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Betrieb & Gewerkschaft

Lidl geht es an den Kragen

Von Trixi Blixer | 29.09.2005

Die Gewerkschaft ver.di hat dem Lebensmittelriesen Lidl den Kampf angesagt: Nachdem schon das “Schwarzbuch Lidl” erschien, legt ver.di jetzt mit einer “Kundenwoche” nach.

Die Gewerkschaft ver.di hat dem Lebensmittelriesen Lidl den Kampf angesagt: Nachdem schon das “Schwarzbuch Lidl” erschien, legt ver.di jetzt mit einer “Kundenwoche” nach.

Der Lebensmitteldiscounter mit den Billigpreisen ist eines der am stärksten expandierenden Unternehmen in der Bundesrepublik. Derzeit gibt es schon rund 2 600 Filialen mit 30 000 Angestellten in der Bundesrepublik. Auch international betreibt der Unternehmer Dieter Schwarz mit seinem  Handelsunternehmen eine aggressive Marktpolitik. Ziel ist es, sich mit billigsten Produkten in den Markt hineinzudrängen. Dabei ist klar, dass billigste Preise in der Regel auf Kosten der lohnabhängig Beschäftigten durchgesetzt werden.

Unglaubliche Bedingungen

Um den größtmöglichen Profit bei gleichzeitig geringem Selbstbewusstsein der Belegschaft zu erzielen, ist das System Lidl auf willkürlichen Kontrollen und enormer Arbeitshetze aufgebaut. Das erzeugt ein Klima der Angst, welches die Angestellten oftmals daran hindert, ihre grundsätzlichen Rechte zu erstreiten. Kein Wunder, gibt es unter den Filialen der BRD nur acht mit Betriebsräten. Der Handelsriese unterbindet sogar gezielt die Bildung von Arbeitnehmervertretungen. Zu der generell schlechten Entlohnung im Einzelhandel kommt bei Lidl noch, dass oft die Arbeitszeiten nicht richtig erfasst werden. Unbezahlte Überstunden und regelmäßige Mehrarbeit wurden im “Schwarzbuch Lidl” dokumentiert. Teilweise werden sogar Toilettengänge von der Arbeitszeit abgezogen. In den unterbesetzten Läden gibt es harte Produktivitätsvorgaben, die kaum zu erfüllen sind. Normalerweise wird im Unternehmen verlangt, dass jede KassiererIn mindestens 40 Produkte in der Minute scannen muss. Schafft das einE VerkäuferIn nicht, drohen ihr arbeitsrechtliche Konsequenzen. Kündigungen unliebsamer KollegInnen sind an der Tagesordnung. Nicht nur, wer die Produktivitätsvorgaben nicht erfüllt, sondern auch, wer sich am Versuch Betriebsräte zu gründen beteiligt, gerät ins Visier der Geschäftsleitung.

Ver.di macht Kampagnenarbeit

Die Kampagne für menschenwürdige Arbeitsbedingungen bei Lidl ist der Versuch, Druck auf den Konzern auszuüben. Die Situation für die Beschäftigen soll sich tatsächlich verbessern, auch wenn es derzeit kaum gewerkschaftliche Strukturen im Unternehmen selber gibt. Der Konzern hat Angst vor der Öffentlichkeit, vor allem da das gewünschte gute Image sich ziemlich von der brutalen betrieblichen Wirklichkeit unterscheidet.
Ver.di steht vor dem Problem, dass in den meisten Filialen nur jeweils wenige Beschäftigte konzentriert sind. Damit sind Massenaktionen der Betroffenen selber kaum möglich. Viele von ihnen sind wegen der ausgedehnten Teilzeitarbeit nicht täglich über einen längeren Zeitraum im Laden anzutreffen. Auch ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad nur sehr gering, ganz zu schweigen von ArbeiterInnenstrukturen im Betrieb. Die beschäftigen KollegInnen vor Ort haben wegen der immensen Arbeitshetze und des Drucks seitens der Geschäftsleitung oft Angst vor einer betrieblichen Auseinandersetzung. Nach der Herausgabe des “Schwarzbuch Lidl” wird berichtet, dass VerkäuferInnen in Einzelgesprächen mit den FilialleiterInnen unter Druck gesetzt wurden, ja sogar z.T. bedroht wurden..

Trotz dieser äußerst schwierigen Lage hat es ver.di geschafft, das Thema Lidl und die Arbeitsbedingungen bei dem Konzern ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Der Versuch, eine gesellschaftliche Kampagne aufzubauen, die von außen Druck auf das Unternehmen aufbaut, ist erstmals gelungen. Lidl kann nicht mehr unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit machen, was er will. Das heißt noch lange nicht, dass sich viel zum Positiven gebessert hätte. Jedoch konnte bspw. bei Lidl in Bayern ein Streik organisiert oder Kontakt zu einzelnen Beschäftigten aufgebaut werden.
In der Lidl-Kampagne geht es nicht um Boykott, betont die Gewerkschaft immer wieder, sondern um die Macht der Kunden und Kundinnen zu sagen, sie wollen in einem Laden einkaufen, in dem die Beschäftigten menschenwürdig und vor allem nach dem bestehenden Arbeitsrecht behandelt werden. Vom 19. bis zum 24. September organisierte ver.di eine Kundenwoche, in der Menschen die normalerweise bei Lidl einkaufen, angesprochen wurden und mit einer Kartenaktion dazu motiviert wurden, sich auf die Seite der Beschäftigten zu stellen.
Mit der Kampagne von außen kann es gelingen, langfristig den Beschäftigten Mut zu machen, sich zu organisieren und zu wehren. Eine Betriebsratsgründung mit prominenten Paten verspricht unter den gegebenen Umständen vielleicht erfolgreich zu sein.

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