

Die neoliberale Strömung in den Gewerkschaften (z.B. IG BCE) unterstützte aus Überzeugung die Reformen der SPD-Regierung. Die allermeisten der über 1600 GewerkschafterInnen, die für die Linkspartei.PDS aufriefen, sind nicht Mitglied in der IG BCE, sondern von verdi und der IG Metall. Dort ist es relativ leicht, sich offen anti-neoliberal zu positionieren, da sich die Vorsitzenden der beiden großen Gewerkschaften selber einer anti-neoliberalen Rhetorik bedienen. Tatsächlich duldeten Peters und Bsirske aber die Regierungspolitik, wie die Montagsdemonstrationen gezeigt haben. Hätten die Gewerkschaften die Proteste auf den Straßen massiv unterstützt, dann wäre Hartz IV nicht so einfach durchgekommen oder hätte sogar gekippt werden können. Muss sich eine anti-neoliberale Opposition in der IG BCE erst bilden, so kann sie innerhalb der IG Metall vielleicht demnächst eine Mehrheit der neoliberalen Huber-Fraktion verhindern.

Beispiel England?

Eine Abwahl von neoliberalen Gewerkschaftsvorständen bzw. -vorsitzenden, um sie durch kämpferische Spitzen zu ersetzen, wie sie in bisher rund dreißig Gewerkschaften in England stattgefunden hat, ist nicht einfach auf die bundesrepublikanischen Gewerkschaften zu übertragen. Jedoch wäre es ein wichtiger Schritt zu einer kämpferischen Gewerkschaftsbewegung, wenn die 1600 GewerkschafterInnen auch die Tolerierungspolitik der verdi- und IGM-Vorstände kritisieren würden. Dafür gilt es zunächst den Einfluss der Gewerkschaftslinken auf diejenigen auszuweiten, die zur Wahl der Linkspartei aufgerufen haben. Hierbei könnte die Linkspartei.PDS eine positive Rolle spielen, indem sie die Informationen der Gewerkschaftslinken an die o.g. über 1600 GewerkschafterInnen regelmäßig weiterleitet. Politisch ist der neoliberalen Orientierung einiger Gewerkschaftsvorstände und der Tolerierungspolitik gegenüber der Regierung bzw. des kampflosen Nachgebens gegenüber den Kapitalinteressen der offene Kampf anzusagen.
Innerhalb der Gewerkschaften meiden die meisten Hauptamtlichen, die in der Linkspartei Funktionen besitzen, den Konflikt mit dem bürokratischen Apparat, dessen Teil sie sind. Auch das Linkspartei-Duo Gysi und Lafontaine sucht die enge Zusammenarbeit mit Peters und Bsirske, nicht etwa deren Ablösung. Doch unter dem Druck der Krise werden sich mehr und mehr GewerkschafterInnen finden, die nicht mehr bereit sind, Tarifausstieg, Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen sprach- und kritiklos hinzunehmen.

Die Aufgaben der Linken

Nicht nur die revolutionären SozialistInnen, sondern die ganze Linke steht innerhalb der Gewerkschaften vor drei Aufgaben:

  • – Jeden Schritt zum Aufbau eines breiten anti-neoliberalen Flügels in den Gewerkschaften zu unterstützen
  • – Die Kritik an den Tolerierern der neoliberalen Regierung in verdi und IG Metall auszudehnen
  • – Die anti-neoliberale Kritik in eine Kapitalismuskritik zu verwandeln.
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